Der Dresdner mit dem Sonderstatus

Dresden. Mit Ehrungen kennt sich Tom Liebscher aus. Schließlich hat der Weltklasse-Kanute des KC Dresden, der sich und seine Karriere schon 2016 mit dem Olympiasieg krönte, das inzwischen oft genug erlebt. Der 27-Jährige ist Aushängeschild und Vorbild zugleich und darüber hinaus einer der sportlich erfolgreichsten Athleten der Landeshauptstadt.
Dass aber selbst seine Verabschiedung zu den in knapp drei Wochen beginnenden Olympischen Spiele in Tokio als offizielles Zeremoniell inszeniert wird, ist auch für Liebscher neu. Es verdeutlicht nicht zuletzt auch seinen Sonderstatus. Immerhin ist er der einzige Titelverteidiger – aus einem Dresdner Verein. Ruderer Karl Schulze ist zwar Doppel-Olympiasieger und ebenfalls Dresdner, startet aber seit 2015 für den Berliner RC.
Dresdens Sportbürgermeister Peter Lames überreicht dem Top-Athleten ein städtisches Reise-Säckchen aus, das er selbstverständlich nicht als Rucksack verstanden wissen will – eher als Unterstützung.
Eine Stadtfahne ist auch im Gepäck
Auch eine Fahne mit dem Stadtwappen ist dabei. „Wir würden uns freuen, wenn die Stadtfahne irgendwo zu sehen ist und zeigt, dass wir alle auf der Welt nicht alleine sind, aber Dresden eben auch dabei ist“, sagt Lames zu dem sechsfachen Weltmeister, der seit 2016 von der Stadt mit einem monatlichen Sport-Stipendium in Höhe von 1.000 Euro unterstützt wird. Und dann ergänzt Lames noch lächelnd: „Wir werden genau hingucken.“
Für Liebscher sind es die dritten Olympischen Spiele, nachdem er London 2012 schon als Ersatzmann erlebt hat. Dass er nach dem Triumph 2016 in Rio nun auch in Tokio startet, ist allerdings alles andere als selbstverständlich – auch wenn er das lange Zeit selbst dachte. Doch die vergangenen acht Monate haben den dunkelblonden Modelathleten „geerdet“, wie er sagt.
Am 31. Oktober zog sich der 1,89 Meter große Hüne bei einem Rafting-Ausflug der Kanu-Auswahl eine komplizierte Rückenverletzung zu. Der Olympiastart stand danach auf der Kippe, weil Liebscher vielleicht länger und härter als je zuvor um seine Form hat kämpfen müssen. „Ich habe nie daran gezweifelt“, sagt er, gibt dann allerdings doch zu: „Es lief ein bisschen schwerer als gedacht.“
Jetzt, wo die Nominierung offiziell ist, wirkt er nicht nur gereift, sondern vor allem gelöst. Trotz aller Rückschläge hat er seinen Platz im Erfolgs-Vierer sicher. „Wie er nach der Vorgeschichte zurückgekommen ist: Hochachtung“, erklärt Landestrainer Jens Kühn, der Liebscher seit 14 Jahren betreut. „Es gab einige Zweifler, aber die hat er zum Schweigen gebracht. Das war eine ganz große Leistung“, meint er.
Die 30 Olympia-Sachsen auf einen Blick
So wie Liebschers Karriere-Start als unerfahrener Kanu-Stepke. „Ich bin oft ins Wasser gefallen. Es gab Einheiten, da habe ich mich anderthalb Stunden nur am Bootssteg festgehalten und wollte nicht ablegen. Da sind aber auch noch vier Dampfer in der Stunde gefahren“, erklärt er offen und hat damit die Lacher auf seiner Seite. „Ich falle auch jetzt noch jedes Jahr ein Mal rein, wenn ich unaufmerksam bin“.
Am 7. August, wenn um 5.19 Uhr deutscher Zeit das Kajak-Finale ansteht, wird das nicht passieren. Natürlich zählt das Titelverteidiger-Boot zum engsten Favoritenkreis, und nichts weniger als die Goldmedaille ist das Ziel. Auch wenn Liebscher das Wort nicht ausspricht.
Die ungewöhnlichen und teilweise auch noch unbekannten Rahmenbedingungen stören ihn zumindest nicht. „Ich werde am Start stehen, was auch immer ist. Ob Zuschauer kommen oder nicht. Ich habe in den nächsten vier Wochen noch die Aufgabe, mich selbst besser zu machen, darum habe ich die letzten acht Monate gekämpft“, sagt der Sportsoldat und meint: „Wenn die Spiele einer hinbekommt, dann die Japaner.“