Dresden. Das Einzige, was in diesem Moment nicht passte, waren die leeren Ränge. Zuschauer hätte diese artistische Einlage auf jeden Fall verdient gehabt. Wahrscheinlich wären sie genauso überrascht gewesen wie der Schütze selbst. „Einen Seitenfallzieher hatte ich bisher noch nicht gemacht“, versicherte Julius Kade nach dem Spiel und wunderte sich scheinbar ein bisschen selbst über sein Kunststück.
Überraschend war nicht nur die technisch formvollendete Umsetzung, Dynamos 1:0-Führung kurz vor der Halbzeitpause beim Heimspiel gegen den SC Verl fiel auch absolut unerwartet. Bis dahin hatte der Drittliga-Aufsteiger den Zweitliga-Absteiger dominiert, erspielte sich mehrere Chancen, nutzte nur keine.
Die Schwarz-Gelben hatten bis zur 43. Minute überhaupt noch nicht aufs Verler Tor geschossen, dann hämmerte Kade nach einer Flanke von Pascal Sohm den Ball in den Winkel – unhaltbar. „Es hat mich vor allem gefreut, dass ich mit diesem Treffer in einem für uns wichtigen Moment gegen sehr starke Verler helfen konnte“, erklärte er. Am Ende gewann Dynamo 4:1 und übernahm auch rechnerisch die Tabellenspitze.
Nach den drei Punkten im Spitzenspiel könnte es in einigen Tagen einen Nachschlag geben. Kades Seitfallzieher wurde für die Wahl zum Tor des Monats Dezember der ARD-Sportschau nominiert. „Das war auf jeden Fall eines der schönsten Tore, die ich in meiner noch jungen Karriere erzielt habe“, meinte der 21-Jährige und bestätigte damit quasi die Auswahl der Sportschau-Redaktion. Doch ob es reicht, um sich gegen die Konkurrenten Leon Bailey (Bayer Leverkusen), Dennis Grote (Rot-Weiss Essen), Fin Bartels (Holstein Kiel) und Quentin Fouley (Rot-Weiß Koblenz) durchzusetzen? Die Abstimmung läuft noch bis zum kommenden Mittwoch, 24 Uhr.
Das waren Dynamos bisherige Gewinner bei der Publikumswahl:
Schmidts Traumtor bringt kein Glück
Gewinnt Kade, würde Dynamo gleich mit zwei Treffern bei der Abstimmung zum Tor des Jahres 2020 dabei sein. Im März hatte sich Patrick Schmidt mit fast 35 Prozent knapp gegen Ex-Nationalspieler Jonas Hector durchgesetzt. Auch sein Tor war ein ganz besonderes – nicht nur, weil er es per spektakulärem Fallrückzieher erzielte. Es war der Siegtreffer zum 2:1 im Sachsen-Duell gegen Erzgebirge Aue, dem letzten Spiel vor vollen Rängen und vor der dreimonatigen Corona-Zwangspause.
Glück brachte die Auszeichnung jedoch nicht – weder Dynamo noch Schmidt. Die Dresdner stiegen am Ende der Saison in die 3. Liga ab, Leihspieler Schmidt kehrte zum 1. FC Heidenheim zurück und saß dort zuletzt meist auf der Tribüne.
Rösler ist 1992 der Erste aus dem Osten
Der Stürmer war erst der sechste Dynamo-Profi in der Geschichte des 1971 eingeführten Gewinnspiels, der die goldene Medaille bekam. Den Anfang machte Uwe Rösler im April 1992, er war zugleich der erste Torschütze des Monats eines ostdeutschen Bundesligisten. Einen 50-Meter-Steilpass von Hans-Uwe Pilz verwertete der Angreifer volley ins lange Eck.
Raths Lupfer und Bogenlampe
Technisch anspruchsvoll war auch die Verwertung eines Einwurfs von Thomas Rath. Im März 1994 ließ er im Spiel bei Borussia Mönchengladbach den Ball am Strafraumeck dreimal auf seinem Fuß tänzeln, bevor er ihn über seinen Gegenspieler hob und dann mit einer Bogenlampe vollendete.
Lavric ist der Erste und bisher Letzte
Zehn Jahre dauerte es, bis sich mit Klemen Lavric wieder ein Dynamo durchsetzen konnte – und das gleich doppelt. Der slowenische Nationalstürmer erzielte mit einem Fallrückzieher gegen Rot-Weiß Erfurt den schönsten Treffer im Dezember 2004 und setzte sich auch bei der Wahl zum Tor des Jahres durch. Er ist damit bis heute der einzige Dynamo-Spieler, dem das gelang.
Ein halbes Jahr nach dem Traumtor wechselte Lavric für eine Million Euro zum damaligen Erstligisten MSV Duisburg. Gleichwertigen Ersatz fand Dynamo trotz der – für damalige Verhältnisse – üppigen Ablöse nicht und stieg am Ende der folgenden Saison in die drittklassige Regionalliga ab. Lavric beendete seine Karriere 2014 beim österreichischen Zweitligisten Kapfenberger SV.
Testroet gewinnt mit Fallrückzieher
Zwei Jahre später gewannen innerhalb von drei Monaten gleich zwei Dynamos die Wahl. Im Januar 2016 setzte sich Pascal Testroet ebenfalls mit einem Fallrückzieher durch. Der später aussortierte und zu Erzgebirge Aue gewechselte Stürmer stand dabei aber deutlich näher am Tor als Lavric 2004. Womöglich reichte es deshalb nicht zum Sieg in der Jahreswertung.
Eilers trifft mit der Hacke
Dies gelang auch Justin Eilers nicht, der sich im März 2016 mit einem Treffer aus der Kategorie Schlitzohr durchsetzte. Aus ganz spitzem und damit eigentlich unmöglichem Winkel traf er gegen Hansa Rostock per Hacke. Der verdutzte Schlussmann Marcel Schuhen ließ den Ball durch seine Beine rollen.
Auch dank der vielen weiteren Tore von Testroet und Eilers stieg Dynamo am Ende im Frühjahr 2016 in die 2. Bundesliga auf. Das ist auch das erklärte Ziel von Kade. „Wir wollen das Punktepolster auf die Konkurrenz bis zum Saisonende konsequent verteidigen“, erklärte der 21-jährige, der im Sommer von Union Berlin kam. „Wir können als Mannschaft auf die zurückliegenden Monate und unseren Lauf stolz sein. Hoffentlich geht es so weiter wie bisher, denn erreicht haben wir noch nichts.“
Bei einem Aufstieg könnte Kade sicher auch auf die Sportschau-Medaille verzichten. Mehr schmerzen würden aber leere Ränge im Stadion.