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Tag in der Hölle: Degenkolb in Roubaix nur Sieger der Herzen

Radrennfahrer John Degenkolb fährt bei Paris-Roubaix so gut wie lange nicht mehr. Ein Sturz im letzten schweren Sektor lässt aber alle Sieg-Träume platzen - und beim Routinier die Tränen fließen.

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Der Sturz von John Degenkolb verhinderte einen zweiten Erfolg des deutschen Radrennfahrers in der Geschichte von Paris-Roubaix nach 2015.
Der Sturz von John Degenkolb verhinderte einen zweiten Erfolg des deutschen Radrennfahrers in der Geschichte von Paris-Roubaix nach 2015. © Roth

Von Tom Bachmann

Völlig verdreckt und erschöpft lag John Degenkolb im legendären Velodrom von Roubaix und ließ seinen Tränen freien Lauf. Der Routinier zeigte bei der schnellsten Auflage in der Geschichte von Paris-Roubaix am Ostersonntag eine ganz famose Leistung, doch als er als Siebter unter dem rauschenden Applaus der Fans mit hängendem Kopf die Ziellinie überquerte, war er nur der Sieger der Herzen. Ein Sturz nach einer Kollision mit dem späteren Triumphator Mathieu van der Poel hatte den Traum vom zweiten Erfolg in der Hölle des Nordens nach 2015 platzen lassen.

„Es ist lange her, dass ich solch ein gutes Rennen hatte. Es ist richtig enttäuschend, dass mir die Chance für ein gutes Resultat genommen wurde. Ich war sicherlich nicht der Stärkste in der Gruppe, aber Roubaix ist Roubaix und alles kann passieren“, klagte Degenkolb mit roten Augen. Es war ein Sturz, wie er im Radsport in beinahe jedem Rennen passiert. Einen Schuldigen zu finden, ist nahezu unmöglich. Doch der Zeitpunkt, etwa 18 Kilometer vor dem Ziel im so knüppelharten Sektor Carrefour de l’Arbre, machte für Degenkolb alles zunichte, was er sich in den 240 Kilometern zuvor aufgebaut hatte.

Als er das Velodrom mehr als zwei Minuten nach Solo-Sieger van der Poel erreichte, feierten ihn die Fans frenetisch. Das Drama auf der Strecke hatten sie über die große Videoleinwand mitbekommen. „Die Atmosphäre hier aufzunehmen, war einfach nur emotional“, sagte Degenkolb dem „CyclingMagazine“. „Ich war einfach nur im Delirium. Ich bin so schnell wie möglich gefahren, dass ich nach dem Sturz einfach nur ins Ziel komme.“

Degenkolbs besondere Beziehung zu Roubaix

Dass Degenkolb bereits einen großen Pflasterstein, den der Roubaix-Sieger erhält, zu Hause stehen hat, war ein schwacher Trost. „Ich bin Rennfahrer und habe mein Rad noch nicht an den Nagel gehängt. Ich hatte heute mehr in mir als nur den siebten Platz“, sagte der 34-Jährige, den eine ganz besondere Verbindung zu dem Rennen prägt. Es ist nicht nur sein Lieblingstermin des Jahres, Degenkolb rettete sogar einst das U 23-Rennen mit einer Spendenaktion. Als Dank haben sie einen der 29 Kopfsteinpflastersektoren nach ihm benannt. Eine Ehre, die selbst Eddy Merckx erst vor wenigen Tagen zuteil wurde.

An einer Frage dürfte Degenkolb eine Weile zu knabbern haben. Wird er je wieder so ein Rennen in Roubaix erwischen? Der gebürtige Thüringer war omnipräsent, klebte bei der ersten Tempoverschärfung von Wout van Aert ebenso am richtigen Hinterrad wie bei den Attacken von van der Poel. Neben der Nase und den Beinen stimmte zudem das Material. Aus der siebenköpfigen Favoritengruppe heraus hätte es vielleicht für das Podium gereicht.

Auf dem feierten mit van der Poel und dem zweitplatzierten Jasper Philipsen jene zwei Profis, deren Fahrlinie Degenkolb zum Verhängnis wurde. Als Dritter stand Favorit van Aert mit grimmiger Miene im Velodrom. Der Belgier hatte das Tempo verschärft, als van der Poel und Degenkolb sich behakten. Doch als er mit dem Niederländer am Ende des Carrefour de l’Arbre vorn fuhr, war sein Hinterreifen platt.

Ein Halbmarathon nach dem Radrennen

So raste van der Poel beim mit durchschnittlich 46,841 km/h schnellsten Roubaix ungefährdet zum Sieg. „Immer wieder habe ich attackiert, aber ich konnte die anderen nicht abhängen. Als Wout Defekt hatte, bin ich so schnell ich konnte gefahren. Natürlich ist das Pech, aber das ist Teil des Rennens“, sagte van der Poel. Der Cross-Weltmeister hat nun drei der fünf Radsport-Monumente gewonnen. Es fehlen noch Siege bei Lüttich-Bastogne-Lüttich und der Lombardei-Rundfahrt.

Cameron Wurf hat das Rennen jedoch offensichtlich zu wenig gefordert. Der Radprofi aus Australien vom Team Ineos Grenadiers legte nach den 256,6 Kilometern am Sonntag noch eine Laufeinheit ein. Wurf, 39 Jahre alt und ziemlich zäh, rannte nach dem Radrennen einen privaten Halbmarathon. 1:26:55 Stunden brauchte er für die 21,2 km. Zuvor war er im Velodrom von Roubaix nach fast sechs Stunden Fahrzeit als 128. ins Ziel gekommen, mehr als 22 Minuten hinter Sieger van der Poel. Bis vor Kurzem war Wurf als Ironman im Triathlon unterwegs. (dpa, mit sid)