SZ + Sport
Merken

So verarbeitet Deutschlands beste Shorttrackerin die Olympia-Enttäuschung

Die Dresdnerin Anna Seidel will ihre dritten Olympischen Spiele genießen. Nach anderthalb Minuten ist für sie aber alles vorbei. Welche Lehren die 23-Jährige zieht.

Von Tino Meyer
 4 Min.
Teilen
Folgen
Die Dresdnerin Anna Seidel stürzt im Vorlauf. Der Grund fürs Aus ist ein anderer.
Die Dresdnerin Anna Seidel stürzt im Vorlauf. Der Grund fürs Aus ist ein anderer. © dpa/Peter Kneffel

Peking. Sie hatte nur einen großen Wunsch. „Ich möchte zeigen, was ich kann“, sagte Anna Seidel vor ihrem ersten und einzigen olympischen Auftritt in Peking. Im Fall der Shorttrackerin aus Dresden bedeutet das: Bitte nicht wieder stürzen und, das schiebt sie im Laufe des Gesprächs vor knapp einer Woche nach, nicht schon in der ersten Runde ausscheiden.

Weder das eine noch das andere erfüllt sich am Mittwochabend Ortszeit im Capital Indoor Stadium, wo Seidel ihre dritten Olympischen Spiele genießen will – und sich heute dann auch Träume für die mittlerweile weltbekannte russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa erfüllen sollen.

Für Seidel wird der Auftritt zum Albtraum, im Vorrundenlauf über die 1.500 Meter kommt für sie alles Schlechte zusammen. Vier Runden vor Schluss stürzt die 23-Jährige, rappelt sich aber nach einem Schreckensmoment wieder auf. Als sie das Ziel erreicht, gibt es sogar vereinzelt Beifall. Ausgeschieden ist Seidel trotzdem – und danach untröstlich.

Physisch alles okay, psychisch nicht

„Ich habe mich sehr gut gefühlt, im Training schon und auch heute beim Warm up“, sagt sie mit brüchiger Stimme, die zunächst mit jedem Wort fester wird, als sie ihren Lauf beschreibt. Gut habe der begonnen, und tatsächlich hält sich Seidel in der Rundenhatz auf dem Eis in vorderer Position auf. Die ersten drei Läuferinnen erreichen das Halbfinale, und das ist auch ihr Mindestziel. Nach anderthalb Minuten ist plötzlich alles vorbei, unsanft landet Seidel auf dem Hosenboden, rutscht übers Eis und kracht in die Bande.

Das sieht schlimmer aus, als es ist. Körperlich, sagt sie, sei alles okay. Psychisch aber bricht eine Welt zusammen. Das wird jetzt noch offensichtlicher, und das ist bei ihrer Vorgeschichte wenig verwunderlich.

Nach einem Schien- und Wadenbeinbruch im März vergangenen Jahres hatte sich Seidel unter Schmerzen zurückgekämpft. Schon 2014 bei den Spielen in Sotschi war sie dabei, und auch 2018 in Pyeongchang, wo sie zweimal stürzte. Und auch diesmal schaffte sie es – als einzige deutsche Shorttrackerin, trotz nur halb erfüllter Norm. Und nun das!

„Ich war wahrscheinlich schon wieder zu aufgeregt"

Die in der Sportart immer berechtigte Hoffnung, dass einem Sturz der Regelverstoß einer anderen Läuferin vorausgegangen sein könnte, ist diesmal vage und entpuppt sich wenig später als irrelevant. Seidel selbst erhält vom Schiedsrichter eine Penalty-Strafe. Das heißt: Disqualifikation – für einen regelwidrigen Überholvorgang eine halbe Runde zuvor. „Ich war wahrscheinlich schon wieder zu aufgeregt, habe einen Überholvorgang nicht sauber genug vorbereitet, und dafür habe ich dann einen Penalty bekommen“, erklärt sie.

Dieser Umstand trifft sie offensichtlich noch härter als das Aus an sich, denn damit ist Seidel gewissermaßen selbst schuld. „Ich kann das noch nicht so richtig begreifen und möchte am liebsten noch mal neu aufstehen und noch mal neu laufen und…“ Dann bricht sie in Tränen aus. „Es ging mir schon besser“, sagt Seidel nach kurzer Pause und wirkt einigermaßen gefasst.

Allgemeine Fragen zum Zustand des Shorttracks in Deutschland zum Beispiel erübrigen sich jetzt ebenfalls wie die nach ihrer persönlichen Zukunft. Vor den Spielen hatte Seidel schon mal vom Karriere-Ende gesprochen. Was sie aus dem Sturz lernen möchte, weiß die Dresdnerin indes schon genau.

Acht Journalisten für eine Sportlerin

„Ich muss ganz einfach schauen, dass ich bei solchen großen Wettkämpfen irgendwie entspannter bleibe und mir das ganze Drumherum nicht so zu Herzen nehme“, sagt Seidel, und sie hat auch schon eine grobe Idee, wie das noch in dieser Saison gelingen könnte: „Bei der WM ist ja dann wieder weniger mediales Interesse da, sodass es mir dann wieder ein bisschen leichter fallen wird.“

Tatsächlich ist die Betreuungsquote, wenn man das so nennen will, bei Seidel unübertroffen. Acht Journalisten stehen um die eher zierliche junge Frau, die in der großen Interviewzone nun noch kleiner und verlorener wirkt.

Einsam, erzählt sie schließlich noch, sei sie als einzige deutsche Shorttrackerin nicht gewesen. Sie kenne ja die Eisschnellläufer gut und auch viele andere Sportler. „Also ich war nicht allein in meinem Zimmer“, sagt sie – und muss dabei sogar kurz lachen.