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Was Dresdens Goldjunge nach dem Olympiasieg sagt

Kanu-Olympiasieger Tom Liebscher spricht im ausführlichen Interview über den Erfolg von Tokio, die Unterstützung in der Heimat und seine Zukunftspläne.

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Mit so einem Empfang hatte er nicht gerechnet. Knapp 100 Menschen feierten Olympiasieger Tom Liebscher bei der Rückkehr im Heimatverein.
Mit so einem Empfang hatte er nicht gerechnet. Knapp 100 Menschen feierten Olympiasieger Tom Liebscher bei der Rückkehr im Heimatverein. © dpa/Robert Michael

Dresden. Um die Augen wirkt Tom Liebscher etwas gezeichnet. Dennoch kann er diesen Moment genießen. Der einzige Olympiasieger Sachsens kehrt aus Tokio nach Dresden zu seinem Heimatverein zurück. Dort warten Verwandte, Bekannte, Freunde, Trainer, Sponsoren und andere Wegbegleiter auf den Weltklasse-Kanuten. Der Applaus für den Olympiasieger im Kajak-Vierer kommt von Herzen. Zwischen unzähligen Selfies – auch mit Oma und Opa – gibt der 28-Jährige im Interview ein paar Einblicke in sein Seelenleben.

Tom, konnten Sie zwischen Ihrem Olympiasieg in Tokio und der Ankunft in Dresden überhaupt mal schlafen?

Etwa zweieinhalb Stunden. Wir haben im Team zusammen gefeiert. Wenn man fünf Wochen so eng zusammenarbeitet, muss das auch so sein. Dass wir das in Tokio nicht wie gewohnt im Deutschen Haus tun konnten, hat der Sache keinen Abbruch getan. Wir haben das in kleinem Kreis bestmöglich gelöst. Die Last ist abgefallen, auch wenn in unserem Kanu-Team auch nicht alle Träume in Erfüllung gegangen sind. Wir wollten alle zusammen feiern, das haben wir gemacht.

Haben Sie von dem Echo in der Heimat, dem Public Viewing zu nachtschlafender Zeit, überhaupt etwas mitbekommen?

Als ich nach dem Vorlauf die Videos aus unserem Bootshaus gesehen habe, wollte ich das ausblenden, um mich auf das Ziel zu konzentrieren. Ich konnte nur annähernd ahnen, wie groß der Auflauf hier sein könnte. Die Unterstützung ist unbeschreiblich. Ohne die würde es auch nicht gehen. Würden jetzt hier nur zwei Leute stehen, wäre ich gar nicht so weit gekommen.

Wo ordnen Sie Ihren zweiten Olympiasieg mit dem Vierer nach 2016 ein?

Ich bin für immer Olympiasieger von Rio – das wäre auch nach Tokio so geblieben, wenn wir nicht noch einmal gewonnen hätten. Es war eine ganz andere Story. Der Vater des Erfolges ist auch hier Professor Alexander Carl Disch. Er hat mich nach meiner Rückenverletzung vor acht Monaten gesehen und gesagt: „Okay, das klappt, das machen wir.“ Das war der ausschlaggebende Punkt, weshalb ich noch mal voll angreifen konnte und nicht daran gezweifelt habe. Es war ein ganz anderer Erfolg, es hat sich aber in den letzten Tagen auch so angefühlt, wir haben uns das erarbeitet. Man konnte den Fokus in den Augen meiner drei Kollegen sehen. Als wir ins Boot gestiegen sind, habe ich mir gedacht: Es kann viel passieren, aber nicht, dass wir Zweiter werden. Es war das gewisse Etwas zu spüren, wir waren bereit. Ein Wahnsinnsgefühl, das wir uns erarbeitet haben.

Der deutsche Kajak-Vierer mit Max Rendschmidt, Ronald Rauhe, Tom Liebscher und Max Lemke zeigen stolz ihre Goldmedaille in die Kamera.
Der deutsche Kajak-Vierer mit Max Rendschmidt, Ronald Rauhe, Tom Liebscher und Max Lemke zeigen stolz ihre Goldmedaille in die Kamera. © dpa/Jan Woitas

Sie haben Ihre Rückenverletzung erwähnt. Wie sehr belastet Sie die noch?

Bei der Vollfahrt ist alles weg. Ich habe von Woche zu Woche gedacht, habe mir kleine Ziele gesetzt. Meine Form ist auch erst in der letzten Woche in Japan richtig olympisch geworden. Es war ein großer Kredit, den mir die Trainer gegeben haben, indem sie sich schon im Mai für mich eingesetzt und mir das Vertrauen geschenkt haben. Das war mir sehr wichtig.

Sie sprachen an anderer Stelle davon, dass Sie Kanu als Mannschaftssport wiederentdeckt haben. Was macht dieses Vierer-Team aus?

Wenn es um etwas Wichtiges ging, saßen wir in einem Boot und haben uns dafür gemeinsam zerrissen. Aber dazwischen waren wir trotzdem in der Lage, uns nach Fehlern offen die Meinung zu sagen, auch nicht immer ganz nett. Wenn es darauf ankam, hat sich jeder an diese Dinge erinnert und versucht, den Plan bestmöglich umzusetzen und den Spirit zu leben. In Tokio hatten wir eines unserer besten Rennen. Ich war weniger aufgeregt als normal.

In Rio waren Ihre Eltern, Ihr Trainer und Freunde an der Regattastrecke dabei. Das war diesmal nicht möglich. War es deshalb auch emotional ein ganz anderes Erlebnis?

Fünf Jahre später sind die sozialen Medien mitgewachsen, sodass man viel mitbekommt. Deshalb habe ich mich in den letzten zwei Tagen vor dem Finale rausgenommen, weil man dann nicht mehr so genau wissen will, wie viele zugucken und mitfiebern. Ich habe mich voll auf mich, auf uns fokussiert. An der Strecke war dennoch Megastimmung. Auch ohne Zuschauer haben die Japaner besondere Spiele auf die Beine gestellt. Es hätte niemand anderes so ausgerichtet. Es hat sich nicht angefühlt wie Spiele ohne Zuschauer.

Tom Liebscher umarmt nach der Goldfahrt von Tokio seine Freundin Dora Lucz, die er seit fast einem halben Jahr nicht gesehen hat. Die Ungarin ist selbst Weltklasse-Kanutin.
Tom Liebscher umarmt nach der Goldfahrt von Tokio seine Freundin Dora Lucz, die er seit fast einem halben Jahr nicht gesehen hat. Die Ungarin ist selbst Weltklasse-Kanutin. © dpa/Jan Woitas

Machen Sie jetzt Urlaub mit Ihrer ungarischen Freundin Dorá Lucz, die in Tokio ebenfalls am Start war?

Ich fahre am Wochenende bei der deutschen Meisterschaft Zweier und Vierer. Nächste Woche bin ich bei Dori in Budapest. Mittlerweile haben wir gelernt, flexibel zu sein, es wird sich ein Ziel finden.

Sind Sie jetzt schon bereit dafür, zu sagen: Paris 2024, ich komme?

Das muss man erst sehen. Aber ich denke schon. Es wird sich einiges ändern. Einer im Boot beendet seine Riesenkarriere (Ronald Rauhe/Anm. d. Red.), ich muss mich auch erst wieder national qualifizieren. Es stehen Veränderungen an, die sind wichtig nach zwei solchen Erfolgen. Da braucht es frischen Wind. Ich bin gespannt darauf und denke, die Lücken werden sich schnell füllen. Ich weiß ja jetzt schon, wenn ich hier wieder ins Training einsteige, bekomme ich sofort eine Kampfansage von denen, die nachrücken wollen. Dann muss ich den Hintern wieder hochbekommen. Das ist manchmal anstrengend, aber gut.

Sie sind der einzige sächsische Tokio-Olympiasieger. Macht Sie das stolz und nachdenklich zugleich?

Stolz ja. Nachdenklich? Ich kann nur meine Leistung beeinflussen. Mit der hatte ich in den letzten sechs, acht Monaten genug zu tun. Ich weiß, dass wir hier beim KC Dresden guten Nachwuchs haben, dass jeder darum kämpft, so etwas zu erleben. Und ich weiß, dass die Leute hier, die zum großen Teil ehrenamtlich arbeiten, sich für den Sport einsetzen. Viele haben auch im Kanu-Verband gekämpft, aber es fehlten manchmal vielleicht 20 Zentimeter. Es gibt immer Wellenbewegungen. In solchen Momenten setzt man sich ehrlich an einen Tisch, so wie wir das mit dem Vierer gemacht haben, spricht ordentlich miteinander, findet gute Lösungen. Es war unser Erfolgsrezept, dass wir uns nie mit Samthandschuhen angefasst haben. Vielleicht funktioniert das auch für den deutschen Sport. Es wird bessere Tage geben, daran habe ich keinen Zweifel.

Das Gespräch führte Alexander Hiller.