Dynamo-Trainer: "Ich hätte mich vergraben können"

Dresden. Die Annäherung an die Fans erfolgte zögerlich. Mit jedem Schritt, den die Spieler zum K-Block schlichen, wurden die Pfiffe lauter. Bei den wenigen verbliebenen Anhängern waren Frust und Ärger nach dem Ende der Partie noch nicht verraucht. Die Wut musste raus und entlud sich nun an einer Mannschaft, die sich an der 16-Meter-Line stehend alles anhören musste. Heimniederlagen schmerzen immer, in einem Ost-Duell besonders. Die Art und Weise machte jedoch zornig.
Der Trainer hatte seine Sprache auf der Pressekonferenz zwar wiedergefunden, doch auch bei ihm hatte das 1:4 gegen Mitaufsteiger Hansa Rostock Spuren hinterlassen. "Ich hätte mich vergraben können in den ersten 20 Minuten", sagte Alexander Schmidt. "So etwas habe ich noch nie erlebt, das will ich auch nicht noch mal erleben. Es war absolut beschissen und beschämend, wie leicht Hansa zu Torabschlüssen kommen konnte."
Vier Gegentore kassierte seine Mannschaft – und das innerhalb der ersten 18 Minuten. Auch nach intensiver Suche in den Statistiken steht fest: Das gab es noch nie in der Vereinsgeschichte. Selbst bei der denkwürdigen 1:8-Klatsche im November 2018 in Köln stand es zur Halbzeit erst 0:2.Diese 20 Minuten am Sonntagnachmittag im Harbig-Stadion waren denkwürdige und aus Dresdner Sicht unerklärlich katastrophale.
Die Abstimmungsprobleme in der Defensive waren eklatant, die Körpersprache verheerend, die Mannschaft löste sich in ihre Einzelteile auf. So komisch das klingen mag: Anton Mitryushkin, der aufgrund der Handverletzung von Stammkeeper Kevin Broll sein Debüt im Dresdner Tor – nun ja – feierte, verhinderte sogar noch Schlimmeres. "Er konnte einem fast schon leid tun", erklärt Schmidt.
Ex-Dynamo Duljevic bereitet erstes Rostocker Tor vor
Was bei den Gegentreffern und den Großchancen für Hansa auffiel: Die Gäste hatten im Dynamo-Strafraum Lufthoheit, drei der vier Treffer fielen durch einen Kopfball. Zufall? Absolut nicht. Der Trainer hatte vor der Partie noch eindringlich vor den "großen Kanten mit Gardemaß" gewarnt. Doch auf dem Platz genossen ausgerechnet die dann unerklärliche Freiheiten.
"Die Theorie ist das eine, die Praxis das andere", meinte Schmidt. "Wir haben viel zu leicht die Flanken zugelassen und waren dann im Strafraum nicht nah genug dran an den Gegenspielern, hatten keinen Körperkontakt." Das nutzte allen voran John Verhoek aus, der zweimal unbedrängt einköpfte.
Das erste Hansa-Tor leitete der Ex-Dresdner Haris Duljevic mit einer Flanke ein, Kevin Ehlers, der bis zur U17 in Rostock spielte, war zu weit weg und Mitryushkin mit den Fingerspitzen noch am Ball, konnte das 0:1 aber nicht verhindern. Nur vier Minuten später ließ sich Ehlers an der Grundlinie vernaschen und konnte dadurch die Flanke nicht verhindern, diesmal nickte Nils Fröling ein.
Schmidt wechselt nach 24 Minuten doppelt
Michael Sollbauer empfand den Auftritt ebenfalls "unerklärlich. Jeder Abschluss von denen war ein Tor", sagte er und lieferte zumindest den Ansatz einer Erklärung: "Einer meiner Nachbarn war nicht wach genug." Wen er damit meinte, ließ er jedoch offen. Am dritten Nackenschlag nur weitere drei Minuten später hatte erneut Duljevic eine entscheidende Aktie. Seinen platzierten Versuch aus 20 Metern parierte Mitryushkin zwar, allerdings nach vorn, den Nachschuss von Hanno Behrens konnte er abwehren, doch dann musste Fröling den Ball nur noch über die Linie dreschen.
Die Hansa-Fans hatten hörbar ihre Freude am Spiel, skandierten "Einer geht noch, einer geht noch rein". Und sie behielten recht. Erneut köpfte Verhoek ein. Wenn die Anhänger von der Ostsee mal nicht feierten, war es im Stadion so still wie kurz vor dem Anpfiff, als die 10.000 im Gedenken an den kürzlich verstorbenen Hans-Jürgen Dörner schwiegen.
Schmidt reagierte mit einem Doppelwechsel nach 24 Minuten – wahrscheinlich war auch das ein Rekord – , brachte mit Ex-Kapitän Sebastian Mai mehr Kopfballwucht und mit Vaclav Drchal einen weiteren Stürmer. "Ich hätte sieben, acht oder neun Leute rausnehmen können", erklärte er und wollte damit verhindern, dass die Niederlage an diesen beiden festgemacht wird. "Ich werde nicht mit einzelnen Spielern ins Gericht gehen und auch nicht auf die Mannschaft einhauen. Das bringt nichts", sagte er.
Dynamo wartet auf den ersten Sieg in der Rückrunde
Auch nach den Wechseln änderte sich zunächst kaum etwas – mit einer Ausnahme: Hansa nutzte die Chancen nun nicht mehr so konsequent, Dynamos Ersatz-Keeper rettete einige Male in höchster Not und konnte sich auszeichnen. Erst nach einer halben Stunde begannen dann auch die Schwarz-Gelben, allmählich Fußball zu spielen. Winter-Neuzugang Oliver Batista Meier hatte sogar eine Chance. Seinen Schlenzer kratzte Hansa-Schlussmann Markus Kolke gerade noch so aus dem Winkel (32.).
In der Halbzeitpause habe er die Mannschaft bei der Ehre gepackt, verriet Schmidt hinterher. Die war danach zwar dominant, schnürte den Gegner phasenweise an dessen Strafraum ein, ohne allerdings wirklich zwingend zu sein. Der Kopfball von Mai landete an der Latte (52.), Julius Kade gelang mit einem sehenswerten Schuss aus 23 Metern zumindest der Ehrentreffer. Doch die Niederlage hätte noch höher ausfallen können, wenn Hansa bei den Kontermöglichkeiten zwingender gewesen wäre. Svante Ingelsson traf kurz vor dem Ende nur den Außenpfosten.
"Es geht ganz schnell, dass man wieder hinten reinrutscht", hatte Schmidt vor der Partie erklärt. Im Nachhinein fast schon eine prophetische Aussage. Nach der Klatsche wartet Dynamo weiter auf den ersten Sieg in der Rückrunde. Nur noch vier Punkte sind es bis zum Relegationsplatz.