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Post aus Prag: Den ÖPNV loben - und trotzdem ins Auto steigen

Autofahrer meiden in Prag Bus und Bahn, weil sie um ihren sozialen Status fürchten. Und das, obwohl sie ihn sehr gern nutzen. Wie passt das zusammen?

Von Hans-Jörg Schmidt
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Die Prager sind sehr zufrieden mit ihrem ÖPNV.
Die Prager sind sehr zufrieden mit ihrem ÖPNV. © SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa

Prag. Es kommt nicht so oft vor, dass die ewig nörgelnden Prager ihre Stadt mal so richtig loben. In einer dieser Tage veröffentlichten Umfrage des internationalen Magazins „Time Out“ taten sie es. Das Blatt, das in mehr als 300 Städten weltweit erscheint, stellte 20.000 Leser vor die Frage, ob es einfach sei, sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch ihre Stadt zu bewegen. Das Ranking fiel einigermaßen überraschend aus. Nicht die zauberhaften Straßenbahnen von Lissabon, Melbourne oder San Francisco sorgten für Furore. Gewinner war Berlin. Und vor Tokio kam Prag auf den tollen zweiten Platz.

Das Ergebnis von Prag ist nicht nur sehr verdient und für mich überhaupt nicht überraschend. Wenn ich nicht einmal in der Woche einen größeren Einkauf zu bewältigen hätte, könnte ich auf mein Auto locker verzichten. Das Netz von Bussen und Straßenbahnen an der Moldau ist eng gestrickt. Nimmt man noch die Metro als Hauptverkehrsmittel hinzu, kommt man rasch von einem zum anderen Ende der Stadt. Das Netz wird ausgeweitet, auch bei der Metro, was richtig ins Geld geht.

  • Unser Autor Hans-Jörg Schmidt wurde 1953 in Halle/Saale geboren. Er hat in den 1970er Jahren bei der VP-Bereitschaftspolizei in seiner Heimatstadt Wehrersatzdienst geleistet und später Journalistik studiert. Er arbeitet seit 1990 als Prager Korrespondent unter anderem für die Sächsische Zeitung.

Autofahrer sind auch Wähler

Alles ist eng getaktet, in der Hauptverkehrszeit fahren die einzelnen Linien alle drei bis fünf Minuten. Es gibt Tramlinien, mit denen Touristen regelrechte Stadtrundfahrten machen können. Und außerdem ist der Prager ÖPNV auch noch preiswert. Eine Jahreskarte für das komplette Stadtgebiet kostet umgerechnet 146 Euro, was etwa 12 Euro im Monat sind. Ab dem 60. Lebensjahr sinkt der Preis, Leute 65+ fahren frei.

Kurios ist die Liebe der Prager zu ihren Öffentlichen dennoch. Bei vielen ist sie nämlich nur platonischer Art. Sie loben sie zwar über den grünen Klee, aber es würde ihnen nie einfallen, sie auch zu nutzen. Sie steigen lieber ins Auto. Damit stehen sie vorwiegend im Stau, finden nirgendwo einen Parkplatz, verpesten die Luft, machen einen Fahrradverkehr wegen der Enge auch vieler Hauptverkehrsadern nahezu unmöglich - und finden doch immer noch einen Grund, nicht auf die Öffentlichen umzusteigen.

Die notorischen Autofans sagen: „Das Auto verleiht uns einen anderen Status als Mensch.“ Oder richtig arrogant: „Die Öffentlichen sind nichts für Besserverdienende, nur für Sozialhilfeempfänger.“ Solche Leute bekommt man nicht überzeugt. Die Stadtoberen könnten das enge, verstopfte Zentrum für Autos schließen oder Gebühren für dort Nichtansässige erhöhen. Doch dazu fehlt der Mut. Autofahrer sind schließlich auch Wähler.