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Olympia-Serie: Was „Gunda gnadenlos“ heute macht

1992 gewann Eisschnellläuferin Gunda Niemann-Stirnemann das erste gesamtdeutsche Olympia-Gold. Wie es ihr heute geht – Start der Sächsische.de-Serie.

Von Michaela Widder
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Diese Medaille hat eine Geschichte. Jahrhundert-Eisschnellläuferin Gunda Niemann-Stirnemann gewann bei Olympia 1992 in Albertville das erste Gold für die gesamtdeutsche Mannschaft.
Diese Medaille hat eine Geschichte. Jahrhundert-Eisschnellläuferin Gunda Niemann-Stirnemann gewann bei Olympia 1992 in Albertville das erste Gold für die gesamtdeutsche Mannschaft. © Michaela Widder

Erfurt. Die Journalistentraube hat sich an der Abfahrtspiste von Albertville versammelt. Dort erwartet man bei den Winterspielen 1992 von Markus Wasmeier das erste Olympiagold für das wiedervereinigte Deutschland. Doch der Bayer verpasst die Medaille knapp, er wird Vierter. Fast gleichzeitig triumphiert indes eine Eisschnellläuferin aus Thüringen: Gunda Niemann. „Nach dem Rennen stand nur ein kleiner Haufen Journalisten da, weil die meisten bei der Abfahrt waren“, erzählt sie. Erst später wurde ihr die historische Bedeutung der Goldmedaille bewusst, die auch für die damals 25-Jährige die erste bei Olympia ist.

30 Jahre später beim Fototermin auf dem Domplatz in Erfurt zieht sie die Plakette aus der Jackentasche und verrät eine kleine Geschichte um das Goldstück.

Plötzlich ist die Medaille weg

Die Medaille war zum ersten Mal aus Glas – das Symbol für Schnee und Eis – und mit Gold umrandet. „Sie war auf einmal durch die vielen Hände der Fans abhandengekommen, aber dann tauchte sie zum Glück noch auf. Als ich sie zurückbekam“, erinnert sich Niemann-Stirnemann, „war ein Stück Glas abgesplittert.“ Die Organisatoren wollten die Medaille austauschen, doch sie wollte das Original unbedingt behalten.

Es blieb nicht ihre einzige Medaille bei den Winterspielen in Frankreich. Erst gab es Silber über 1.500 Meter, dann jenes Gold über 3.000 Meter, und am Ende holte sie ihren zweiten Olympiasieg über 5.000 Meter und verwies eine damals 19-jährige Berlinerin auf Rang drei: Claudia Pechstein.

Die Zeit der großen Duelle auf den langen Strecken begann. Bei den Winterspielen 1994 in Lillehammer wurde Niemann über 5.000 Meter knapp hinter Pechstein Zweite. Vier Jahre später, 1998 in Nagano, gelang der Erfurterin, die mittlerweile Niemann-Stirnemann hieß, erneut der Gold-Coup auf ihrer Lieblingsstrecke 3.000 Meter, diesmal vor Pechstein. Über 5.000 Meter tauschten sie die Plätze eins und zwei.

Auf dem Eis pflegten beide Ausnahme-Athletinnen eine Dauerrivalität, die kurzzeitig in eine Eiszeit mündete. Was kaum einer weiß: „Wir konnten auch super zusammen feiern“, verrät Niemann-Stirnemann bei einem Latte Macchiato in einem kleinen Café auf dem Domplatz. „Abends saßen wir im Hotelfoyer und haben an der Bar richtig Gas gegeben“, erzählt sie.

Ihr kraftvoller, nicht ästhetischer Laufstil wurde belächelt, war aber sehr effektiv.
Ihr kraftvoller, nicht ästhetischer Laufstil wurde belächelt, war aber sehr effektiv. © picture alliance / augenklick

Die dreimalige Olympiasiegerin, die sich seit 1999 auch Jahrhundert-Eisschnellläuferin nennen darf, denkt gern an diese Zeit zurück, selbst wenn die Karriere in ihrem Leben heute keine große Rolle mehr spielt. Dabei geht sie jeden Tag in die Eislaufhalle, die ihren Namen trägt. „Das gehört zu mir und macht mir schon ein wohliges Gefühl“, betont die 55-Jährige.Niemann-Stirnemann, die zwölf Jahre als Expertin für das ZDF tätig war, arbeitet am Stützpunkt in Erfurt und kümmert sich um den Eisschnelllauf-Nachwuchs. Assistenz des Bundestrainers heißt ihre Stelle. Trainerin aus Leidenschaft ist sie, man merkt es in jedem Satz, wenn sie über ihre Arbeit spricht, die mehr eine Berufung ist. „Du bist für die Jugendlichen auch Vertrauensperson, lebst mit denen, gehst zusammen durch dick und dünn“, erklärt sie.

Gold für Deutschland: Die SZ-Olympia-Serie

„Gunda gnadenlos“, wie sie früher genannt wurde, sei sie nun nicht mehr. „Ich war nur mir gegenüber gnadenlos“, meint Niemann-Stirnemann, die erst mit 17 mit dem Eislaufen begann und für ihren alles andere als ästhetischen Laufstil lange belächelt wurde. Dass sie es war, die die Revolution des Klappschlittschuhs in Deutschland 1997 angeschoben hat, wird oft vergessen.

Pünktlichkeit ist der Trainerin dennoch ebenso wichtig wie Zielstrebigkeit, und dazu gehöre auch eine gewisse Härte. Dass im Training Handyverbot gilt, ist ohnehin fast selbstverständlich. Doch es gibt eben auch die andere, die lockere Seite. Mit der Trainingsgruppe geht Niemann-Stirnemann auf den Rummel und lässt sich von ihren Athleten, die sie mit „Gunda“ und „Sie“ ansprechen, für das schwindelerregendste Fahrgestell auf dem Domplatz überreden. „Ich habe nur geschrien“, meint sie.

In Nagano siegt sie über 3.000 Meter vor Claudia Pechstein (l.) und Anni Friesinger.
In Nagano siegt sie über 3.000 Meter vor Claudia Pechstein (l.) und Anni Friesinger. © picture alliance / augenklick

Täglich steht sie auf dem Eis, mit der Stoppuhr dreht sie gemächlich ihre Runden. Nach einer schweren Knie-Operation ist das Schlittschuhlaufen für sie aber nicht mehr das, was es mal war. „Man weiß ja auch, wie schön tief man gelaufen ist.“ Auf dem Rennrad hält sie mit den Nachwuchsläufern, die 14 und 15 Jahre alt sind, allerdings immer noch gut mit.

Dass es zurzeit im deutschen Eislauf kränkelt, weiß natürlich auch Niemann-Stirnemann. „Wir befinden uns in einem Neuaufbau und wussten, dass es für Olympia schwer wird. In jeder Sportart hast du mal ein Tief“, sagt sie. Allerdings gab es das letzte Edelmetall bei Olympia 2010. Bezeichnend ist zudem, dass es Pechstein mit 49 Jahren zu den achten Winterspielen geschafft hat – weil sie keine jüngere Athletin verdrängen konnte. „Das spricht in erster Linie für Claudia“, kontert Niemann-Stirnemann.

Auf den Sport bezogen, sei die Berlinerin etwas „ganz Besonderes“. In der Olympiavorbereitung habe sie Pechstein in der Erfurter Halle öfter gesehen und sagt: „Wie hart Claudia trainiert, da kann man nur den Hut ziehen.“ Wenn das jemand einschätzen kann, dann Niemann-Stirnemann, die sich selbst bis zur völligen Erschöpfung quälen konnte. 17 Jahre in der Weltspitze, in denen sie 19 Weltmeistertitel und genauso viele Gesamtweltcupsiege sammelte, sind der Lohn.

Mittlerweile genießt sie jetzt aber die ruhigen Runden mit Border Collie Keya am Rande von Erfurt, genauso wie entspannte Abende mit Freundinnen. Auch das Leben nach dem Sport ist schön.