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Das Ringen der Frauen um mehr Zuschauer

Das Nationalteam ist mit der Fan-Resonanz bei den erfolgreichen WM-Quali-Spielen in Cottbus und Chemnitz nicht zufrieden. Immerhin stimmt die TV-Quote.

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Ein Viererpack in Halbzeit zwei vor nahezu leeren Rängen: Lea Schüller freut sich über ihren zweiten Treffer, der die erstmalige Führung der DFB-Frauen im WM-Qualifikationsspiel gegen Serbien bedeutet.
Ein Viererpack in Halbzeit zwei vor nahezu leeren Rängen: Lea Schüller freut sich über ihren zweiten Treffer, der die erstmalige Führung der DFB-Frauen im WM-Qualifikationsspiel gegen Serbien bedeutet. © PICTURE POINT

Von Frank Hellmann

Chemnitz. Martina Voss-Tecklenburg wird nicht nur innerhalb des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), sondern auch im Aufsichtsrat von Fortuna Düsseldorf für ihre Meinungsstärke geschätzt. Hilft ja nicht weiter, die Probleme totzuschweigen. Die Bundestrainerin ist mal gar nicht zufrieden, dass die WM-Qualifikationsspiele gegen Bulgarien (7:0) in Cottbus und am Dienstagabend gegen Serbien in Chemnitz vor Ort auf derartiges Desinteresse stoßen.

Ins Stadion der Freundschaft kamen vergangenen Samstag nur 1.534 Zuschauer, lediglich 1.604 waren es beim 5:1 (0:1) im Stadion an der Gellertstraße. Aufgrund des Hygienekonzeptes durften die Tageskassen in Chemnitz nicht öffnen, erneut wären 5.000 Besucher erlaubt gewesen. Torjägerin Lea Schüller führte die deutschen Fußballerinnen nach einem wahren Schock-Start zum nächsten Pflichtsieg. Nach frühem Rückstand leitete die überragende Bayern-Stürmerin mit einem Viererpack (49./54./71./77.) das 5:1 (0:1) der 45 Minuten lang enttäuschenden DFB-Auswahl gegen Serbien ein. Melanie Leupolz (79.) vom FC Chelsea traf zum Endstand.

Doch warum fällt das Ringen um die Zuschauerresonanz in einer Region so schwer, in der die Männer-Aushängeschilder Energie Cottbus und Chemnitzer FC nur noch viertklassig spielen?

„Wir sind eine Nation, ein Fußball. Es geht auch um eine Symbolik nach draußen“, forderte Voss-Tecklenburg vergangenen Freitag, doch das erhoffte Statement blieb aus. Stattdessen folgte der Beleg, dass der deutsche Frauenfußball trotz diverser Anstöße und zahlreicher Lippenbekenntnisse weiterhin um seine Akzeptanz kämpft. Der DFB hat über diverse Kanäle eine Online-Kampagne „Fußball, die (feminin)“ initiiert, um die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen zu fördern, aber manches klingt vielleicht auch zu abstrakt und aufgesetzt.

TV-Quote wie beim Zweitliga-Derby

Immerhin: Bei der ARD schalteten am Samstagnachmittag 1,11 Millionen Zuschauer für ein nicht sonderlich spannendes WM-Qualifikationsspiel ein. Der Marktanteil als die entscheidende Kenngröße lag bei knapp zehn Prozent. Zum Vergleich: Das Nordderby zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV aus der 2. Bundesliga sahen bei Sport1 am Samstagabend 640.000 Zuschauer, beim Bezahlsender Sky schalteten weitere 490.000 ein. Die Frauen kamen in der ARD also fast auf dieselbe Größenordnung. „Das ist eine tolle Quote für uns, es war ja auch der Spieltag der ersten, zweiten und dritten Männer-Liga. Es zeigt doch, dass viele Menschen uns sehen und unterstützen wollen“, findet die Bundestrainerin.

Die 53-Jährige wird nicht müde, für einen angemessenen Rahmen der „hochmotivierten und hochprofessionellen Spielerinnen“ zu werben. Defensivallrounderin Sophia Kleinherne von Eintracht Frankfurt, eine der vielen jungen Musterschülerinnen mit bislang begrenztem Bekanntheitsgrad, bestätigte in Dresden, dass ihr erst der Stadionzuschauer „ein Stück weit Nervenkitzel“ vermitteln würde. „Wir wollen gerne die Leute mitreißen und freuen uns über jede Person“, versicherte die 21-Jährige, nachdem Voss-Tecklenburg noch sarkastisch angemerkt hatte, man spiele „auch für die, die kein Interesse haben“.An manchen Stellen klingen die Klagen indes auch übertrieben, wenn es etwa um die Anstoßzeiten geht. Die Bundestrainerin würde lieber um 18, 19 oder 20 Uhr spielen, aber wie realistisch ist das? Handballerinnen, Volleyballerinnen oder Basketballerinnen wären froh, wenn sie regelmäßig so viel Bildschirmzeit bekämen.

Zur Wahrheit gehört auch: Schon vor der Corona-Krise waren die Besucherzahlen bei Frauen-Länderspielen rückläufig, der Schnitt hatte sich auf unter 5.000 eingependelt. Während der DFB sich bei der Generalprobe vor der WM 2019 gegen Chile über 10.135 Zuschauer in Regensburg freute, zog Englands Verband im November 2019 ein Highlight-Länderspiel in Wembley gegen die DFB-Auswahl auf, das mit knapp 78.000 Fans alle Rekorde brach. Wenige Monate später erzwang Corona auch im Frauenfußball erst eine Pause, dann reihenweise Geisterspiele.

Unverschuldet in Sippenhaft?

Der Kampf um die Zuschauerrückkehr könnte hier noch beschwerlicher werden, glaubt Claudia Neumann, ZDF-Kommentatorin und Teil der Frauen-Initiative „Fußball kann mehr“. Die deutschen Frauen seien zuletzt bei den Olympischen Spielen 2016 wirklich erfolgreich gewesen, „seitdem fehlt es an Wiedererkennungswert und Identifikationsfiguren, die die Bindung schwer machen“.

Überdies werde der Fußball insgesamt seit der Corona-Krise kritisch gesehen, „es ist gut möglich, dass die DFB-Frauen als ein Teil des Verbandes unverschuldet in Sippenhaft genommen werden“, sagt die langjährige Begleiterin des Frauenfußballs, die am Dienstag ein WM-Qualifikationsspiel kommentierte, das nach Meinung von Voss-Tecklenburg deutlich mehr Unterhaltungswert hatte. „Serbien kann inzwischen den Topnationen das Leben richtig schwer machen.“

Soll heißen: Das Anschauen hatte sich – zumindest in der zweiten Halbzeit – gelohnt.