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Auf den Spuren der Madonna von Fürstenau

Germanist Jan Kvapil machte überraschende Entdeckungen zu dem Altar, der sich früher in dem sächsischen Ort befand.

Von Steffen Neumann
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Jan Kvapil in der Nähe der Stelle, an der sich einst die Marienkapelle von Prední Cínovec (Vorderzinnwald) befand.
Jan Kvapil in der Nähe der Stelle, an der sich einst die Marienkapelle von Prední Cínovec (Vorderzinnwald) befand. © Steffen Neumann

Der tschechisch-deutsche Grenzstein verschwindet fast im hohen Gras. „Hier stand sie“, zeigt Jan Kvapil auf eine kaum wahrnehmbare Erhebung im Grasmeer und meint die einstige Marienkapelle in Přední Cínovec (Vorderzinnwald). Den Ort gibt es seit 1945 nicht mehr. Damals wurden die deutschen Bewohner aus der Tschechoslowakei vertrieben. Die Häuser wurden wegen der Grenznähe nicht mehr bezogen und später abgerissen. Heute erinnert eine Infotafel an den Ort.

Der barocke Marienaltar, der bis 1945 in der Kapelle stand, ist heute im Regionalmuseum in Teplice (Teplitz) zu bewundern. Einst gehörte der Altar in die Kirche im sächsischen Fürstenau und zum Tag Mariä Heimsuchung Anfang Juli pilgerten böhmische Gläubige in Scharen zu ihm. 1887 zog der Altar wegen eines Kirchenneubaus in Fürstenau in die neu erbaute Kapelle nach Přední Cínovec, nach 1945 in die Kirche Jungfrau-Maria-Geburt in Zadní Cínovec (Hinterzinnwald), heute als Cínovec bekannt. Zwischen 2004 und 2007 wurde das Kunstwerk restauriert und ist seitdem im Museum in Teplice ausgestellt. Doch der Altar ist nicht vollständig, hat Jan Kvapil, Germanist an der Universität Ústí nad Labem (Aussig), herausgefunden. Und nicht nur das.

Hilfe von Königin Carola

Für den Bau der Kapelle in Přední Cínovec hatte sich sogar die sächsische Königin Carola eingesetzt und eine beachtliche Geldsumme gespendet. „Das Interesse der Königin lässt sich auch dadurch erklären, dass sie regelmäßig mit Freundinnen Ausflüge von ihrem Jagdschloss in Rehefeld zum Mückentürmchen unternahm. Und da lag die Kapelle direkt am Weg“, weiß Kvapil. Carola stammte aus Österreich-Ungarn. Als Jugendliche konvertierte sie zum katholischen Glauben.

Der Marienaltar von Fürstenau ist heute im Regionalmuseum von Teplice (Teplitz) zu besichtigen. Doch etwas an ihm fehlt.
Der Marienaltar von Fürstenau ist heute im Regionalmuseum von Teplice (Teplitz) zu besichtigen. Doch etwas an ihm fehlt. © Egbert Kamprath

Der eigentliche Grund der Verlegung nach Vorderzinnwald hing damit zusammen, dass das Dörfchen einst kirchlich zur Gemeinde in Fürstenau gehörte. Doch da beginnen die Fragen, die Kvapil aktiv werden ließen. Fürstenau lag im protestantischen Sachsen, Vorderzinnwald im katholischen Böhmen. Wie war das möglich? Und warum hatte eine kleine lutherische Dorfkirche in Fürstenau noch im 19. Jahrhundert einen so eindeutig auf die Marienverehrung ausgerichteten Altar?

Führt die Spur nach Pirna?

„Die Geschichte interessierte mich schon länger. Während der Coronapandemie fand ich Zeit, mich in die Archive zu vertiefen, die digital zugänglich gemacht waren“, erzählt Kvapil, der vor allem in sächsischen Archiven forschte. Die Frage der Konfession ließ sich mit der Abgelegenheit des Erzgebirges beantworten. „Sowohl die Reformation setzte hier erst viel später ein, als auch später die Rekatholisierung in Böhmen“, erklärt Kvapil.

Dazu kommt der rege Austausch. Die Fürstenauer arbeiteten in den Erzgruben von Krupka (Graupen). Kvapil vermutet, dass sie sich deshalb den katholischen Glauben länger erhielten und den Altar anschafften. Solche Altäre verschwanden mit der Reformation zuhauf aus den Kirchen. Die Fürstenauer könnten einen davon günstig erworben haben. Kvapil hat sogar eine Vermutung, wo: „Aus der Stadtkirche in Pirna. Das kann ich zwar nicht beweisen, aber dafür spricht, dass Fürstenau direkt am Handelsweg von Pirna nach Prag lag.“ Ganz abwegig ist das nicht. Immerhin gelangte einer der 20 Pirnaer Altäre nachweislich nach Tschechien und steht bis heute in der Dekanatskirche in Ústí.

Symbol der Toleranz

Stutzig wurde Kvapil, als er feststellte, dass die gut besuchten Prozessionen aus den böhmischen Grenzdörfern zur Fürstenauer Madonna von keinem Priester begleitet wurden. „Es handelte sich wohl um eine wilde, nicht von der offiziellen katholischen Kirche abgesegnete Wallfahrt.“ Dafür spricht, dass die Wallfahrt in den böhmischen Kirchenchroniken bis zum Umzug nach Vorderzinnwald mit keiner Silbe erwähnt wurde.

„In Fürstenau sorgten die katholischen Pilger wiederum für Aufsehen, zumal am gleichen Tag ein Tanzvergnügen stattfand“, erzählt Kvapil. In sächsischen Gerichtsakten konnte er nachlesen, dass die Wallfahrt 1842 verboten werden sollte. Schlussendlich entschied man sich, den Tanz abzusagen. Den Ausschlag gab wohl die tolerante Position des Fürstenwalder Pfarrers Heinrich Tittel, für den die Wallfahrt eine Art abschreckendes Beispiel des Aberglaubens für seine Gemeindemitglieder war.

Exkursionen ins Grenzgebiet

Eine spektakuläre Entdeckung machte Kvapil auch noch. Die ausführlichen Beschreibungen des Pfarrers Tittel brachten ans Licht, dass der Altar nicht nur zwei, sondern vier Flügel hatte. „Bei der Suche, wo sie abgeblieben sein könnten, erzählte ich der Restauratorin des Bistums Litoměřice, (Leitmeritz) Eva Votočková, davon, die sie daraufhin in der Bischofsresidenz fand“, sagt Kvapil. Die Herkunft der beiden Flügel war bisher unbekannt, die Scharniere, Stil und Motiv passen aber perfekt zum Altar. Zu einer Wiedervereinigung des Werks hat sich das Bistum noch nicht geäußert.

Für Jan Kvapil hat die Geschichte aber noch eine andere Folge. Wegen Einsparungen an der Universität muss sich der Germanist ab September eine neue Arbeit suchen. „Ich möchte künftig Touristen auf den Spuren solcher sächsisch-böhmischen Geschichten führen“, verrät er.

Mit „Jan Kvapil – Kulturtouren nach Böhmen“ hat Kvapil bereits einen passenden Namen für seine Idee. Dann wird er auch noch mehr über die Madonna erzählen, um die sich schon einige Legenden ranken.