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Bluttat mit 14 Toten an Prager Universität: Polizei sucht nach Motiv

Ein junger Mann eröffnet an der Prager Karls-Universität das Feuer - 14 Menschen sterben. Nun ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft zu den Umständen. Der Schütze könnte noch weitere Tote auf dem Gewissen haben. Die Anteilnahme ist riesig.

Von Erik-Holm Langhof
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Bei Schüssen an einer Hochschule in der Prager Innenstadt sind mehrere Menschen getötet und verletzt worden.
Bei Schüssen an einer Hochschule in der Prager Innenstadt sind mehrere Menschen getötet und verletzt worden. © AP

Prag. Nach der Schusswaffenattacke an der Prager Karls-Universität mit 14 Toten und vielen Verletzten sucht die Polizei nach einem Motiv für die Tat. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren sei eingeleitet worden, um die Umstände aufzuklären, sagte die zuständige Staatsanwältin Lenka Bradacova. Auch der mutmaßliche Schütze ist tot. Er tötete sich selbst.

Der junge Mann hatte am Donnerstagnachmittag im Hauptgebäude der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität das Feuer eröffnet. Nach den jüngsten Angaben wurden 25 Menschen im Kugelhagel verletzt, davon zehn schwer bis lebensgefährlich. Manche erlitten Durchschüsse im Kopf- oder Brustbereich oder an den Extremitäten und mussten sofort operiert werden. Alle waren in einem stabilisierten Zustand.

Alle Opfer seien inzwischen identifiziert. Unter den Toten seien keine Ausländer. Zwei Bürger aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und ein Niederländer seien unter den Verletzten, hieß es.

Die Regierung rief für diesen Samstag eine eintägige Staatstrauer aus. Fahnen sollen auf halbmast wehen, die Lichterketten am Weihnachtsbaum auf dem Prager Altstädter Ring sollen erlöschen. Geplant ist auch ein Trauergottesdienst im Prager Veitsdom.

Nach Angaben von Tschechiens Polizeipräsident Martin Vondrášek sei bei der Polizei um 14.59 Uhr der erste Anruf eingegangen, wonach es in der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität am Jan-Palach-Platz Schüsse geben soll. Innerhalb weniger Minuten seien die ersten Streifen vor Ort gewesen, nach zwölf Minuten die Zugriffseinheit der Tschechischen Polizei.

Der 24 Jahre alte Täter aus Hostouň bei Prag soll bereits am Mittag um 12.20 Uhr öffentlich angekündigt haben, nach Prag fahren zu wollen, um sich selbst das Leben zu nehmen. Zuvor tötete er noch in Hostouň seinen eigenen Vater. Die Polizei fahndete daraufhin nach ihm.

Im Gebäude der Philosophischen Fakultät sei der 24-Jährige dann wohl von Polizisten kurz vor 16 Uhr getötet worden. Möglich sei jedoch auch Suizid. Das sei aktuell Bestandteil der polizeilichen Ermittlungen, so Polizeipräsident Vondrášek.

Bluttat in Prag: Hat der Schütze weitere Tote auf dem Gewissen?

Über ein mögliches Motiv des Schützen herrschte noch Unklarheit. Vor der Bluttat soll der 24-Jährige bereits seinen Vater in dessen Haus in der Gemeinde Hostouň westlich von Prag ermordet haben.

Die Ermittler äußerten einen schlimmen Verdacht: Der 24-Jährige soll auch für einen schockierenden Doppelmord vor einer Woche verantwortlich gewesen sein. Ein Vater und dessen Tochter im frühen Säuglingsalter waren scheinbar grundlos in einem Waldstück am Prager Stadtrand erschossen worden. Der Fall hatte in Tschechien für Entsetzen gesorgt. Später teilten die Ermittler mit, dass eine ballistische Untersuchung einer der im Haus des Uni-Schützen gefundenen Schusswaffen ihre Vermutung bestätigt habe.

Eine Frau entzündet Kerzen vor dem Gebäude der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität in der Prager Innenstadt.
Eine Frau entzündet Kerzen vor dem Gebäude der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität in der Prager Innenstadt. © AP

Premierminister Petr Fiala sagte seine Termine in Olomouc (Olmütz) aufgrund der Schießerei ab und reiste nach Prag. Vor Ort sagte er, es habe sich um einen einsamen Schützen gehandelt. Der 24-Jährige sei nicht vorbestraft gewesen, habe aber legal mehrere Waffen besessen. Der junge Mann habe sich wahrscheinlich von Amokläufen im Ausland inspirieren lassen.

Der tschechische Innenminister Vít Rakušan sagte, es gebe keine Hinweise auf einen zweiten Täter oder auf einen terroristischen Hintergrund. Es dürfte der schlimmste Schusswaffenangriff in der Geschichte der seit 1993 unabhängigen Tschechischen Republik gewesen sein.

Polizeipräsident Martin Vondrášek (zweiter von links) spricht zu den Medien. Bei Schüssen an einer Hochschule in der Prager Innenstadt sind mehrere Menschen getötet und verletzt worden.
Polizeipräsident Martin Vondrášek (zweiter von links) spricht zu den Medien. Bei Schüssen an einer Hochschule in der Prager Innenstadt sind mehrere Menschen getötet und verletzt worden. © Kateřina Šulová/ČTK/dpa

Laut einer Sprecherin des Rettungsdienstes seien zahlreiche Rettungskräfte sowie ein spezielles Fahrzeug für den Massenanfall von Verletzten vor Ort im Einsatz gewesen. Es sei der sogenannte Traumaplan ausgerufen worden - ein System, wonach der Rettungsdienst und Kliniken auf zahlreiche Verletze vorbereitet werden.

Die 25 Verletzten seien leicht, mittel und schwer verletzt worden, einige auch lebensgefährlich. Sie kamen in mehrere Kliniken im Stadtgebiet. Zu den 14 Toten liegen derzeit noch keine weiteren Angaben vor, so der Polizeipräsident. Zunächst hatte die Polizei von mindestens 15 Toten gesprochen, sich später aber korrigiert.

Die Polizisten evakuierten nach der Tötung des Schützen das Gebäude und brachten Studierende sowie Lehrkräfte in Sicherheit. Aufnahmen von vor Ort zeigen, wie Menschen, umgeben von Polizisten, aus dem Gebäude rennen. Auf in sozialen Netzwerken verbreiteten Fotos ist zu sehen, dass Zimmer und Hörsäle teils mit Stühlen und Tischen verbarrikadiert wurden.

Wie der Boulevardzeitung "Blesk" berichtet, wurden Hochschüler und Professoren per E-Mail gewarnt: "Bleiben Sie an Ort und Stelle, gehen Sie nirgendwo hin. Schließen Sie ab und stellen Sie Möbel vor die Türen. Schalten Sie das Licht aus, der Schütze befindet sich wahrscheinlich im vierten Stock."

Tschechen spenden nach tödlicher Attacke

Die Anteilnahme nach der Attacke ist riesig: Als Reaktion hat die Hochschule eine Spendenaktion für die Verletzten und die Angehörigen der Toten eingerichtet. Bis zum Freitagmorgen beteiligten sich bereits mehr als 2700 Menschen daran, wie auf der Internetseite des Stiftungsfonds der Uni zu sehen war. Die gespendete Summe belief sich bis dahin auf knapp 2,7 Millionen Kronen, umgerechnet mehr als 100.000 Euro.

Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich tief bestürzt über die schrecklichen Nachrichten aus Prag. "Unsere Gedanken sind bei den Familien und Freunden der Opfer, unser Mitgefühl gilt unseren tschechischen Freundinnen und Freunden", schrieb der SPD-Politiker beim Kurznachrichtendienst X. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte die sinnlose Gewalt. Ähnlich äußerten sich die Präsidenten Frankreichs, der Slowakei, der Ukraine und Israels sowie zahlreiche weitere Spitzenpolitiker.

Die Polizei ist an der Fakultät im Großeinsatz.
Die Polizei ist an der Fakultät im Großeinsatz. © X/PolicieCZ

Sachsens Wissenschaftsminister: "Freistaat ist eng mit Karls-Universität verbunden"

In einer ersten Reaktion bekundet auch Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (SPD) seine Solidarität mit der Karls-Universität, zu der der Freistaat Sachsen und sächsische Hochschulen enge Beziehungen unterhalten. Gemkow sagte am Abend: "Ich bin schockiert von den Nachrichten, die uns aus Prag erreichen. Der Freistaat Sachsen und viele Hochschulen sind mit der Prager Karls-Universität eng verbunden, in zahlreichen Kooperationsprojekten in der Lehre und auch in der Forschung. Ich möchte deshalb meine volle Solidarität und Unterstützung für die Kolleginnen und Kollegen in Prag zum Ausdruck bringen. Wir stehen an Ihrer Seite."

Auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) hat sich am Abend zu Wort gemeldet: "Mit großer Betroffenheit habe ich die Nachricht von der schrecklichen Tat heute Nachmittag in Prag mit zahlreichen Opfern aufgenommen. Ich bin in Gedanken bei unseren tschechischen Nachbarn und trauere mit ihnen um die Opfer. Den Verletzten wünsche ich rasche und vollständige Genesung."

Schießerei in Prag: Touristen flüchteten von Karlsbrücke

Auf Internetvideos ist zu sehen, dass auch zahlreiche Touristen auf der Karlsbrücke am Nachmittag über die Brücke rannten, um sich in Sicherheit zu bringen.

Der Jan-Palach-Platz befindet sich direkt neben der Moldau, rund 500 Meter westlich vom Altstädter Markt sowie rund 400 Meter nördlich von der weltbekannten Karlsbrücke. Vor Ort gibt es mehrere Bildungseinrichtungen – die Philosophische Fakultät der Karls-Universität, die Universität für Angewandte Kunst und das Tanzkonservatorium.

Der Prager Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda zeigte sich schockiert. "Das ist eine Tragödie", sagte er dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ČT. "Das Schlimmste daran ist, dass diese Dinge nicht zu verhindern sind." Viele dächten, so etwas könne nur in den USA passieren, weil viele dort bewaffnet seien. Es zeige sich, dass dem nicht so sei.

Die Karls-Universität wurde 1348 gegründet und zählt damit zu den ältesten europäischen Universitäten. Sie hat insgesamt rund 49.500 Studentinnen und Studenten. Davon studieren rund 8.000 an der Philosophischen Fakultät. (mit dpa)

Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über das Thema Suizid, außer es erfährt durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800 1110111 und 0800 1110222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.

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