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Frenzels erstes Interview als Cheftrainer: "Ich habe jetzt viele Eisen im Feuer"

Er ist eine Legende und wechselt nun die Seiten. Aus dem Nordischen Kombinierer wird der Cheftrainer Eric Frenzel. Im Interview erzählt der 34-Jährige aus Geyer von alten Zeiten und neuen Perspektiven.

Von Michaela Widder
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Der gebürtige Annaberger Eric Frenzel ist siebenmaliger Olympiasieger in der Nordischen Kombination - und jetzt Cheftrainer.
Der gebürtige Annaberger Eric Frenzel ist siebenmaliger Olympiasieger in der Nordischen Kombination - und jetzt Cheftrainer. © picture alliance/Ulrich Wagner

Bad Mitterndorf. Er ist ein Frühberufener. Mit 18 Jahren wird Eric Frenzel erstmals Vater, als 19-Jähriger gewinnt er seinen ersten Weltcup, mit 22 folgt der erste WM-Titel, mit 25 der Olympiasieg. Und jetzt, kaum hat er seine aktive Laufbahn in der Nordischen Kombination beendet, wechselt Frenzel die Seiten und ist zum Leitenden Disziplintrainer aufgestiegen - mit gerade einmal 34 Jahren.

Zum Abschied seiner großen Karriere bekommt der Mann aus Geyer in Bad Mitterndorf vor seinem langjährigen Ausrüster Fischer Ski mit persönlicher Gravur geschenkt. Dabei hält sich die Lust am Sporttreiben gerade sehr in Grenzen, wie er danach verrät. Im ersten Interview als Cheftrainer erzählt Frenzel im Gespräch mit Sächsische.de von den ersten Monaten im neuen Job und was er in der neuen Saison von seiner Mannschaft erwartet.

Eric Frenzel, die meisten Athleten sind froh, wenn das Leben aus der Tasche ein Ende hat. Bei Ihnen geht es jetzt nahtlos weiter, gefühlt jedes Wochenende ein anderer Ort. War das nie ein Problem für Sie?

Nein. Das hat mich persönlich nie gestört, auch nicht meine Familie. Sie hat es mit gelebt, sie sind ja auch gern mitgereist. Wir hätten es nicht gemacht, wenn wir das Leben, so wie es war, nicht auch ein bisschen lieben würden. Ansonsten hätte es auch nicht so lange in meinem Sportlerleben funktioniert.

Ihr Vorgänger und langjähriger Trainer Herrmann Weinbuch hatte schon relativ früh die Idee, dass Sie der Nachfolger werden. Was waren Ihre ersten Gedanken?

Das sind viele Dinge. Klar, man fühlt sich schon erstmal sehr geehrt. Im nächsten Moment denkt man: Ist es das, was ich wollte? Sollte man so eine Chance vergehen lassen? Mit wem müsste ich darüber reden? Natürlich habe ich erstmal die Gespräche mit meiner Familie gesucht, insbesondere mit meiner Frau Laura, aber auch mit meinen Eltern und dann mit meinem weiteren Umfeld. Mein Heimtrainer war ebenso eine ganz wichtige Person. Ich wollte wissen, wie er die Situation einschätzt, wenn so ein Jungspund daherkommt, der zwar als Athlet recht erfolgreich war, aber jetzt allen vor die Nase gesetzt wird. Das war anfangs so mein Gefühl. Ist das also wirklich das richtige Zeichen?

Und wie verliefen diese Gespräche?

Es gab sehr viele positive Reaktionen. Das hat mir schon geholfen, die Thematik zu reflektieren, zu strukturieren und auch zu verbinden mit meinem Wirtschaftsingenieurstudium, das ich gern noch fertigmachen möchte. Das war bis dato ja mein erster Plan.

Jetzt sind Sie der neue Leitende Disziplintrainer, so die offizielle Bezeichnung. Wie fühlt es sich nach dem ersten Sommer sozusagen auf der anderen Seite an?

Gut. Wirklich gut. Es war ja nur ein recht kurzer Break zwischen Athlet und jetzt Trainer. Dennoch glaube ich, dass es alle Jungs gut aufgenommen haben und mit der Situation, wie es jetzt läuft, zufrieden sind. Wir haben es geschafft, gleich einen guten Konsens zu finden, um nicht irgendwelche Hürden aufkommen zu lassen.

Gab es denn zum Start eine Ansprache an Ihre Ex-Trainingskollegen?

Nachdem es in der Trainerkommission durch war und dann offiziell wurde, haben wir schon recht schnell die Jungs in einer Videokonferenz kontaktiert. Vor dem ersten Lehrgang Mitte Mai in Bischofsgrün war ich natürlich auch ein bisschen aufgeregt, ob alles gleich mit den Ansprachen passt, also den Sportlern zu erklären, dass man jetzt auf der anderen Seite steht. Aber das war dann alles halb so wild.

Wie ist die Aufgabenteilung im Trainiertem?

Ich bin für die Gesamtplanung verantwortlich und speziell auch für den Ausdauerbereich. Den roten Faden zu haben, wo wir hinwollen, ist meine Aufgabe – und natürlich die Kommunikation nach außen. Heinz Kuttin ist für den Sprungbereich zuständig. Und Kai Bracht kümmert sich vor allem um den Materialsektor, aber sein Knowhow ist auch im Kraftbereich gefragt. Und er übernimmt weiterhin die Gesamtorganisation mit der Reiseplanung.

Und wie wichtig ist Ihr Vorgänger Hermann Weinbuch für Sie?

Hermann ist ja als Nachwuchschef weiterhin im Deutschen Skiverband. Er hat von Anfang an gesagt, dass ich mich jederzeit bei ihm melden kann. Dafür bin ich ihm sehr, sehr dankbar. Wir haben diesen Sommer auch schon das eine oder andere Mal über gewisse Situationen gesprochen. Da habe ich ihn konkret gefragt: Wie hast du solche Momente aufgenommen und für dich bewertet, welchen Rat würdest du mir geben? Es ist nie so, dass er sagt: Mach das so oder so. Er erläutert mir immer Situationen, wie er gehandelt hat und sagt mir, was daran gut oder vielleicht auch nicht so gut war. Das ist sehr angenehm. Es hilft mir Sicherheit in der ganzen Thematik zu finden.

Was hat Ihnen Weinbuch konkret mit auf den Weg mitgegeben?

Auf jeden Fall seine Trainingsphilosophie. Ich glaube, es gibt nur ganz wenige Sportler, die sich nicht fair von ihm behandelt gefühlt haben. Er hat es immer wieder geschafft, eine Mannschaft zu formen, die Jahr für Jahr da war, auch immer wieder mit neuen Gesichtern. Da kann ich schon von ihm lernen, nicht nur auf den Moment zu schauen, sondern viel weiter im Voraus zu denken.

Gibt es eine Art Tabuliste, wie Sie als Trainer nicht sein wollen?

Ich wäre schlecht beraten, wenn ich sagen würde, ich mache jetzt alles anders als Hermann. Schlussendlich hatten wir erfolgreiche Jahre, Jahrzehnte unter ihm. Und auch ich bin unter diesem System groß geworden, da lief im Großen und Ganzen vieles richtig, und an dem kann ich festhalten. Jeder hat aber seine eigenen Stärken und Schwächen. Was mir hilft, dass ich jetzt ein junger Trainer bin, der dadurch vielleicht wieder mehr das Quäntchen auf Augenhöhe ist. Für so junge Athleten ist die Hürde mit so einer gestandenen Person wie Hermann zu reden schon höher als jetzt mit mir, obwohl er sich schon immer enorm darum bemüht hat und auch einen sehr guten Umgang mit jungen Sportlern hatte. Da kann ich unwillentlich eine andere Linie fahren.

Mit 18 WM-Medaillen kürten Sie sich noch vor Langlauf-Legende Björn Dahlie zum Rekord-Medaillensammler bei Ski-Weltmeisterschaften, dreimal wurden Sie zudem Olympiasieger. Gibt es für Sie den emotionalsten Moment in Ihrer Karriere?

Ich glaube schon, dass der emotionalste Moment das WM-Gold 2019 in Seefeld war. Das Jahr zuvor bin ich Olympiasieger geworden. Jeder hat von mir erwartet, dass ich in Seefeld gut sein muss. Weil ich dort ja die Jahre zuvor mit dem Seefeld-Triple schon immer sehr erfolgreich war. Ich habe viel Druck gespürt, zumal die Zeit vor der WM nicht einfach war und wir viel ausprobiert haben.

Was fehlt Ihnen nicht mehr aus Ihrem Sportlerleben?

Es ist schön, etwas freier zu sein, ohne diese Restriktionen zu leben: Mach ich jetzt nicht, kann ich jetzt nicht, sollte ich jetzt nicht. Der Druck, den man sich selber macht, fällt weg. Am Anfang habe ich mich schon ertappt und überlegt, kann ich jetzt nochmal am Büfett zum Nachtisch gehen. Und ja, natürlich kann ich jetzt nochmal zum Nachtisch gehen.

Nach 27 Jahren Leistungssport gehört Abtrainieren dazu. Fällt Ihnen das leicht?

Ich habe jetzt nicht den Drang, jeden Tag joggen oder skirollern zu gehen. Man braucht schon auch die Lust für das Abtrainieren. Ich mag jetzt eher die Zeit mit meiner Familie verbringen. Mit drei Kindern wird einem nicht langweilig.

Ihre Sportart bangt um eine Zukunft bei Olympia. In Ihrer Position können Sie sich noch mehr für die Nordische Kombination einsetzen. Wie sehen Sie da Ihre Rolle?

Wir kämpfen gemeinsam an breiter Front, dass wir nach 2026 - dann zusammen mit den Frauen - noch olympisch sind. Und wir sind viel im Austausch. Ich werde trotz meiner Traineraufgabe deshalb auch ein paar Tage zu den Youth Olympic Games nach Südkorea fliegen. Wir sind eingeladen worden, und ich will ein Zeichen setzen. Ich finde es enorm belastend für die Athleten und gar nicht gut, dass vieles auf ihren Schultern ausgetragen wird. Jetzt muss man ja mittlerweile schon Angst haben, wenn ein Seriensieger auftaucht - weil das nicht gut für unsere Sportart sein könnte. Und unsere größten Erfolge 2018 in Pyeongchang werden uns als Totbringer-Merkmale aufgezeigt. Das darf nicht sein.

Der Weltcupsaison startet am kommenden Wochenende im finnischen Ruka. Was erwarten Sie in diesem Winter von Ihrer Mannschaft?

Als Athlet hatte ich meine Vorstellungen, wie so ein Winter ablaufen kann und welche Ziele ich mir setze. Jetzt fühle ich mich wie in meinen jungen Jahren im Weltcup, als ich alles erst mal auf mich habe zukommen lassen. Ich würde mir natürlich wünschen, dass meine Athleten - und dazu sehe ich sie auch in der Lage - großartige Leistungen erbringen. Der Vorteil ist, jetzt habe ich viele Eisen im Feuer. Das ist sehr angenehm. Früher hatte ich nur mich.