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Herr Hannawald, wann kommt endlich Ihr Nachfolger?

Vor 20 Jahren gewann Sven Hannawald alle vier Springen bei der Vierschanzen-Tournee. Jetzt spricht der Sachse über seine Burn-out-Erkrankung und die Folgen.

Von Michaela Widder
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Sven Hannawald, der letzte deutsche Tour-Sieger, genießt den Ausblick auf die Schanze in Garmisch-Partenkirchen.
Sven Hannawald, der letzte deutsche Tour-Sieger, genießt den Ausblick auf die Schanze in Garmisch-Partenkirchen. © dpa/Angelika Warmuth

Sein Sport hat ihn erst beflügelt und später fast zerstört. Sven Hannawald, geboren im sächsischen Erlabrunn, war der erste Sportler überhaupt, der mit Siegen in allen vier Springen die Vierschanzen-Tournee gewinnen konnte. Doch dann zwangen den Olympiasieger psychische Probleme zum Aufhören. Mittlerweile kommentiert der zweifache Familienvater die Skisprung-Wettbewerbe für die ARD.

Im Interview mit der Sächsische.de sagt der 47-Jährige, warum er glaubt, dass die Deutschen die zwanzig Jahre lange Wartezeit nach seinem Grand-Slam-Erfolg beenden können, was bei Richard Freitag schiefläuft und wie er nach seiner Burn-out-Erkrankung heute mit Stress umgeht.

Sven Hannawald, wo erwische ich Sie gerade?

Im Auto. Lange Fahrten nutze ich gern für Interviews. Es wollen ja jetzt schon alle wissen, wer die Tournee gewinnt.

Und wer gewinnt sie?

Meine Top-Favoriten sind der Japaner Ryoyu Kobayashi und Karl Geiger.

Den deutschen Springern hat allerdings die Favoritenrolle nicht immer gutgetan. Was stimmt Sie zuversichtlich?

Karl hat schon viele Situationen gemeistert, in denen er Favorit war. Er hat die Gabe, gewisse Dinge zu neutralisieren und beim Wesentlichen zu bleiben. Das hat er in dieser Saison schon gezeigt, aber auch in der vergangenen – speziell bei der Heim-WM in Oberstdorf, als der Fokus extrem auf ihm lag. Deshalb habe ich die Hoffnung, dass es nun nach mittlerweile 20 Jahren so weit sein könnte, dass ich einen Nachfolger bekomme.

Sie fiebern und freuen sich also immer noch mit?

Ja, ich hätte mich auch schon letztes Jahr gefreut, vor zwei Jahren, drei Jahren, auch vor zehn Jahren. Ich weiß ja, wie schön es ist, als Deutscher ganz oben stehen zu dürfen. Die Tournee ist für uns Skispringer ein einschneidendes Erlebnis, sie hat uns als Kind zum Skispringen gebracht. Die Polen waren erfolgreich, die Österreicher haben abgegrast, die Norweger gewonnen. Nun hoffe ich, dass der Mann da oben im Himmel ein Einsehen hat und mal wieder ein Deutscher oben stehen darf.

Welche Bedeutung hat die Tournee in einem olympischen Winter?

Die Tournee war immer mein Highlight, weil es eben nicht nur ein Tageserfolg ist. Und ich habe es immer so gesehen: Wenn man eine gute Form hat, hat man natürlich bei Olympia die Chance, gleich mehrere Titel einzuheimsen.

Können Sie noch in dieses Gefühl eintauchen, wie es war, alle vier Springen zu gewinnen?

Jetzt habe ich mehr Möglichkeiten, in einem ausgeruhten Körperzustand auf die damaligen Gefühle zurückzugreifen. Ich hoffe, dass ich für die ARD weiter vor Ort bleiben kann. Wenn ich die Tournee dann live erlebe – leider ohne Zuschauer – kommen die Gefühle hoch und machen mich unheimlich stolz, was ich damals erleben durfte.

Die Bergisel-Schanze war für deutsche Springer schon öfter die Problem-Schanze. Könnte das dritte Springen in Innsbruck wieder der Knackpunkt sein?

Bergisel ist kein Problem, es wird nur so dargestellt und uns eingeredet. Wenn ich mich an meine Zeit erinnere, war die Bergisel-Schanze mein Highlight – das war ein Traum. Sie passt genauso auf den deutschen Sprungstil wie alle anderen Schanzen auch. Fakt ist, dass wir schon aus Garmisch abreisen und dann in der Presse geschrieben wird, dass der Bergisel unser Problem sein wird…

20 Jahre ist es her: Sven Hannawald gewinnt auch das vierte Springen der Tournee, holt sich den "Grand Slam" des Skispringens.
20 Jahre ist es her: Sven Hannawald gewinnt auch das vierte Springen der Tournee, holt sich den "Grand Slam" des Skispringens. © dpa/Frank Leonhardt

2017 reiste Richard Freitag als Weltcupführender und Favorit zur Tournee. Jetzt ist der Sachse im drittklassigen Fis-Cup verschwunden. Schafft er es noch mal zurück?

Es tut mir für Richard unheimlich leid, weil ich weiß, was Richard für ein Talent ist, das für Furore hätte sorgen können. Am Ende liegt es an ihm, gewisse Dinge von außen mit aufzunehmen. Wenn er das aber nicht schafft, dann ist ein Scheitern vorprogrammiert. Ich freue mich, dass er noch nicht aufgegeben hat, dass er versucht, sich weiter über Wasser zu halten. Aber leider geht die Tendenz in den letzten Jahren in die falsche Richtung.

Was denken Sie, woran das liegt?

Das Umfeld tut alles, aber am Ende muss man es auch annehmen. Er hat die Ansätze, die unheimlich effektiv und erfolgreich sein könnten. Wenn er aber den Leuten um sich herum nicht vertraut und lieber immer auf das eigene Gefühl hört, ist das zum Scheitern verurteilt. Die Zeit rennt ja auch weiter. Wenn es so weitergeht, wie es jetzt läuft, ist es in meinen Augen Zeitverschwendung.

Ex-Weltmeister Severin Freund hat sich dagegen aus dem Continentalcup ins Team zurückgekämpft.

Da haben wir das andere Beispiel, wie es funktionieren kann. Severin hat auch einen Trainerwechsel hinter sich, er war erfolgreich unter Werner Schuster und findet jetzt unter Stefan Horngacher wieder zurück, weil er den Leuten vertraut und einen Mittelweg findet aus seinen eigenen Erfahrungen und dem, was die Trainer neu entwickeln. Sein erfolgreicher Zyklus liegt schon einige Zeit zurück, er muss sich umstellen. Aber er ist gewillt, vertraut den Leuten. Deshalb klappt es bei ihm in kleinen Schritten. Das ist der Unterschied zu Richard Freitag.

Sie waren erst TV-Experte bei Eurosport, seit voriger Saison sind Sie das bei der ARD. Ein Trainerjob hatte Sie nie gereizt. Ist das genau die richtige Distanz zum Skispringen?

Trainer habe ich immer ausgeschlossen, weil es der intensivste Job ist auf der Welt und die Gefahr bestünde, dass ich ähnliche gesundheitliche Probleme bekomme wie damals, als ich aufhören musste. Das Wichtigste wäre, dass meine Jungs Erfolg haben, und da würde ich meine gesundheitlichen Probleme zurückstellen. Jetzt mit dem Abstand dabei sein zu dürfen und eine andere Generation zu erleben, macht mich stolz. Für mich ist Skispringen die geilste Sportart, die man erleben kann.

Wie gehen Sie heute mit dem Stress um, dass er Sie nicht mehr krank macht?

Ich habe gelernt, meine inneren Signale wahrzunehmen. Wenn ich merke, dass ich Druck auf dem Kessel habe, kann ich ja nicht zur ARD sagen: Verschiebt mal den Wettkampf um einen Tag. Ich nehme solche Dinge mehr wahr. Ich bewältige natürlich, was auf der Tagesagenda steht. Aber wenn die stressigen Tage vorbei sind, kümmere ich mich dann bewusst mehr um mich. Ob dann der Fokus auf Bewegung oder auf Zurückziehen und die Ruhe genießen liegt, sagt mir mein Körper. Früher war ich in einem Ablauf, in dem ich meinte, mir nicht die Zeit nehmen zu können. Das war ein Irrglaube. Ich denke mir jetzt: Wenn ich mir mehr Ruhe gegeben hätte, dann wäre ich sogar noch effektiver gewesen. Ich sage auch nicht, dass alles falsch war. Der Weg hat mich zu dem gebracht, was ich erleben durfte. Das ist der Tourneesieg. Da würde ich nie was ändern. Aber als Typ ändere ich mich ja nicht. Ich mache auch heute keine halben Sachen. Das wird meinen Körper in den meisten Fällen fordern. Aber danach bekommt er die Ruhe, dann stimmt die Gleichung.

Woher nahmen Sie damals den Mut, als prominenter Sportler ihre Burn-out-Erkrankung öffentlich zu machen?

Zum einen ist es durchgesickert. Ich hatte aber auch nicht die Energie, alle, die davon wussten, so umzustrukturieren, dass sie irgendetwas anderes erzählen. Ich wollte ein Beispiel sein, das klar zeigt: Wenn man nach oben möchte, kostet das Energie – und in meinen Fall hat es mich sogar überfordert. Ich war nie derjenige, der etwas vorgeschoben hat, damit es nicht rauskommt. Ich habe auch heute nichts zu verbergen. Ich lebe intensiv in die eine Richtung, und da muss ich aufpassen, dass die andere Seite nicht zu kurz kommt. Wenn die Waage auf Dauer ein Ungleichgewicht darstellt, ist es nicht gesund.

Was machen Sie dann im Sommer?

Ich halte Vorträge und Talks in Firmen, um das Bewusstsein für psychische Gesundheit weiter zu fördern. Wenn wir es jetzt nicht machen, wird das Aufwachen immer böser. Im Winter habe ich das Skisprungthema und gelernt, nicht beides gleichzeitig machen zu können, weil mir sonst die Zeit für den Ausgleich fehlt.

Spielen Sie noch Fußball im Altherrenteam vom TSV Neuried?

Das ist auf Eis gelegt, ich würde unheimlich gern, mir fehlt es auch. Ich bin viel unterwegs und in der Zeit, in der ich zu Hause bin, versuche ich meine Frau Melissa zu unterstützen. Und halb acht ist Bettgehzeit, das würde sich mit dem Trainingsbeginn überschneiden. Ich habe mich erst mal abgemeldet – aber mit der Option, dass ich zurückkommen kann. Ich versuche, zweimal pro Woche unseren Fitnessraum im Haus zu besuchen und mich dort anderthalb Stunden auszutoben. Und wenn ich im Hotel bin, habe ich auch Möglichkeiten.