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Bob-Dominator Friedrich und Anschieber Margis: Zusammen unschlagbar

Sie sind ohnehin die Besten der Welt und bei den großen Rennen noch besser. Für den Olympiasieg brauchen Francesco Friedrich und Thorsten Margis diesmal aber auch weibliche Unterstützung.

Von Tino Meyer
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Für diesen goldigen Moment haben Francesco Friedrich (links) und Thorsten Margis die letzten Monate viele Entbehrungen in Kauf genommen.
Für diesen goldigen Moment haben Francesco Friedrich (links) und Thorsten Margis die letzten Monate viele Entbehrungen in Kauf genommen. © dpa/Robert Michael

Peking. Die anderen erzählen, Francesco Friedrich macht, und Thorsten Margis übernimmt den emotionalen Part. Damit ist alles gesagt – und doch wieder nicht, nach diesem Zweierbob-Rennen schon gar nicht. So selbstverständlich das Ergebnis wirken mag, wenn der Bobdominator gewinnt, diesmal ist alles anders. Es ist schließlich Olympia. Die Sieger aber heißen wieder: Friedrich/Margis.

„Uns fällt ein riesen Stein vom Herzen, dass wir es geschafft haben auf dieser komplizierten Bahn, wo auch noch das Training schlecht lief. Wir sind verdammt stolz, und morgen früh geht’s gleich weiter mit dem ersten Vierertraining. Das sind wir den anderen Jungs im Team schuldig, dass wir jetzt weiter alles geben“, sagt Friedrich. Wer das für unterkühlt hält, kennt den Pirnaer nicht. Dieses Analytische, auch nach größten Triumphen, ist typisch für ihn und das Dauergrinsen jetzt fast schon das Maximale an sichtbarer Freude.

Dann öffnet er den Rennanzug und zeigt seinen ganz persönlichen Glücksbringer: ein Kleeblatt mit Herz sowie den Anfangsbuchstaben seiner Söhne Karl und Hannes und von Frau Magdalena. „Viele Grüße. In fünf Tagen bin ich bei Euch zu Hause“, ruft Friedrich noch in die Fernsehkamera, danach schaltet er wieder in den Wettkampfmodus.

Das gab es im Bobsport noch nie

Zum dritten Mal ist er mit Margis jetzt Olympiasieger geworden, den Triumph im Zweier von 2018 wiederholt das eingespielte Erfolgsduo allerdings nicht irgendwie. Es kommt einer Machtdemonstration gleich. Dabei hat die Konkurrent geglaubt, dass sie Friedrich diesmal kriegen. Am Ende ist er wieder vorn, und das mit großem Abstand. „Immer wenn wir nahe dran sind, packt er noch einen aus. Er hat uns wieder mal eine Lektion erteilt“, sagt Johannes Lochner halb anerkennend, halb desillusioniert.

Mit 0,49 Sekunden Rückstand – oder umgerechnet 25 Meter – fährt er mit Anschieber Florian Bauer auf Platz zwei. Weitere 1,2 Sekunden dahinter auf dem dritten Rang machen die Olympia-Debütanten Christopher Hafer/Matthias Sommer den deutschen Dreifach-Erfolg perfekt. So etwas hat es im Bobsport nie zuvor gegeben.

Ein Kleeblatt im Rennanzug ist Friedrichs Glücksbringer.
Ein Kleeblatt im Rennanzug ist Friedrichs Glücksbringer. ©  dpa/Robert Michael

„Damit war auf dieser Bahn überhaupt nicht zu rechnen“, sagt Bundestrainer René Spies, der nach dem medaillenlosen Abschneiden im Monobob schon die goldene Bilanz der deutschen Rodler und Skeletonis vorgehalten bekommen hat. Gold, Silber und Bronze in einem Rennen – das haben die anderen Kufensparten nicht geschafft. Eine Medaille ist diesmal Pflicht gewesen, zwei hat auch Spies für möglich gehalten. Alle drei aber sind eine mittelgroße Sensation – genauso wie die Art und Weise von Friedrichs Triumph, die selbst ihn für einen Moment emotional explodieren lassen.

Es ist der dritte Lauf, kurz nach 20.15 Uhr Ortszeit. „Da werden die Messen gelesen“, hat Margis tags zuvor gesagt, und es bleibt nicht nur bei der Ankündigung. Wieder Startrekord, wieder Bahnrekord – 1.615 Meter in 58,99 Sekunden lassen den Olympiasieg in greifbare Nähe rücken. Dann passiert‘s: Friedrich ballt im Ziel die Fäuste, er schreit, die Anspannung muss jetzt raus – aber auch der Bob aus der Bahn. Sie haben vorgelegt, die anderen kommen jetzt.

Doch beide spüren: Das Ding ist durch. Während die Zweitplatzierten Lochner/Bauer am Start stehen, klatschen Friedrich und Margis nicht ab, wie sie es eigentlich nach den Läufen tun. Diesmal umarmen sich der Perfektionist an den Lenkseilen und sein erfolgsbesessener Anschieber – eine Geste, die mehr sagt als alle Worte. Jeder weiß, was er am anderen hat. Zusammen sind sie unschlagbar, gerade bei Olympia.

Selbst ein Friedrich braucht seine Zeit

Mit Start- und Bahnrekord haben die beiden Ausnahmeathleten schon im ersten Lauf die Konkurrenz geschockt, im zweiten verbessern sie die Bestzeit am Start erneut, nur leistet sich Friedrich zwei Ungenauigkeiten in der Bahn. „Pillepalle“, sagt Margis dazu, der Vorsprung aber schrumpft von 0,24 auf 0,15 Sekunden. Schließlich der zweite Tag, an dem alle schwächeln – außer die späteren Sieger. „Du musst deine Leistung abrufen, wenn es darauf ankommt und du gefordert bist. Das ist Weltspitze. Das kann keiner so wie sie“, sagt Gerd Leopold, stellvertretender Bundestrainer und zugleich Friedrichs Heimtrainer.

Seit 2010 arbeiten sie zusammen, drei Olympiasiege, elf WM-Titel und 66 Erfolge im Weltcup sind das zählbare Ergebnis – bis jetzt. So schwierig wie diesmal war es noch nie, obwohl Friedrich seit 2017 in allen großen Rennen ungeschlagen ist und 18 der 20 Zweier-Weltcups in den vergangenen zwei Jahren gewonnen hat.

Denn in der Bahn von Yanqing gibt es nicht diese eine Schlüsselstelle, es sind zahlreiche Kleinigkeiten, die den Eiskanal zu einer großen Herausforderung machen. Und Friedrich mag wirklich ein Jahrhunderttalent im Bobsport sein, das Fahrerische geht ihm insbesondere bei neuen Strecken nicht so leicht von der Hand wie anderen. Er braucht seine Zeit.

In einem Frauenbob findet Friedrich in die Spur, und am Start ist er mit Margis ohnehin top.
In einem Frauenbob findet Friedrich in die Spur, und am Start ist er mit Margis ohnehin top. © dpa/Michael Kappeler

Die ersten 46 Fahrten in den drei Trainingswochen im Oktober hier in China waren dafür nicht genug, obwohl er das abschließende Testrennen gewonnen hatte. Spätestens die sechs offiziellen Trainingsläufe offenbarten, die Konkurrenz ist inzwischen in etwa ebenso schnell – und Lochner deutlich schneller. „Er ist uns um die Ohren gefahren“, sagt Friedrich, der während der Trainingstage ungewohnt angespannt wirkte. Etwas hatte ihn beschäftigt, und es war nicht nur die Suche nach der Ideallinie, die er mit akribischem Videostudium betreibt. Er muss es sehen, wieder und immer wieder, muss sich damit auseinandersetzen. Nur ist das diesmal nicht genug.

Sicher mit dem großen Schlitten

Am Dienstag sickerte die Nachricht durch, die Anspannung und wenig überzeugende Trainingsfahrten erklärt: Der Rekordweltmeister ist nach dem ersten Trainingstag kurz vor der Eröffnungsfeier auf den Schlitten von Europameisterin Kim Kalicki umgestiegen. Der wurde wie Friedrichs Bob vom Institut zur Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) gebaut, ist aber aufgrund verschiedener Einstellungen unter den aktuellen Bedingungen auf der langen Olympiabahn schneller. Lochner setzte von Beginn an darauf, Friedrich sah sich nun zum Handeln gezwungen.

„Wir mussten das machen. Das ist klasse von Kim, dass sie da zurücksteckt. Sie kriegt jetzt von uns jeden Materialtipp. Und sie hat die Gewissheit, mit dem Olympiasiegerschlitten der Männer in ihr Rennen starten zu können“, meint Friedrich.

Beim Vierer, die Königsklasse im Bobsport und lange Zeit Friedrichs schwächere Disziplin, kann er für die Rennen am Samstag und Sonntag nicht tauschen, muss es aber auch nicht. Mit dem großen Schlitten fühlt sich der Pilot des BSC Sachsen Oberbärenburg in Yanqing sicher, das hat er in den vergangenen Tagen und auch schon vor dem Abflug nach Peking betont. Baustellen, so formuliert er das, habe es dagegen im Zweier gegeben. Für die Konkurrenz, das ist spätestens seit gestern Abend klar, verheißt das nichts Gutes.