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Wolfgang Tiefensee will nicht in den Schaukelstuhl

Leipzigs Ex-Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, derzeit Wirtschaftsminister in Thüringen, kündigt seinen Abschied aus der Politik an.

Von Nora Miethke
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Wolfgang Tiefensee (SPD) will nicht noch einmal für das Amt an der Parteispitze kandidieren.
Wolfgang Tiefensee (SPD) will nicht noch einmal für das Amt an der Parteispitze kandidieren. © dpa/Martin Schutt

Erfurt. Als er 12 war, sagt Wolfgang Tiefensee, habe ihm sein Patenonkel prophezeit: „Du wirst mal Diplomat.“ Das wurde der inzwischen 65-Jährige zwar nicht. Aber der gelernte Ingenieur für Industrielle Elektronik, aus einer katholischen Familie in Gera stammend und zu DDR-Zeiten mutig den Wehrdienst verweigernd, legte nach der Wende eine bemerkenswerte Karriere als Politiker hin. Er war Oberbürgermeister in Leipzig, Bundesverkehrsminister und Bundestagsabgeordneter; aktuell ist er Wirtschaftsminister und SPD-Landeschef in Thüringen. Nun hat Tiefensee seinen Abschied aus der aktiven Politik angekündigt.

Im Herbst will er nicht mehr als SPD-Landeschef kandidieren und nach der für April 2021 geplanten vorgezogenen Neuwahl in Thüringen nicht erneut als Minister zur Verfügung stehen. Sein Abschied kommt früher als geplant. Das sorgt für Spekulationen. Tiefensee selbst verweist auf die vorgezogenen Neuwahlen, die die Folge der Thüringer Regierungskrise von Jahresanfang sind. Er sagt, er habe sich mit Blick auf sein Alter gefragt, ob er die gesamte nächste Wahlperiode durchhalten könne. Seine Antwort: Das wolle er sich und seiner Partei nicht zumuten.

Was er nicht erwähnt, ist das Desaster bei der Landtagswahl im Oktober. Unter ihm als Spitzenkandidaten wurde die SPD in Thüringen, wo die Wiege der deutschen Sozialdemokratie liegt, erstmals einstellig. Sie sackte von 12 auf 8 Prozent. Für die Genossen ist es geradezu zum Verzweifeln: In Deutschlands erster rot-rot-grüner Regierung, seit 2014 unter Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow im Amt, machen ihre Minister zwar eine gute Arbeit. Aber die Wähler zahlten nur auf dem Stimmenkonto der Partei des Regierungschefs ein. Die Linke wurde mit 31 Prozent erstmals stärkste Kraft in einem Bundesland. In der rot-rot-grünen Minderheitsregierung tritt sie inzwischen recht dominant auf. SPD und Grüne fühlen sich von Ramelows Alleingängen provoziert, gerade aktuell mit dessen Ruf nach einem Ende des Corona-Ausnahmezustands. Vielleicht hat das zu Tiefensees Abschied beigetragen.

Zudem scharrt dessen Parteifreund Georg Maier - vormals Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, jetzt Innenminister - seit längerem mit den Hufen, um selbst SPD-Landeschef zu werden. Maier kam 2015 nach Thüringen, davor war er Manager bei der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Ob auf ihn der Steckbrief zutrifft, den Noch-Vorsitzender Tiefensee für die Suche nach seinen Nachfolger entwirft? Der müsse ein sozialdemokratisches Herz haben, integrieren können und dicht bei den Menschen sein, sowohl beim Schlips-Träger wie bei dem, der den Blaumann anhat. Das geht wohl eher in Richtung von Matthias Hey, dem Chef der geschrumpften SPD-Landtagsfraktion. Der Bio-Thüringer gilt bereits als Parteichef der Herzen. Bisher aber widerstand er aus familiären Gründen allen Lockrufen seiner Genossen.

„Alles ist möglich“

Tiefensee möchte sich nicht dazu äußern, wen er sich als Nachfolger in der Partei wünscht. Auch nicht, ob es eine Urabstimmung geben oder ob erstmals eine Doppelspitze den knapp 4.000 Mitglieder umfassenden Landesverband führen sollte. Er sagt nur: „Alles ist möglich.“ Er sei sich sicher, dass jetzt einige ernsthaft über eine Bewerbung nachdächten. Zumindest empfiehlt er, Landesvorsitz und Spitzenkandidatur für die vorgezogene Landtagswahl in eine Hand zu legen.

Blickt Tiefensee auf seine Politiker-Karriere, dann nennt er die Jahre in Leipzig als prägend. Unter den Fittichen von Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD) war er damals Dezernent in der Stadtverwaltung. „Er hat mich unglaublich viel gelehrt über die Politik“, sagt Tiefensee über seinen Mentor. Aus diesen Erfahrungen habe sich gespeist, was er selbst als Politiker habe leisten können. Besonders erfüllend sei immer die Zeit in der Exekutive gewesen. Weil in den Parlamenten nur viel heiße Luft produziert wird? Tiefensee erwidert: Weil er da Projekte habe anstoßen und umsetzen können und die Zeit bis zur Umsetzung einfach kürzer war.

Nächstes Jahr, wenn er sein Ministeramt in Thüringen abgibt, ist er 66. Was dann kommt, weiß er noch nicht. Aber dass er einfach in den Ruhestand geht, sei ausgeschlossen. „Ich möchte nicht in den Schaukelstuhl“, lacht der Politiker mit der sonoren Stimme, der als Cello-spielender Oberbürgermeister bei der Leipziger Olympiabewerbung für einen Gänsehaut-Moment sorgte. Aber natürlich, fügt Tiefensee hinzu, freue er sich darauf, mehr Zeit fürs Private zu haben. Der geschiedene vierfache Vater lebt in Erfurt mit einer Kulturmanagerin zusammen.