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Stolpen: Die Schweinemast, ihr Chef, eine Drohung und ein fragwürdiger Freispruch

Der Unternehmer soll den Bürgermeister und eine Reporterin bedroht haben. Notwehr, sagt das Gericht. Die Staatsanwaltschaft nimmt das nicht hin.

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Um diese Schweinemastanlage in Stolpen gibt es seit Jahren Auseinandersetzungen. Nun auch vor Gericht.
Um diese Schweinemastanlage in Stolpen gibt es seit Jahren Auseinandersetzungen. Nun auch vor Gericht. © Marko Förster

Von Friederike Hohmann

Der Güllegestank im Stolpener Stadtteil Langenwolmsdorf verärgert die Anwohner seit Jahren. Ursprünglich hofften sie auf den Abriss der stillgelegten Schweinemastanlage, doch 2017 kaufte der Niederländer Marten-Sipke Tigchelaar den unter Bestandsschutz stehenden Betrieb. Seitdem hatte es wiederholt Havarien gegeben, bei denen Gülle austrat.

Im August letzten Jahres hatte eine erneute Havarie die Anwohner aufgebracht. Diesmal reagierten die Behörden schnell. Auch der neue Bürgermeister von Stolpen, Maik Hirdina war vor Ort und koordinierte den Einsatz der Feuerwehr, um das Weiterlaufen der Gülle zu verhindern. Eine Reporterin des MDR wollte vor dem Werkstor Aufnahmen von der Anlage machen, wurde jedoch von einem Mitarbeiter der Anlage massiv daran gehindert.

Sie erhielt dann aber von einem Mann den Hinweis, dass sie hinter dem Gelände der Anlage einen guten Überblick über das Ausmaß der Havarie haben würde. Dort traf sie auch auf den Bürgermeister, der ihr eine Stelle auf dem Bahndamm in der Nähe des Bahnhofs Stolpen zeigte und beim Aufstellen des Equipments behilflich war.

Hier kam es zu dem Vorfall, der das Amtsgericht Pirna nun an drei Verhandlungstagen beschäftigte. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hatte das Gericht zunächst einen Strafbefehl erlassen, weil Marten-Sipke Tigchelaar den beiden unter lautem Gebrüll gedroht haben soll, mit einem faustgroßen Stein nach ihnen zu werfen. So hatten es die beiden in den ihren Zeugenbefragungen gegen über der Polizei geschildert. 15 Tagessätze zu je 50 Euro (750 Euro) sollte der Unternehmer wegen der vom Gericht angenommenen Bedrohung zahlen. Gegen den Strafbefehl legte er Einspruch ein.

Den Griff nach dem Stein habe es nicht gegeben

Tigchelaar ließ sich von seinem auf Umweltstrafrecht spezialisierten Potsdamer Rechtsanwalt vertreten. Der Verteidiger verlas gleich zu Beginn des Prozesses eine Erklärung, mit der er nicht nur bestritt, dass es einen Griff nach einem Stein überhaupt gegeben habe. Darauf käme es aber auch gar nicht an, denn sein Mandant hätte auch das Recht zur Notwehr gehabt, um seine Persönlichkeitsrechte zu schützen. Auch hätte es ein Recht auf Nothilfe gegeben, da die Reporterin und der Bürgermeister sich bei regelmäßigem Zugbetrieb im Gleisbett aufhielten und damit sich selbst und andere in Gefahr gebracht hätten.

Dreimal reiste der Verteidiger aus Potsdam an und hatte nicht nur ausformulierte Erklärungen und Beweisanträge, sondern auch gleich einen Drucker im Gepäck, um den Prozessbeteiligten die Schriftstücke sogleich auszuhändigen. Beim Staatsanwalt machte er damit wenig Eindruck. Der war auf die Argumente der Verteidigung gut vorbereitet und zeigte auf, dass eine Havarie in so einem Betrieb von zeitgeschichtlichem Interesse sei und die Presse dort filmen dürfe.

Fernsehreporterin hatte Angst

Am ersten Verhandlungstag befragte Richterin Cornelia Rosen ausführlich die Reporterin des MDR, die schilderte, dass sie am Werkstor Angst hatte, weil ein Mitarbeiter sie anschrie und wie sie dann mit Unterstützung des Bürgermeisters die Aufnahmen von der Stallanlage, der Güllegrube und dem von der Gülle durchweichten Boden die Sendung „Sachsenspiegel“ machte. Dort habe sie sich zunächst sicher gefühlt, da sie nicht allein war, die Androhung des Steinwurfs aber als sehr bedrohlich empfunden. Auch der Bürgermeister gab an, dass er sich durch das Verhalten des Herrn Tigchelaar sehr bedroht gefühlt hatte. Er sei sich sicher, dass es ein faustgroßer Stein war, den der Mann aufhob und wurfbereit über dem Kopf hielt. Nachdem er den Unternehmer gewarnt hatte, sich genau zu überlegen, was er als Nächstes macht, hätte der den Stein fallen gelassen. Da Tigchelaar sich später aber nicht entschuldigen wollte und den Vorfall abstritt, habe er Anzeige erstattet.

Auf Antrag der Verteidigung wurden beim zweiten Termin zwei Polizeibeamte des Reviers in Sebnitz befragt. Beide hatten den Vorfall selbst nicht beobachtet. Ein Beamter hatte erst danach mit Tigchelaar gesprochen. Er könne auf seinem Grundstück aufheben, was er wolle, habe der mit dem Vorfall Konfrontierte gesagt. Außerdem wurden zwei von der Verteidigung aufgebotene Mitarbeiter des Angeklagten als Zeugen befragt. Sie waren in der Nähe, als ihr Chef die Journalistin und den Bürgermeister bedroht haben soll. Beide gaben sich ganz sicher, dass es diesen Vorfall nicht gab, verwickelten sich bei ihren Aussagen aber in Widersprüche und wurden vom Staatsanwalt an ihre Wahrheitspflicht im Zeugenstand erinnert. Einem Mitarbeiter hielt er deutlich vor, dass er hier von einer Falschaussage ausgeht.

Den dritten Verhandlungstag eröffnete die Richterin dann mit der Überlegung, dass die Filmaufnahmen möglicherweise gar nicht rechtmäßig waren, da sie ja nicht - rechtlich unangreifbar - vom öffentlichen Raum aus, sondern vom Gelände der Deutschen Bahn aus gemacht wurden. Deshalb könne man eventuell von Notwehr ausgehen und es käme auf weitere Einzelheiten womöglich gar nicht an. Von dieser Überlegung ließ sie sich dann aber durch die Argumentation des Staatsanwaltes abhalten und lehnte auch weitere Beweisanträge des Verteidigers ab, die darauf abzielten, eine Notstandslage zu beweisen. Sein Mandant könnte das Recht gehabt haben, einen gefährlichen Eingriff in den Zugverkehr zu verhindern, da sich zwei Personen im Gleisbett aufhielten.

Nach einer Sitzungspause und einem Blick in die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) hatte die Richterin eine andere Idee, um eine Notwehrlage zu begründen: Nachdem der Unternehmer gesehen hatte, dass die Reporterin unerlaubt das Gleisbett betreten hatte und damit eine Ordnungswidrigkeit beging, hätte er nicht mehr darauf vertrauen können, dass sie sich weiterhin rechtstreu verhalten wird. Die Filmaufnahmen seien auf eine illegale Art und Weise hergestellt worden. Dass im später ausgestrahlten Fernsehbeitrag die Gesichter verpixelt wurden, spiele dabei keine Rolle. Ob der Angeklagte die beiden mit einem Stein oder anderen Gegenstand tatsächlich bedroht hatte, darauf käme es hier also gar nicht an.

"Ausnahmsweise eine Notwehrlage"

So argumentierte die Richterin dann auch in der Begründung ihres Urteils, in dem Sie Marten-Sipke Tigchelaar freisprach. Zwar müsse er es normalerweise hinnehmen, dass bei einem solchen Ereignis wie der Havarie von seinem Schweinemastbetrieb Filmaufnahmen gemacht werden. Sie ermahnte ihn, sich künftig nicht auf diese Weise zur Wehr zu setzen. Die Bevölkerung hätte ein Recht auf die Berichterstattung. Allerdings hätte in diesem Fall ausnahmsweise eine Notwehrlage vorgelegen.

Der Staatsanwalt hatte zuvor beantragt, Marten-Sipke Tigchelaar wegen der Bedrohung zu 15 Tagessätzen zu je 150 Euro zu verurteilen. Ein monatliches Nettoeinkommen von 1.500 Euro, wie es dem Strafbefehl zugrunde lag, hält er für zu niedrig angesetzt und geht deshalb vom Dreifachen aus.

Es ist wohl auch kaum anzunehmen, dass der Unternehmer, der noch eine weitere Schweinemastanlage in Mittelsachsen und außerdem zusammen mit seinem Bruder ein modernes Agrarunternehmen in den Niederlanden betreibt, so wenig Geld im Monat zur Verfügung hat.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil des Amtsgerichts Pirna Berufung eingelegt.