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Österreich: In Ötzis Schuhen am Wilden Kaiser

Skifahren gilt im Winterurlaub als gesetzt. Wer auch mal andere sportliche Herausforderungen im Winter sucht, ist in der Ferienregion St. Johann in Tirol an der richtigen Adresse.

Von Anja Sohrmann
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Mit Schneeschuhen lässt es sich überraschend leicht wandern. Nur bergab gibt’s ein paar Fallstricke.
Mit Schneeschuhen lässt es sich überraschend leicht wandern. Nur bergab gibt’s ein paar Fallstricke. © Franz Gerdl

Einatmen, Atem anhalten, Schuss! Ein Zischen, ein Knall, aus Weiß wird Schwarz. Franz Puckl ist voll des Lobes. „Sehr goad“ sagt der Biathlon-Lehrer zu dem Teenager, der bäuchlings und mit einem Gewehr in den Händen auf einer Matte im Schnee liegt.

Wir, zwei Erwachsene und der 13-jährige Sohn, machen Winterurlaub in Tirol. Genauer gesagt in St. Johann, einem beliebten Touristenort in den Kitzbüheler Alpen. Weil wir nicht immer nur mit den Skiern die Berge hinabfegen wollen, probieren wir heute mal etwas Neues aus und haben uns zu einem Biathlon-Schnupperkurs im benachbarten Kirchdorf angemeldet. Puckl Franz, wie der Österreicher zu sagen pflegt, war einst Profi-Biathlet und als Wintersportler ein wilder Hund — bis er sich beim Skispringen (O-Ton Puckl: „Man muss schließlich alles mal ausprobieren“) den Oberschenkel brach. Vom Biathlon sattelte die Tiroler Frohnatur notgedrungen aufs Kanufahren um; mit langem Stehen hat er’s jetzt nicht mehr so. Das Gewehr nimmt er aber weiterhin zur Hand, um interessierten Laien wie uns sein Wissen weiterzugeben.

Bloß nicht wackeln: Franz Puckl (links) weiß, wie man unter
Belastung schießt und trifft.
Bloß nicht wackeln: Franz Puckl (links) weiß, wie man unter Belastung schießt und trifft. © Anja Sohrmann
Im Liegen zu schießen sieht leicht aus, ist es aber nicht, wenn das Herz pocht bis zum Hals.
Im Liegen zu schießen sieht leicht aus, ist es aber nicht, wenn das Herz pocht bis zum Hals. © Anja Sohrmann

Und da gibt es eine Menge zu lernen, wie wir ganz schnell bemerken. Biathlon sei „eine der schwierigsten Sportarten“, sagt Franz Puckl. Weil man zwei Dinge miteinander verbinden müsse, die einander eigentlich ausschließen: Schnell laufen und einen ruhigen Puls haben. Klingt nach einer angemessenen Herausforderung für uns. Wir schießen mit Druckluftgewehren, die Biathlonwaffen in Aussehen, Gewicht und Handhabung gleichen. Die Entfernung zum Klappscheiben-Kasten beträgt hier aber nur zehn statt wie unter Wettkampfbedingungen 50 Meter. Auf dem Plan stehen drei Durchgänge: Schießen im Liegen, Schießen im Liegen nach Belastung und Schießen im Stehen.

Wer möchte, läuft Strafrunden

Ob nun Zufall oder Naturtalent: Jeder von uns trifft beim Schießen im Liegen, von Franz unermüdlich beraten, alle Fünfe. Vor dem zweiten Durchgang joggen wir, um unseren Puls hochzutreiben. Wir hätten es auch wie Profis machen und eine Runde auf Langlaufski drehen können, denn wir stehen direkt an einem herrlich weitläufigen Langlauf-Areal, eine kleine und eine große Strafrunde inklusive.

Mit pochendem Herzen zu schießen, erweist sich als deutlich schwieriger – trotz Liegestellung: Einige Zielscheiben bleiben weiß. Noch schwerer ist das Schießen im Stehen, weil das Gewicht des Gewehres unweigerlich zum Zittern verleitet. Immerhin: Eine von uns trifft alle Fünfe.

Schöne Bergwelt: Abendstimmung in St. Johann mit dem Wilden Kaiser.
Schöne Bergwelt: Abendstimmung in St. Johann mit dem Wilden Kaiser. © Franz Gerdl

Auf den Geschmack gekommen, leihen wir uns danach die Langläufer aus und erkunden das mit rund 250 Kilometern sehr ausgedehnte Loipennetz rund um St. Johann. Die Kirchdorfer Sonnenloipe führt durch die sanften und tief verschneiten Auen der Großasche und ist tadellos für klassisches Langlaufen und für Skating präpariert. Von so breiten Loipen träumt man im Erzgebirge. Nur die nahe Straße stört die Idylle.

Als Nächstes wollen wir erstmals das Schneeschuhwandern ausprobieren. Die Idee ist uralt: Schon die nordamerikanischen Ureinwohner benutzten Schneeschuhe, selbst Ötzi hatte welche. Die modernen Exemplare, die uns David, der Chef der Skischule in Kirchdorf, anpasst, bestehen allerdings nicht aus bespannten Holzrahmen, sondern aus Hartplastik, und verfügen über bewegliche Bindungen, Steighilfen und Harschkrallen.

Glühwürmchen-Ballett der Pistenraupen

Mit Thomas und Lukas, beide Skilehrer der Skischule, beginnen wir unsere abendliche Bergtour. Überraschend leicht und schnell kommen wir mit den Schneeschuhen voran, nur selten sackt mal ein Schuh tiefer ein. Schon nach wenigen Minuten Gehzeit schluckt der Wald die Geräusche des Ortes. In der Stille knirscht der Schnee unter unseren Schritten, Baumwipfel rauschen, und etwas ferner gurgelt ein kleiner Wasserfall. Mitunter sehe man hier des Nachts auch Rehe, Hirsche oder Hasen, erzählt Lukas.

Nach einer Stunde, wir sind noch nicht wirklich erschöpft, erreichen wir die Panorama-Alm – und sehen vor lauter Nebel so gut wie nichts. Dafür gibt es eine Überraschung: Im Handumdrehen entfachen die Skilehrer ein Lagerfeuer, stellen Bänke auf und verteilen Glühwein und Bier. Während die Jungs allerhand Geschichten über das unweit von hier stattfindende legendäre Hahnenkammrennen auf der „Streif“ zum Besten geben, reißt plötzlich der Himmel auf: Nach und nach machen die Nebelschwaden Platz für grandiose Blicke auf den Wilden Kaiser, St. Johann und das Kitzbüheler Horn. An dessen Nordflanke führen die Lichter der Pistenraupen, Glühwürmchen gleich, eine Art Ballett auf. Bald liegt die winterliche Bergwelt im Vollmond vor uns – echt überwältigend.

Ob Abfahrt, Langlauf oder Skitouren: In St. Johann i. T. gibt es
40 Pistenkilometer und zehn Skilifte.
Ob Abfahrt, Langlauf oder Skitouren: In St. Johann i. T. gibt es 40 Pistenkilometer und zehn Skilifte. © Mirja Geh
Skilehrer Lukas leuchtet den Teilnehmern am nächtlichen Schneeschuhwandern den Weg.
Skilehrer Lukas leuchtet den Teilnehmern am nächtlichen Schneeschuhwandern den Weg. © Anja Sohrmann

Der Rückweg ins Tal erweist sich als etwas anspruchsvoller. Wie gewohnt mit der Ferse aufzutreten und den Fuß abzurollen, funktioniert mit Schneeschuhen nicht. Im schlimmsten Fall, haben uns Thomas und Lucas gewarnt, verhaken sich die Schuhe, was zu Stürzen führen kann. Nach einer Weile haben wir den Dreh raus und gleiten sogar kurze Strecken zügig hinab ins Tal. So wird auch der letzte Abschnitt des wunderbaren Abends ein Vergnügen. Ganz ungefährlich ist Schneeschuhgehen übrigens nicht. Im steilen Gelände besteht Lawinengefahr, zu der Schneeschuh- und Skitourengeher nicht selten beitragen.

Ausrüstung gibt’s vor Ort

Anreise: Mit Auto von Dresden nach St. Johann i. T. rund 600 Kilometer. Mit dem Zug etwa acht Stunden (mind. dreimal umsteigen).

Biathlon-Schnuppern: für Gäste der Ferienregion St. Johann i. T. kostenlos. Gäste aus der Region Kitzbüheler Alpen zahlen 10 €. Skiausleihe vor Ort.

Schneeschuhwandern: ab 150 €/4h für bis zu zehn Teilnehmer, Ausrüstung 12 €/Pers.

Wetter: Ab Mitte nächster Woche sagt der Wetterbericht wieder Schnee voraus.

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Am letzten Tag unseres Urlaubs entscheiden wir uns dann doch noch fürs Skifahren – auch wenn sich der Schnee eher wie Regen anfühlt. Ein paar Schritte vom Hotel entfernt fährt eine Kabinenbahn zum 1.604 Meter hohen Harschbichl. Von hier aus führen 43 Pistenkilometer auf die eine oder andere Art hinab ins Tal. Nach den ersten noch etwas unbeholfenen Carverschwüngen stellen sich erst Sicherheit und dann Hochgefühl ein. Und schließlich eine Ahnung, warum – ökologische und ökonomische Vorbehalte hin oder her – „Schiefoan des Leiwandste (ist), was ma si nur vorstö’n kann“, wie der österreichische Liedermacher Wolfgang Ambros singt. Jedenfalls: Ab geht’s, der Teenie immer hinterher, kurz darauf, so spielt das Leben, schon vorneweg.

Zum Après-Ski kehren wir im Turmstüberl der Privatbrauerei Huber Bräu in St. Johann ein. Bei einem Meisterpils genießen wir den Blick zum Wilden Kaiser. Was für eine Pracht.

Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband Kitzbüheler Alpen – St. Johann in Tirol.