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Warum Russlands Riese kein Interview mag

Langlaufstar Alexander Bolschunow ist ein Einzelgänger, der mehr trainiert als alle anderen. Dennoch gilt er als böser Bube. Zu unrecht, findet sein deutscher Trainer.

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Verschnupft nach dem vierten Platz im WM-Freistilrennen über 15 Kilometer: Alexander Bolschunow aus Russland im Ziel von Oberstdorf.
Verschnupft nach dem vierten Platz im WM-Freistilrennen über 15 Kilometer: Alexander Bolschunow aus Russland im Ziel von Oberstdorf. © dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Von Uwe Wicher

Oberstdorf. Bolschunow hier, Bolschunow da – wenn der russische Skilangläufer nach den Rennen den obligatorischen Gang durch die Mix-Zone macht, nimmt der Andrang der Medienleute sofort zu. Vor allem die Norweger sind begeistert, wenn der 1,85 Meter große Modellathlet vor ihren Mikrofonen stehen bleibt, danken ihm sogar mit einem tiefen Diener und rufen ihm mehrfach „tysen takk“ („vielen Dank“) hinterher.

So ist es sogar am Mittwoch wieder, als Alexander Bolschunow in Oberstdorf im Freistilrennen über 15 Kilometer überraschend nur Vierter wird, geschlagen von den drei Norwegern Holund, Krüger und Amundsen.

„Es ist schon selten, dass er Interviews gibt, er mag das nicht“, erzählt Markus Cramer, der deutsche Trainer im russischen Langlaufteam, im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung. Bolschunow ist im Umgang mit Journalisten zudem misstrauisch. Er hat ständig einen Dolmetscher an seiner Seite, weil er sich im Englischen nicht sicher fühlt.

Aus seiner Sicht ist das nachvollziehbar, denn er erlebt immer wieder, dass jeder passende Anlass genutzt wird, um ihn als bösen Buben in der Langlaufszene darzustellen.

Einem 24-Jährigen auch mal Fehler zugestehen

Jüngstes Beispiel ist sein Verhalten nach dem Teamsprint am vergangenen Sonntag, als er seinen Partner Gleb Retiwych nicht im Ziel erwartet, während die Duos aus Norwegen und Finnland gemeinsam über Gold und Silber jubeln.

Retiwych hatte es nicht geschafft, den von Bolschunow herausgelaufenen Vorsprung ins Ziel zu bringen. „Dass Alexander erst erschien, als er sich umgezogen hatte, wurde gleich wieder als Eklat aufgebauscht“, meint Cramer, und er fügt an, worüber nicht berichtet wurde: „Am Abend war ich mit beiden bei der Medaillenzeremonie, da konnte jeder sehen, dass zwischen ihnen alles in Ordnung ist.“

Für keineswegs in Ordnung hält Cramer dagegen den Bodycheck, mit dem Bolschunow Ende Januar in Lahti den Finnen Joni Mäki hinter der Ziellinie umstieß, weil der ihn im Schlussspurt mit einem grenzwertigen Spurwechsel behindert hatte. „Dafür gab es zu Recht als Strafe die Disqualifikation, doch damit muss es auch genug sein“, sagt der Trainer.

Man müsse einem 24-Jährigen auch mal einen Fehler zugestehen. „Er hat sich entschuldigt, was soll er denn noch tun?“ Trotzdem werde der Vorfall immer wieder hochgekocht.

Ärger über Sippenhaft

Ärgerlich reagiere die junge russische Langlaufgeneration um Bolschunow auch darüber, dass sie ständig mit den Dopingsünden ihrer Vorgänger in Verbindung gebracht werden. „Wenn drei Norweger vorn sind, sagt niemand etwas. Sind drei Russen vorn, kommt sofort wieder das Dopinggerede“, schildert Cramer die nicht unberechtigte Sichtweise seine Schützlinge.

Der Sauerländer Cramer, in der Nähe von Winterberg zu Hause, gehört seit fünf Jahren zu den Trainern der russischen Elite-Läuferinnen und -Läufer. Für den Topläufer Bolschunow ist der 58-Jährige zwar nicht als Heimcoach verantwortlich, aber in der gesamten Wintersaison sind die für den russischen Verband typischen Trainingsgruppen im Weltcup gemeinsam unterwegs.

„Er ist ein Einzelgänger, voll fokussiert auf sich, schaut nicht rechts und links, macht in jedem Training mehr als alle anderen“, erklärt Cramer, und er verdeutlicht das an einem Beispiel: „Wenn seine Teamkollegen nach dem Essen noch zusammensitzen, triffst du ihn noch auf dem Flur beim Stretchen oder im Fitnessraum an einem Gerät.“

Mit dem Privatjet nach Dresden

Der ihm nachgesagte unbändige Wille und sein Ehrgeiz haben sich für Bolschunow trotz seines jungen Alters schon mehr als bezahlt gemacht. Der Sohn eines Waldarbeiters aus einem Dorf südlich von Moskau nahe der ukrainischen Grenze hat allein in der bisherigen Saison ein Preisgeld in Höhe von 176.000 Schweizer Franken (rund 160.000 Euro) eingestrichen.

Russische Sponsoren erfüllen ihm alle Wünsche. So geht er mit ihrer Hilfe allen Corona-Risiken aus dem Weg: Zum Sprint-Weltcup nach Dresden flog er mit einem Privatjet ein, nach Oberstdorf brachte ihn ein Hubschrauber.