Dresdens bester Läufer: „Bin ein kleiner Psychopath“

Dresden. Man darf schon von einer kleinen Macke sprechen, wenn ein Sportler seine Waage mit ins Trainingslager nimmt. Doch Karl Bebendorf will in diesen wichtigen Tagen nichts dem Zufall überlassen. Akribisch bereitet sich der beste Hindernisläufer Deutschlands derzeit in St. Moritz auf seinen Start am Dienstag bei der Europameisterschaft in München vor, den Höhepunkt des Sommers für die deutschen Leichtathleten – und dazu gehört für ihn auch der tägliche Gang auf die Waage. „Ich bin da ein kleiner Psychopath“, sagt Bebendorf über sich und sein Verhältnis zum Körper: „Manchmal brauche ich die Waage nur als Bestätigung. Dabei ist am Ende wichtig, dass ich mich fit fühle.“
Für einen Mittelstreckenläufer, der dazu noch über Hindernisse rennt, ist Gewicht schon ein großes Thema. „Ich kann mich da ein bisschen reinsteigern“, meint der Dresdner. Weil er in seinen beiden Trainingslagern in der Schweiz ungewöhnlich viel Rad gefahren sei, hätten sich seine Beine zwischenzeitlich wie „aufgepumpt“ angefühlt. „Das musste alles wieder runter.“
Sein Wettkampfgewicht liegt bei 66 Kilo – bei einer Größe von 1,85 Metern. Zu seiner Olympia-Premiere im vergangenen Sommer in Tokio wog er gar nur 63, 64 Kilo. Sein Trainer Dietmar Jarosch, ein Mann der alten Schule, legt schon immer viel Wert auf eine äußerst schlanke Läuferstatur. Das Thema Ernährung war in der Vergangenheit manchmal Streitpunkt zwischen den beiden. Bebendorf bringt gern das Beispiel Jakob Ingebrigtsen, den norwegischen Olympiasieger über 1.500 Meter. Der sei ja auch nicht der Dünnste, meint er. Der Superstar ist sein Vorbild. „Er ähnelt einer Maschine. Da habe ich größten Respekt.“
Nicht im Teamhotel untergebracht
Mittlerweile achtet Bebendorf, vor allem in dieser Saisonphase, extrem auf seine Ernährung. Für ihn hat das auch mit Professionalität zu tun. „Ich habe jetzt kein Problem, in St. Moritz an einer Eisdiele vorbeizugehen. Das fällt mir nicht schwer. Bei einer Tour in die Berge gab es auch mal einen Apfelstrudel – aber das ersetzt dann mein Mittagessen“, meint der 26-Jährige.
Die Gefahr, sich am großen Hotel-Büfett mehr als satt zu essen, besteht ohnehin nicht. Bebendorf hat sich ein kleines Apartment direkt in St. Moritz gemietet, nur wenige Hundert Meter vom Stadion entfernt. Ein Großteil der deutschen Läufer ist im sieben Kilometer entfernten Silvaplana untergebracht. „Dort habe ich beim letzten Trainingslager gewohnt, das war mir aber zu weit weg. Nun hat Herr Jarosch dort mein Apartment bezogen“, erzählt er.
Bebendorf stört es nicht, viel Zeit allein zu verbringen – im Gegenteil. Obwohl man ihn als aufgeschlossenen Typen kennt, der gelernt hat, sich in der Region selbst gut zu vermarkten, bleibt er auf der Bahn ein Einzelkämpfer. Nur für Dauerläufe verabredet er sich ab und zu mit anderen Athleten. „Außerdem ist hier Corona ausgebrochen. Deshalb habe ich mich komplett abgeschottet.“ Die Angst, ausgerechnet vor dem Höhepunkt noch an dem Virus zu erkranken, hat er nicht allein.

Und so bereitet sich Bebendorf auch seine Mahlzeiten selbst zu. Dank eines Sponsors, eines bekannten deutschen Lebensmittelmarktes, ist er gut versorgt. „Und man kann ja nur das essen, was man in der Schublade hat.“ Zum Naschen gäbe es höchstens mal ein paar Datteln, meint er.
Nach fast drei Wochen Trainingslager auf 1.800 Metern Höhe zählt Bebendorf die Tage, dass es nach München geht. Am Montag, also nur einen Tag vor seinem Vorlauf über 3.000 Meter Hindernis (11.40 Uhr), reist er in München an. Das Finale im Olympiastadion ist drei Tage später am Freitagabend – es wäre sein erstes großes bei einer internationalen Meisterschaft, und das ist auch das erklärte Ziel. „Dann ist alles möglich“, meint er, und sagt sogar: „Wenn mein Kopf die Chance sieht, glaube ich an ein Wunder.“ Doch Bebendorf ist bewusst: Wunder lassen sich nicht planen.
Dass es im Sport wie im Leben oftmals ganz anders kommt, die Erfahrung hat der viermalige deutsche Meister längst gemacht. Zuletzt war er überraschend bei der WM in Eugene am Start, die in der Saisonplanung eigentlich nicht vorgesehen war. Trotz verpasster Norm schaffte es der Athlet vom Dresdner SC über das internationale Ranking ins Feld der Weltbesten – und schied im Vorlauf wie erwartet aus.
Der Saisonhöhepunkt steht jetzt an
„Es war trotzdem die richtige Entscheidung, in die USA zu fliegen, und für mich noch einmal eine Leistungsbestätigung“, sagt er. In 8:25,73 Minuten lief er Saisonbestleistung – eine Zeit, die im Finale sogar zu Silber gereicht hätte. In der Theorie. Dass dieses Rechenspiel nicht aufgeht, weiß Bebendorf und erklärt: „Der letzte Kilometer im Finale war krass schnell, mit dem Rennverlauf wäre ich das auf keinen Fall mitgelaufen, vielleicht mal in ein paar Jahren.“
Was bleibt neben all den Erfahrungen und Erinnerungen von Eugene? Die Gewissheit, dass er bei der WM der fünftbeste Europäer im Feld war.
Nach der Rückkehr aus den USA hatte Bebendorf mit der Zeitumstellung etwas Probleme. „Es waren wellenartige Zustände, mal habe ich mich ganz müde gefühlt, dann plötzlich wieder fit. Mein Körper war nicht dort, wo er sein soll“, erzählt er. Als dann noch kurzzeitig das „blöde Gefühl“ von Urlaubsmodus aufkam, war er froh, als er wenige Tage später wieder ins Trainingslager nach St. Moritz fahren konnte.
Denn der Saisonhöhepunkt steht erst jetzt an.