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Die Eltern sind gestorben - wohin mit ihren Sachen?

Womit fängt man bloß an, wenn die elterliche Wohnung zu beräumen ist? Auf jeden Fall nicht mit irgendwelchen Gegenständen, sagt Christina Erdmann. Die Autorin weiß aus Erfahrung, wie man am besten vorgeht.

Von Susanne Plecher
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Jörg Egerer hat sein Elternhaus fotografiert, nachdem die Eltern verstorben waren. Der Platz seines Vaters auf dem Balkon ist verwaist.
Jörg Egerer hat sein Elternhaus fotografiert, nachdem die Eltern verstorben waren. Der Platz seines Vaters auf dem Balkon ist verwaist. © Jörg Egerer

Irgendwann trifft es jeden: Die Eltern sterben, ihre Wohnung ist auszuräumen, der Nachlass zu sortieren. Zum Schmerz des Verlustes, dem Organisieren der Beerdigung und aller amtlichen Wege kommen etliche weitere Fragen: Wohin mit der Mineraliensammlung des Vaters und dem guten Geschirr von Großtante Elfriede? Was behalte ich, was gebe ich weg? Christina Erdmann hat die Wohnung ihrer Eltern noch zu deren Lebzeiten aufgelöst. Danach half sie Freunden, später fremden Menschen. In ihrem jetzt erschienenen Buch „Adieu Elternhaus“ zeigt sie, wie man gut durch diese emotionale und organisatorische Mammutaufgabe kommt.

Wohin mit Mutters liebster Vase? Darf die einfach in den Müll?
Wohin mit Mutters liebster Vase? Darf die einfach in den Müll? © Jörg Egerer

Frau Erdmann, was fällt den meisten beim Beräumen am schwersten?

Zum einen fangen die meisten Menschen sehr willkürlich an, im Haus zu räumen. Sie hoffen, dass sie irgendwie vorwärtskommen, aber sie verlieren sich dabei im Umgang mit den Dingen. Außerdem fallen ihnen oft die Entscheidungen schwer, was mit den Gegenständen passieren soll.

An diesen beiden Stellen spielt die eigene emotionale Beteiligung eine große Rolle. Denn so gut wie alle werden von dem Phänomen überrollt, dass selbst Dinge, die sie nie im Elternhaus mochten, auf einmal eine Bedeutung für sie gewinnen, weil die Eltern nicht mehr da sind.

Was ist Ihr wichtigster Rat?

Nicht zuerst die Dinge zu sortieren, sondern sich selbst.

Das müssen Sie bitte erklären!

Selbst, wenn man unter Zeitdruck steht und man die Wohnung oder das Haus möglichst schnell ausräumen muss, ist es hilfreich, sich zuerst ein paar Fragen zu stellen: Wie stehe ich zu dem Haus oder der Wohnung? Was möchte ich, was jetzt damit passiert? Wie möchte ich dabei vorgehen? Dazu gehört auch, sich mit den eigenen Erinnerungen auseinanderzusetzen. Gehen Sie noch einmal ganz bewusst durch alle Räume und fotografieren Sie sie!

Denn in diesem Zustand werden sie nicht mehr lange existieren. Wer Fotos macht, kann zum Beispiel ein Erinnerungsbuch anlegen und und auch Jahre später noch nachschauen, wie was war und wo was stand. Fotos können aber auch einen symbolischen Abschied unterstützen, wenn man ein gespaltenes Verhältnis zum Ort und seinen Eltern hatte. Dann kann man sie ganz bewusst löschen und sich den Abschied auch auf dieser Ebene gönnen.

Dr. Christina Erdmann, Diplompädagogin, Führungskräftecoach und Autorin, ist in ihrem Freundeskreis als Organisationstalent bekannt. Die vielen Bitten um Hilfe beim Beräumen der elterlichen Wohnungen waren Anlass für das Buch.
Dr. Christina Erdmann, Diplompädagogin, Führungskräftecoach und Autorin, ist in ihrem Freundeskreis als Organisationstalent bekannt. Die vielen Bitten um Hilfe beim Beräumen der elterlichen Wohnungen waren Anlass für das Buch. © Annette Hauptmann, Witten

Warum fällt es so schwer, Dinge der Eltern zu entsorgen? Meist braucht man doch die alten Sachen gar nicht.

Dahinter steckt die Angst vor einer falschen Entscheidung. Es gibt Leute, die sich drei Stücke als Erinnerung herausnehmen und den Rest entsorgen lassen. Aber viele andere stellen sich den eigenen Keller zu. Es fällt ihnen ungeheuer schwer, die Dinge, auf die die Eltern einst so lange gespart haben, zu verschenken oder sogar in den Müll zu geben.

Helfen Fotos bei der Entscheidung, was man mitnimmt und was weg kann?

In vielen Fällen ja. Am Anfang hat man oft das Gefühl, man müsse fast alles behalten, besonders, je intensiver und schöner die Erinnerungen an das Zuhause sind. Aber ein Foto davon kann auch reichen – und man kann die Sache selbst gehen lassen, zum Beispiel einem Sozialkaufhaus spenden, damit andere sich daran noch freuen können.

Es hilft sehr, sich hier selbst zu hinterfragen: Was brauche ich wirklich für meine Erinnerung? Muss ich die Dinge anfassen können? Oder reicht es mir, zu wissen, dass sie einmal da waren und ich sie mir mithilfe der Fotos auch immer mal wieder in Erinnerung rufen kann.

Darf man Sachen entsorgen, die den Eltern besonders am Herzen lagen, auf die sie stolz waren?

Viele haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie das tun. Aber auch, wenn es zuerst wirklich schwerfällt: Machen Sie sich klar, dass es jetzt um IHRE Entscheidung geht. Sie müssen damit leben. Es ist sehr legitim, Dinge wegzugeben, zu verschenken oder zu spenden. Sich das klarzumachen, kann helfen, um bei den Entscheidungen über die Dinge gut voranzukommen.

Das ist sicher schwer, denn Erinnerung und Verlustschmerz begleiten einen ja.

Das ist immer so: Die emotionale Verbindung zu den Menschen, die nicht mehr im Haus sind, begleitet das Beräumen die ganze Zeit über. Man wird also wahrscheinlich immer wieder Dinge finden, die man nicht mehr im Kopf hatte, und bei denen einem die Tränen oder die Wut kommen. Aber wenn man sich von vornherein darüber klar ist, dass das passieren kann, ist das in dem Moment leichter zu handhaben, und es lähmt einen nicht mehr so stark beim Vorankommen.

Was macht man mit Erbstücken, die es schon sehr lange in der Familie gibt? Darf man die wegwerfen?

Das ist eine sehr schwierige Angelegenheit. Ich glaube, man sollte bei Sachen mit hohem ideellen Wert kreativ werden. Haben sie einen geschichtlichen Wert, der über die Eltern und die eigene Familie hinausgeht? Das kann bei Dingen wie einem sehr alten Buch oder bei sehr altem Kinderspielzeug der Fall sein. Ist das vielleicht für ein Museum oder einen Sammler interessant, wenn es niemand aus der Familie haben will?

Aber manchmal, so bitter das klingt, hilft auch das nicht weiter. Das ist hart, weil wir nicht mehr die Familientraditionen haben, wo solche Dinge selbstverständlich über Jahrzehnte oder manchmal auch Jahrhunderte transportiert werden. Das Interesse der Menschen hat sich sehr geändert, und dann hilft nur noch wegwerfen, auch wenn man es selbst kaum übers Herz bringen mag.

Sind die Menschen nicht mehr da, fehlt den Räumen die Seele.
Sind die Menschen nicht mehr da, fehlt den Räumen die Seele. © Jörg Egerer

Was macht man mit Münz- oder anderen Sammlungen, wenn man den Aufwand scheut, selbst einen Käufer zu suchen?

Da würde ich einen seriösen Experten suchen, der sich das dann anschauen könnte. Dann kann man sie zu dem angebotenen Preis verkaufen. Bei wertvollen Kunstsammlungen oder Möbeln kann sich das lohnen. Aber leider muss man sich auch klar darüber sein, dass zum Beispiel häufig Briefmarkensammlungen, Zinnbecher, Reader´s Digest oder auch 20-bändige Lexika, wofür die Eltern sehr viel Geld ausgegeben haben, heute nichts mehr wert sind. Selbst bei Meissener Porzellan bekommt man meistens kaum noch was. Das ist richtig bitter.

Gibt es eine Durchschnittsangabe, wie viel Zeit man für das Beräumen ohne einen Entrümpler einplanen muss?

Das hängt von vielen Faktoren ab, man hat schließlich ja auch noch ein eigenes Leben mit Arbeit, Kindern und Haushalt. Wenn es nicht gerade eine Messi-Wohnung ist und man richtig schnell vorankommt, kann man grob sagen: Pro Zimmer ein Tag kann klappen. Aber das ist wirklich von Wohnung zu Wohnung oder Haus zu Haus sehr unterschiedlich.

Soll man beim Ausräumen Raum für Raum vorgehen?

Es gibt Menschen, die damit wunderbar klarkommen. Es hat den Vorteil, dass man irgendwann ein Zimmer wirklich leer hat. Ich finde das jedoch sehr anstrengend, denn so ein Raum beinhaltet viele unterschiedliche Dinge, die man sortieren und über die man entscheiden muss. Das kostet viel Energie, und im nächsten Raum geht die gleiche Schleife ja wieder von vorne los.

Zu welcher Alternative raten Sie?

Räumen nach Kategorien, also sich Schritt für Schritt nur mit einer Sorte von Dingen beschäftigen, eine Entscheidung treffen. Zum Beispiel geht man durch das ganze Haus und sammelt alle Zeitungen, Zeitschriften, Werbesendungen und Reklame ein, schüttelt alles kurz aus, um sicherzustellen, dass dort kein Geld versteckt ist oder dadurch wichtige Notizen verloren gehen, und bringt sie zum Altpapiercontainer.

Oder ich sammle alle Vasen zusammen. Ist eine dabei, die mir etwas bedeutet, weil Mama darin immer die Blumen gesteckt hat, die ich ihr vom Schulweg gepflückt habe? Die nehme ich mit. Das ist auch eine gute Möglichkeit, Geschwisterstreit nicht eskalieren zu lassen. Wenn einer die Uhr von Papa haben will und man feststellt, dass es fünf Uhren gab, können sich vier Geschwister sehr gut darauf verständigen. Dann sind die Zeitungen, die Vasen, die Uhren raus, und man muss sich darum bis zum Schluss nicht mehr kümmern. So vorzugehen, macht es weniger anstrengend.

Adieu Elternhaus. Elternhaus auflösen – sortieren, wertschätzen, loslassen. Christina Erdmann. Rowohlt Taschenbuchverlag, 240 Seiten, 16 Euro.
Adieu Elternhaus. Elternhaus auflösen – sortieren, wertschätzen, loslassen. Christina Erdmann. Rowohlt Taschenbuchverlag, 240 Seiten, 16 Euro. © Rowohlt Verlag

Womit fängt man am besten an?

Fangen Sie mit etwas an, was Ihnen selbst, aber auch den Geschwistern nicht wehtut. Zum Beispiel die Sammlung von leeren Joghurtbechern aus dem Keller, in die Papa immer seine Schräubchen sortieren wollte. Da ist es vielleicht für niemanden schlimm, sie in den Verpackungsmüll zu geben. Und dann zu wissen: In diesem Haus gibt es keine Joghurtbecher mehr, ich muss mich darum nicht mehr kümmern. Das geht auch mit Wohntextilien: Decken, Kissen, Tischsets – das alles komplett rausgenommen macht ein Wohnzimmer sofort ruhiger, es fühlt sich leer an.

Warum empfehlen Sie in Ihrem Buch, sich rechtlich vorab schlauzumachen?

Weil es immer häufiger Geschwister gibt, die sich völlig zerstreiten und irgendwann sogar vor Gericht landen. Die Auslöser sind in den meisten Fällen Habgier, Neid und Missgunst. In einer solchen Situation sollte man wissen, was man als Teil einer Erbengemeinschaft darf, welche Rechte und Pflichten jeder Erbe hat, was man mit den anderen gemeinsam entscheiden muss, oder was man alleine entscheiden darf.

Und auch wenn man Alleinerbe ist, sollte man genau wissen, wie man sich gegenüber Banken, Versicherungen, einem Vermieter oder einer Behörde verhalten kann und sollte und welche Dokumente man braucht, um zum Beispiel Verträge zu kündigen. Wer das weiß, hat weniger Arbeit und weniger aufgeriebene Nerven