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Steinköpfe müssen gerettet werden

Vorm Abriss werden Figuren und Brunnen im Süttingerhaus gesichert. Stadt plant Präsentation an Ort und Stelle.

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© André Braun

Von Heike Heisig

Leisnig. Das Schicksal des Gebäudes am Schlossberg 7 scheint besiegelt. Das Landratsamt bereitet einen Abriss vor. Experten bestätigen eine beängstigende Bewegung in der Bausubstanz. Damit niemand zu Schaden kommt, wenn das Haus ins Rutschen gerät, sind seit ungefähr zwei Wochen der Fußweg und auch die Straße davor gesperrt. Irgendwann wird die Abrissfirma anrücken. Doch nicht alles von dem markanten Eckgebäude unmittelbar neben dem historischen Niedertor – einem der Stadttore – verschwindet.

In der Fassade befinden sich die Köpfe von drei Figuren.  Sie alle sollen gesichert und bewahrt werden.
In der Fassade befinden sich die Köpfe von drei Figuren. Sie alle sollen gesichert und bewahrt werden. © André Braun
In der Fassade befindet sich ein Brunnen. Geheimnisse bergen noch die Keller.
In der Fassade befindet sich ein Brunnen. Geheimnisse bergen noch die Keller. © André Braun

„Die Figuren an der Fassade werden vor dem Abriss geborgen“, sichert André Kaiser als Sprecher der Kreisbehörde zu. Wie Bauamtsleiter Thomas Schröder sagte, sei geplant, die Figuren und den Brunnen auf oder an dem Grundstück zu zeigen. Auch Erklärungen dazu soll es geben. Wie das alles aussehen könnte, so weit sind die Planungen aber noch nicht.

Für Renate Simon steht eines fest: Sie als Stadtführerin wird auch in Zukunft mit Besuchergruppen an dieser Stelle stehenbleiben und – wenn genügend Zeit ist – zwei Versionen darüber berichten, was es mit den Figuren auf sich hat. Die befinden sich in der Fassade in Richtung Lichtenberggasse und werden von den meisten Touristen erst auf den zweiten Blick gesehen. Das Fachwerk und das imposante Gebäude an sich machen eben mehr her als die Fassade an der kleinen Gasse. Doch wer Figuren und Brunnen entdeckt, der fragt garantiert: Was hat es damit auf sich?

Die gemäßigte Version erzählt von einem vermeintlich sittsamen Mädchen, das an der Stadtmauer wohnte. Durch eine Pforte soll sie nach draußen gelangt sein und sich dort mit Freiern getroffen haben. Eines Tages oder vielmehr eines Nachts verletzte sie sich auf dem Rückweg. Der Nachtwächter fand sie und soll Alarm geschlagen haben. Daraufhin kam das unsittliche Benehmen ans Licht. Zur Strafe musste das Mädchen einen Brunnen bauen, die Köpfe ihrer Liebhaber in Stein hauen und nahe des Niedertores anbringen lassen. Die Relikte müssen später, als das Tor abgebaut und das Haus 7 am Schlossberg irgendwann neu aufgebaut wurde, versetzt worden sein.

Dunkle Machenschaften

Soweit die erste Sage. Die zweite, die Renate Simon von Zeit zu Zeit auch erzählt, endet mit dem gleichen Ergebnis. Und auch der Anfang ähnelt sich: Es geht wieder um eine junge Frau, die einen gut betuchten Mann heiratet. Als der starb, folgen schnell die Männer zwei bis sechs. Beim siebten Gatten waren die Leisniger schließlich auf der Hut. Durch den Fensterladen soll die Frau schließlich beobachtet worden sein, wie sie ihren Angetrauten mit einer langen Nadel ins Genick stach und ihn so umbrachte. „Das ist tatsächlich möglich. Darüber habe ich mich erkundigt“, sagt die Stadtführerin. Die Mörderin ist der Überlieferung zufolge hingerichtet und ihr steinernes Abbild zur Abschreckung öffentlich angeprangert worden. Die Männerköpfe wurden ihr zur Seite gestellt. Nur drei haben sich bis heute erhalten.

Die Geschichte mit der leichten beziehungsweise mörderischen Frau hat neben anderen im Sagenheftchen, das es mit Begebenheiten aus Leisnig gibt, einen Platz gefunden. Auch an anderen Stellen der Stadt erzählen Gestaltungen oder Wappen in den Fassaden genau wie am Schlossberg Geschichte(n). Als Nächstes hätten diese die Fünftklässler kennengelernt, wenn sie in der ersten Schulwoche die Stadt erkunden. Allerdings ist jetzt unklar, ob sie dann aus Sicherheitsgründen überhaupt noch an das Haus herankommen.

Renate Simon jedenfalls wird bei ihren Stadtführungen einen Weg finden, auf die Besonderheiten des Gebäudes hinzuweisen. Ihres Wissens vereint es wegen mehrfacher Überbauung insgesamt drei Häuser. Drei Keller sollen sich auch unter dem Erdgeschoss befinden. In zwei ist Renate Simons Schwester bei der Brandinspektion zu DDR-Zeiten selbst hinabgestiegen. „Das dritte Kellergeschoss war den Frauen damals zu dunkel“, erinnert sie sich an Erzählungen ihrer Schwester.

Und noch an etwas anderes erinnert sich die frühere Lehrerin. „Mein Lehrer Zehl, den viele Ältere noch kennen, hat uns damals ebenso von den drei Kellergeschossen unter diesem Gebäude erzählt.“ Renate Simon kann sich nicht vorstellen, dass der alte Zehl geflunkert hat. Auch ehemalige Anwohner vom Schlossberg berichten über mehrgeschossige Keller unter den Häusern dort. Einige munkeln auch, dass es Gänge in Richtung Schloss gegeben hat.

Doch an dieser Stelle konnte Hannelore Walter vom Geschichts- und Heimatverein keine Verbindungen nachweisen. Der Zutritt zu den Kellern blieb ihr verwehrt. „Vorstellen könnte ich mir aber, dass es Gänge gibt, und zwar zum Burgwart“, so Hannelore Walter. Als Burgwart wird der Turm außerhalb der Burgmauern am Eingang des Burglehns bezeichnet.

Kommt der alte Folterkeller zutage?

Nicht nur gemunkelt, sondern sogar von Chronisten wie Max Grimmer verbreitet wird, dass sich in den Tiefen des Gebäudes der alte Folterkeller befunden hat. Spätere Besitzer sollen Instrumente dann auch in den Fundus der Burg Mildenstein übergeben haben. Ob sich darüber noch Nachweise finden lassen? Ob es in den Kellern noch Hinweise gibt? Die Heimatfreunde hoffen für Dokumentationszwecke, dass sich Archäologen nach dem Abriss der alten Gebäudesubstanz in die Tiefen aufmachen und im wahrsten Sinne Licht ins Dunkel bringen.

Der Abriss selbst ist umstritten. Es gibt wahrscheinlich genauso viele Gegner wie Leute, die sich mit dem Gedanken inzwischen abgefunden haben, dass das auch als Süttingerhaus bekannte Gebäude aus dem Stadtbild verschwindet. Aus Renate Simons Sicht ist es eine Schande, dass der Gesetzgeber keine Handhabe bietet, auf den Privateigentümer Einfluss zu nehmen und es jetzt zum Abriss kommen muss.