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Warum Sebastian Vettel die Grünen unterstützt

Der Ex-Weltmeister spricht im Interview darüber, was er von der Formel 1 erwartet, wie er die Ära Merkel einordnet und welche Zukunftspläne er hat.

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Für Sebastian Vettel gibt es mehr als nur den Formel-1-Zirkus. Der 34-Jährige engagiert sich auch fernab der Rennstrecken.
Für Sebastian Vettel gibt es mehr als nur den Formel-1-Zirkus. Der 34-Jährige engagiert sich auch fernab der Rennstrecken. © Bradley Collyer/PA Wire/dpa

Herr Vettel, es waren und sind spannende Tage für Deutschland. Wie beurteilen Sie den Ausgang der Wahl, sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Es ist schwer zu sagen, ob man zufrieden ist. Das wird die Zeit zeigen. Ich hoffe, dass wir bald mehr Klarheit haben, wer mit wem regieren wird. Welche Konstellation es auch immer sein mag: Zufriedenheit wird durch Handeln erreicht. Es gibt etliche Themen, die angegangen werden müssen. Ich hoffe, das geschieht bald.

Wenn Sie einen Wunsch hätten: Wie sollte die Regierung aussehen?

Sie sollte auf jeden Fall eine neue Richtung vorgeben. Es braucht einen Sinneswandel. Wir müssen mehr an die Zukunft denken als an die Vergangenheit. Und die neue Regierung sollte mehr Mut aufbringen, die Potenziale und Chancen, die Deutschland hat, zu nutzen. Damit wir gute Dinge vorantreiben und ein Beispiel für den Rest der Welt sind. Da geht es etwa um die Bewältigung der Klimakrise und darum, sich dem Anwachsen von sozialer Ungerechtigkeit entgegenzustemmen. Das sind wichtige Themen, die angegangen werden müssen. Es muss gehandelt werden, statt nur zu reden.

Wie beurteilen Sie das Wirken von Angela Merkel?

Angela Merkel war eine starke Kanzlerin, die durch schwierige Zeiten musste. Sie wird nicht nur in Deutschland vermisst werden. Nun aber ist es an der Zeit für Veränderungen.

Das haben Sie bereits vor der Wahl klar gemacht, indem Sie sich für die Grünen positioniert haben. Was waren Ihre Gründe?

Jede Partei legt ihre Ideen vor. Ich konnte mich am meisten mit den Grünen identifizieren. Die Regierung hatte über viele Jahre die Möglichkeiten, etwas zu verändern. Es wurde aber nur viel über die Klimakrise geredet, und es ist zu wenig passiert. Ich vertraue den Verantwortlichen bei den Grünen am meisten, dass sich etwas verändern wird, wenn sie wirklich in der Verantwortung sind. Mir ist zum Beispiel soziale Gerechtigkeit sehr wichtig. Nicht jeder ist Unternehmer oder kann sein Leben so führen, wie er das möchte. Nicht jeder hat zum Beispiel den Luxus, darüber nachzudenken, wie oft er in der Woche Fleisch essen möchte. Wir müssen uns um alle kümmern.

Hatten Sie mal persönlichen Kontakt zur Grünen-Spitze Annalena Baerbock oder Robert Habeck?

Nein. Ich habe den Wahlkampf verfolgt, und in solchen öffentlichen Auseinandersetzungen passiert es immer wieder, dass falsche Schwerpunkte kommuniziert werden und vor allem, dass nur das in Umlauf kommt, was gerade richtig klingt oder populär ist. Ich wünsche mir mehr Transparenz und Ehrlichkeit, nicht nur in der Politik, sondern ganz allgemein. Einfach die Wahrheit sagen, statt sich anzupassen. Es geht darum, was in den nächsten Jahren passieren muss.

Sie könnten in eine Glaubwürdigkeitskrise rutschen. Sie engagieren sich für die Umwelt, sprechen Themen an, sind aber nach wie vor Rennfahrer. Wie passt das zusammen?

Die Formel 1 ist nicht grün, keine Frage. Wir leben aber in einer Zeit, in der wir Techniken und Möglichkeiten haben, die Formel 1 grüner zu machen, ohne dabei das Spektakel oder die Leidenschaft zu verlieren. Die aktuellen Regularien sind sehr aufregend, der Motor ist sehr effizient. Das bringt aber nichts. Einen solchen Motor können Sie nicht kaufen, wenn Sie sich ein neues Autos zulegen. Da geht es schnell um das Thema Relevanz. Es wird gerade über einiges gesprochen, das die Zukunft der Formel 1 verändern könnte. Das wäre wichtig. Sonst bin ich nicht sehr optimistisch. Wenn sich nichts ändert, könnte es sein, dass die Formel 1 verschwindet.

Gerade wird über den Kraftstoff diskutiert. Bio-Sprit könnte ein großes Thema in der Formel 1 werden.

Ich bin eher ein Fan von synthetischem Kraftstoff. In der nächsten Saison werden wir einen Motor haben, der zehn Prozent synthetischen Kraftstoff nutzt. Das ist keine Revolution, dieses Benzin kann man schon jetzt an der Tankstelle kaufen. Das sind nicht die Ansprüche, die die Formel 1 als Technologieführer hat. Wir reagieren, statt aktiv voranzugehen und den Weg vorzugeben. Es kann bis 2025 oder 2026 dauern, bis große Veränderungen passieren. Das liegt allerdings auch daran, dass die Formel 1 in der Komplexität der aktuellen Motoren gefangen ist. Es ist technisch extrem schwierig, die derzeitigen Motoren ohne Leistungsverlust auf synthetischen Kraftstoff umzustellen. Die aktuellen Motoren sind ein Sparwunder, aber um das zu erreichen, ist der Verbrennungsprozess sehr kompliziert. Er muss für jede neue Spritentwicklung angepasst werden. Um das zu erreichen, müsste man jedes Mal einen fast komplett neuen Motor bauen. Wie das für 2022 auch passiert. Die effizientesten Motoren der Welt sind in Bezug auf die Spritentwicklung nicht nachhaltig. Rund um die Welt wird es in den nächsten fünf Jahren hoffentlich viele Veränderungen geben. Das wird unseren Sport unter großen Druck setzen.

Welche Veränderungen schweben Ihnen vor, und wie sind sie zu erreichen?

Wenn wir zum Beispiel auf die Mobilität schauen, da könnten wir Lösungen finden. Wir haben mehr als eine Milliarde Autos in der Welt, die täglich mit fossilen Kraftstoffen betankt werden. Dazu kommen noch viele Flugzeuge und Schiffe, die genauso betankt werden. Eine Alternative dafür zu finden, wäre eine Lösung für die Zukunft. Die Formel 1 hat zudem eine große Chance, synthetische Kraftstoffe zu fördern und sie so schnell wie möglich verstärkt einzusetzen. Dabei haben wir keine Zeit, über persönliche Interessen zu reden. Ob es einem Hersteller gefällt oder nicht. Wir müssen unsere Ressourcen besser nutzen. Den Sachverstand, aber auch das Geld, das die Formel 1 hat. Die Hersteller haben in den vergangenen zehn Jahren Milliarden ausgegeben für einen Motor, der sehr effizient und stark ist, der aber keine Relevanz für die Straßenautos hat. Dieses Geld braucht es wieder, um jetzt auf den richtigen Kurs zu kommen.

Ihr Wandel, dass Sie sich der Umwelt verstärkt widmen, ist auffällig. Gab es einen entscheidenden Moment, als Sie Ihre Ansichten geändert haben?

Da gab es kein Drama oder einen speziellen Moment, der alles verändert hat. Wir leben in einer Zeit, in der es wichtige Themen zu verstehen und zu verändern gibt. Um unsere Zukunft auf der Erde zu sichern, müssen wir uns mehr um sie kümmern. Oder wenn es um Menschenrechte, Gleichheit oder darum geht, wie wir Menschen behandeln. In jüngeren Jahren sieht man manches vielleicht noch nicht. Je älter man wird, desto klarer werden einem einige Dinge. Es ist für mich enttäuschend, dass wir viele schlechte Beispiele sehen, es aber trotzdem so lange dauert, etwas zu verändern. Wir machen manchen Fehler immer und immer wieder. In der Formel 1 geht es bei so etwas um ein Ergebnis, man verliert vielleicht ein paar Positionen oder Punkte. Vielleicht gewinnt man am Ende nicht den Titel. Was aber bedeutet das schon! In der realen Welt verletzen wir Menschen, kümmern uns nicht um sie. Das hat einen großen Einfluss auf deren Leben. Es ist ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Und dann rede ich darüber.

Fällt Ihnen das nun leichter, da Sie nicht mehr in dem riesigen Ferrari-Kosmos sind, in dem jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird?

Ich denke nicht. Wenn ich das Gefühl habe, ich muss etwas sagen, dann mache ich das. Dann habe ich auch kein Problem, meine Meinung zu bestimmten Themen zu wiederholen. Das ist meine Meinung, auch wenn nicht jeder zustimmt. Ich höre aber auch gerne die Meinung von anderen. Da kann auch ich lernen.

Beim großen Preis von Ungarn bekundete Sebastian Vettel seine Unterstützung für die Black-Lives-Matter-Bewegung sowie die Rechte der LGBT-Community und ging auf die Knie.
Beim großen Preis von Ungarn bekundete Sebastian Vettel seine Unterstützung für die Black-Lives-Matter-Bewegung sowie die Rechte der LGBT-Community und ging auf die Knie. © Florion Goga/Pool Reuters/AP/dpa

Ein anderes Thema, das Ihnen wichtig ist, ist LGBT, also die Homosexuellen- und Transgendergemeinschaft. Sie setzen sich für deren Rechte ein, könnte die Formel 1 auch mehr helfen?

Wir alle stimmen doch zu, dass es nur fair ist, alle Menschen gleich zu behandeln. In bestimmten Ländern ist das nicht so. Da braucht es aber mehr als nur Worte, da braucht es Taten. Dabei könnte unser Sport großen Druck ausüben und helfen, Fairness auf der Erde weiter auszubreiten. Es ist nicht richtig, Leute zu verurteilen oder zu bestrafen, nur weil ein Mann einen Mann oder eine Frau eine Frau liebt. Jede Form der Separation ist falsch. Wir sind doch viel reicher, weil wir so unterschiedlich sind. Stellen Sie sich vor, wir wären alle gleich. Wir würden nicht vorankommen. Wir können das mit der Formel 1 vergleichen: Wenn alle Autos gleich aussehen, wäre es langweilig. Wir haben durch die verschiedenen Farben, Formen oder Spezifikationen am Auto Fortschritte erzielt. Auch wir Menschen sind unterschiedlich. Wir sollten diese Unterschiede feiern, statt davor Angst zu haben.

Dabei heißt es oft, der Sport sollte neutral sein und sich aus solchen Themen raushalten. Wie gehen Sie damit um?

Das Problem ist, dass sowohl ein Sport als auch ein Land von Menschen geleitet wird. Einzelne Menschen haben einzelne Meinungen. Wir haben die Aufgabe, die richtigen Leute zu finden, die unseren Sport führen. Dabei muss man bedenken, dass oft finanzielle Aspekte eine Rolle spielen. Es gibt aber Situationen, in denen sich die Verantwortlichen fragen müssen, ob sie eine Moral haben. Vielleicht muss man auch mal zu einem großen Deal Nein sagen.

Wie sehen Sie die Impfquote in Deutschland im Kampf gegen das Coronavirus?

Wer bin ich, um das beurteilen zu können. Ich wurde geimpft, ich reise viel und bin dankbar, dass ich die Möglichkeit bekam, um besser geschützt zu sein. Das muss aber jeder für sich entscheiden. Man sollte dabei aber auch an andere denken. Da geht es auch um Solidarität.

Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie es nach der Formel-1 weitergeht? Vielleicht in der Politik?

Ich bin nicht sicher, ob Politik das Richtige für mich wäre. Schauen Sie auf mein Alter, ich werde keine zehn Jahre mehr fahren. Ich denke natürlich darüber nach, was nach der Formel-1 kommt. Ich lasse mich von Leuten faszinieren, die eine Sache leidenschaftlich betreiben. Der einfachste Weg wäre, Reporter bei einem Fernsehsender zu werden und sich für die nächsten Jahre wieder an demselben Platz zu finden wie bisher. Da sehe ich mich nicht. Ich liebe den Sport aber und werde ihm nicht komplett den Rücken zudrehen.

Das Interview führte Marco Scheinhof.