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Wissenschaftlerin schlägt Alarm: Sachsens Kinder sind immer unsportlicher

Eine Studie der Uni Leipzig belegt: Die Beweglichkeit von Mädchen und Jungen im Vorschulalter nimmt rapide ab. Gefordert werden nun Maßnahmen wie tägliche Sportübungen in den Kitas.

Von Daniel Klein
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Sportunterricht in einer Grundschule in Meißen. Eine Studie der Uni Leipzig warnt vor immer mehr unsportlichen Kindern in Sachsen.
Sportunterricht in einer Grundschule in Meißen. Eine Studie der Uni Leipzig warnt vor immer mehr unsportlichen Kindern in Sachsen. © SZ-Archiv: Claudia Hübschmann

Leipzig. Geahnt und befürchtet hat man es schon länger, einige Studien bestätigten bereits die persönlichen Beobachtungen. Nun liegen auch für Sachsen verlässliche Zahlen und Ergebnisse vor - und die sind alarmierend. Zusammenfassen lassen die sich in einem Satz: Im Vorschulalter hat die sportliche Beweglichkeit bei den Kindern in den vergangenen zehn Jahren deutlich abgenommen. "Es besteht dringend Handlungsbedarf", sagt Christian Dahms, Geschäftsführer des Landessportbundes Sachsen.

Ermittelt werden konnten die koordinativen Fähigkeiten der Kinder im Alter zwischen drei und sieben Jahren, weil im Freistaat vor zehn Jahren ein Kindersportabzeichen mit Flizzy als Maskottchen an den Start ging. Dabei müssen die Mädchen und Jungen sieben Übungen absolvieren: Standsprung, Ziellaufen, Rumpfbeugen, Pendellauf, Balancieren, Hampelmann und Purzelbaum. Je nach Ausführung der einzelnen Elemente gibt es einen bis drei Punkte, insgesamt also sieben bis 21 Punkte.

Diese Daten bildeten die Grundlage für eine Studie, die Heike Streicher von der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig am Dienstag (5.12.) vorstellte. Dabei wurden sachsenweit zwischen 2013 und 2023 knapp 90.000 Mädchen und Jungen im Kindergarten-Alter erfasst. "In den Jahren zwischen 2013 und 2017 ist ein signifikanter Abfall der motorischen Fähigkeiten zu erkennen, im Schnitt um mehr als zwei Punkte", erläuterte Streicher. "Seitdem verharren die Werte in etwa auf einem Niveau - aber eben auf einem sehr niedrigen."

Kitas lehnen eine sportliche Leistungsbewertung ab

Auch die Auswirkungen der Corona-Zeit und der damit verbundenen Bewegungseinschränkungen werden in der Studie sichtbar. "Die Leistungen gingen besonders in der Altersgruppe der fünf- bis siebenjährigen Kinder zurück", so Streicher. Da die Daten aufgeschlüsselt nach Stadt- und Kreissportbünden erfasst wurden, lassen sich auch territoriale Unterschiede ableiten.

So schneiden die Landkreise Görlitz und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge überdurchschnittlich gut ab, Bautzen und Meißen sowie die Landeshauptstadt Dresden schlecht. "Insgesamt ist der Trend zu erkennen, dass die Kinder in den ländlichen Regionen sportlicher sind als in den Großstädten", erklärte Streicher.

Robert Baumgarten ist Geschäftsführer des Stadtsportbundes in Dresden - und kämpft gegen den Trend an. Mit ausgebildeten Übungsleitern geht er in die Kitas, damit die Kinder das Sportabzeichen Flizzy ablegen. "Allerdings erleben wir immer wieder, dass wir abgewiesen werden, weil manche Einrichtungen die damit verbundene Leistungsbewertung ablehnen", erklärt Baumgarten. In manchen Kitas dürfen zudem keine Purzelbäume gemacht werden - aus Versicherungsgründen, also wegen der Verletzungsgefahr.

Kinder verbringen zu viel zeit vor Bildschirmen

Möglichkeiten zum Toben und Sporttreiben werden so immer mehr eingeschränkt. Die Folgen sind fatal. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfehle, dass sich Kinder 180 Minuten am Tag bewegen, so LSB-Chef Dahms. "Bundesweit schaffen das 80 Prozent nicht. Laut einer Studie des Robert-Koch-Institutes sind in Deutschland 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen übergewichtig, sechs Prozent sogar adipös."

Die Ursachen sieht er neben einer falschen Ernährung im Bewegungsmangel. "Kinder und Jugendlichen verbringen viel zu viel Zeit vor Bildschirmen", sagt Dahms. Studien hätten zudem gezeigt, dass Kinder und Jugendliche, die regelmäßig Sportlich aktiv sind, weniger anfällig für Stress, Angstzustände und Depressionen sind. Sie können sich auch besser konzentrieren. "Toben macht schlau", bringt er die Ergebnisse plakativ auf einen Punkt.

Sportwissenschaftlerin Streicher fordert als Konsequenzen der nun vorgelegten Sachsen-Studie, dass in den Kitas "Räume geschaffen werden, um tägliche Übungen machen zu können". Sie meint damit explizit auch zeitliche Räume. "Und die Kooperationen zwischen Sportvereinen und Kindereinrichtungen müssten ausgebaut werden. Bindungen mit dem organisierten Sport sollten so früh wie möglich entstehen", erklärt Streicher.

In den Ballungszentren könnte das jedoch schon allein an Kapazitätsgründen scheitern. In Leipzig, Chemnitz und Dresden soll es Fälle geben, bei denen Vereine Wartelisten erstellen müssen, weil die Nachfrage das Angebot für Kinder übersteigt. Das wiederum liegt an der zu geringen Zahl an ehrenamtlichen Übungsleitern und zum Teil auch am Zustand der Sportstätten. Ein Teufelskreis.