SZ + Sport
Merken

Wer ist der Beste? Wie sich Handballer jetzt fair vergleichen lassen

Der Handballer Oliver Seidler liegt trotz weniger Einsätze beim Zweitligisten HC Elbflorenz Dresden in einer Statistik weit vorn, die noch kaum einer kennt.

Von Alexander Hiller
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Oliver Seidler (r.) jubelt mit seinem Kreisläufer-Kollegen Jonas Thümmler. Der wirft zwar mehr Tore, Seidler verhindert dafür viele.
Oliver Seidler (r.) jubelt mit seinem Kreisläufer-Kollegen Jonas Thümmler. Der wirft zwar mehr Tore, Seidler verhindert dafür viele. © Lutz Hentschel

Dresden. Statistiken haften mitunter einige geheimnisvolle Details an. Bestes Beispiel dafür ist Oliver Seidler. Der Handball-Profi des Zweitligisten HC Elbflorenz hat zwar erst acht der 16 Punktspiele für seinen neuen Verein bestritten, ist aber streng statistisch betrachtet der bislang beste Spieler des Tabellensechsten. Und das in einem Datensatz, der der Öffentlichkeit bislang fast verborgen geblieben ist.

Seit der Saison 2020/21 speist die 1. und 2. Handball-Bundesliga alle möglichen Werte in ein System ein, das Handball Performance Index (HPI) genannt wird. An der Entwicklung des Verfahrens, aus dem die „Mannschaft des Spieltages“ entsteht, hat auch Elbflorenz-Trainer André Haber mitgewirkt. „Im Prinzip geht es darum, Spieler vergleichbar zu machen, vor allem innerhalb einer Position und über einen Wert“, erklärt der 38-Jährige und verdeutlicht: „Handball ist eine Mediensportart. Über diesen HPI wird schneller ersichtlich, wer hat ein gutes, wer ein sehr gutes Spiel gemacht. Auf diesem Wert basiert auch die Mannschaft des Spieltages“.

Tore werden auch nach Wahrscheinlichkeit bewertet

Der HPI wird während eines Spiels live aus der Halle von Scouts erfasst, die alle Werte direkt in das Programm eintragen. Eine andere Person überprüft anschließend per Videoauswertung die Richtigkeit und verbessert im Zweifelsfall einzelne Details.

In den Handball Performance Index fließen sowohl positive als auch negative Werte ein. „Für einen getroffenen oder verworfenen Ball, eine Parade des Torhüters oder ein Gegentor gibt es Minuspunkte. Dabei wird nicht jeder Wurf gleich bewertet“, sagt Haber. Ein Tor aus einem Konter heraus wird beispielsweise mit weniger Punkten bedacht als ein Treffer aus dem Rückraum. „Weil beim Konter die Wahrscheinlichkeit eines Tores höher ist“, erklärt Haber. Der Maximalwert des HPI liegt bei 100.

Dresdens Kreisläufer Oliver Seidler liegt als statistisch bester Spieler seines Teams mit durchschnittlich 77 Punkten in der 2. Bundesliga derzeit auf Rang fünf. Und das vor allem aufgrund seiner defensiven Qualitäten. „Oli gelingen in der Abwehr viele Ballgewinne, das macht ihn so wertvoll“, betont Sportdirektor Rico Göde, der den 25-Jährigen vor der Saison nach Dresden gelotst hatte. Auch, aber nicht ausschließlich, weil Seidler im Trikot des Absteigers Würzburg mit 76 HPI-Punkten in der Vorsaison statistisch der zweitbeste Zweitliga-Profi war.

Oliver Seidler (2.v.l.) definiert sich eher als Abwehrspieler. Gegentore verhindern bereitet dem 25-jährigen Leipziger mehr Spaß.
Oliver Seidler (2.v.l.) definiert sich eher als Abwehrspieler. Gegentore verhindern bereitet dem 25-jährigen Leipziger mehr Spaß. © ronaldbonss.com

„Ich muss ehrlich sagen, der Wert ist mir nicht so wichtig. Ich weiß auch nicht, wie er sich genau zusammensetzt“, sagt Seidler, der sich gleich im ersten Punktspiel der neuen Saison einen Innenbandriss zuzog und knapp sieben Wochen fehlte. „Wichtig ist, dass die Mannschaft gewinnt und man selbst gut performt. Alles andere ergibt sich von selbst“, erklärt der gebürtige Leipziger.

Er definiert sich ohnehin eher als Abwehrspieler. „Darauf liegt mein Hauptaugenmerk. Ich glaube, da kann ich der Mannschaft unglaublich viel geben und helfen“, sagt der 1,95 Meter große Hüne, der bislang 24 Saisontore erzielte. „Ich verteidige gern, schon in der C-Jugend, da wollten alle anderen lieber Tore werfen. Das ist so geblieben“, erklärt Seidler und meint selbstbewusst: „Ich glaube, ich mache das relativ gut.“

Der junge Mann, mit der B- und A-Jugend des SC DHfK Leipzig jeweils deutscher Meister, ahnt Pässe des Gegners schneller und eher voraus als viele seiner Kollegen. Möglicherweise ist Seidler – oder vielmehr dessen langer Ausfall – mit diesem speziellen Können auch ein Puzzleteil, weshalb dem HC Elbflorenz der Sprung ins obere Tabellenviertel noch nicht gelungen ist. Dem könnte sein Verein am Sonntag beim Heimspiel gegen Dormagen, 17 Uhr, wieder einen Schritt näher kommen.

Freundin Marie zieht im nächsten Jahr nach Dresden

Der mit 108 Kilogramm athletische Kreisläufer steht nicht gern im Mittelpunkt, die wichtige Abwehrarbeit fällt den wenigsten auf. „Rein von der Aufstellung gibt es Königspositionen wie der linke oder rechte Rückraum“, sagt Seidler. Aber auch für das körperlich ungemein harte Spiel an Kreiszentren muss man ein Faible haben. „Fast alle Feldspieler sagen, wie kann man sich nur ins Tor stellen. Aber die Torhüter sagen, wir Kreisläufer sind durchgeknallt“, erklärt Seidler lachend.

Direkt am Kreis wird gezogen, gedrängelt, geschubst, gekniffen. Das muss man mögen. Seidler geht gern in diese Zonen, wo es wehtut. Ohne blaue Flecken oder Striemen geht er nach keinem Spiel nach Hause.

Dort wartet auf den jungen Mann, der sich neben dem Handball gerade zum Sport- und Fitnesskaufmann ausbilden lässt, derzeit noch niemand auf ihn. Freundin Marie wohnt noch in Würzburg. Im kommenden Jahr will sie nach Abschluss ihrer Ausbildung zur medizinisch-technischen Laborassistentin nach Dresden ziehen. Mit ein wenig Glück und vor allem Spielgeschick ist er dann immer noch der statistisch beste Spieler des HC Elbflorenz.