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Platzt Putins Traum von der eurasischen Vorherrschaft?

Verbot des „Z“-Symbols, Nicht-Anerkennung der „Volksrepubliken“, Ölhandel mit der EU: Kasachstan ist nicht einverstanden mit dem Krieg in der Ukraine. Das hat Folgen für den Kreml.

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In Kasachstans Hauptstadt Nursultan, die früher Astana hieß, ist man nicht begeistert von Russlands Krieg gegen die Ukraine.
In Kasachstans Hauptstadt Nursultan, die früher Astana hieß, ist man nicht begeistert von Russlands Krieg gegen die Ukraine. © Archivbild: SZ/Thomas Schade

Von Maria Kotsev

Aus 30 Tagen wurden lediglich sechs. Eigentlich sollte die Pipeline, durch die der zentralasiatische Staat Kasachstan Öl exportiert, für einen Monat blockiert werden. So entschied das ein russisches Gericht in der vergangenen Woche. Offiziell aufgrund möglicher „Verstöße gegen den Ölunfallbekämpfungsplan“, nachdem im kasachischen Tengiz eine Leitung explodiert war.

Doch wie viele Gerichtsentscheidungen in Russland war diese zumindest auch politisch: Kurz zuvor hatte Russlands Nachbarstaat Kasachstan angekündigt, Öl nach Europa liefern zu wollen – um die Energieversorgung des Kontinents weiterhin zu gewährleisten. Der kasachische Präsident forderte die EU dazu auf, alternative Pipelines, etwa über das kaspische Meer, auszubauen.

Es ist nicht das erste Mal seit Beginn des Ukraine-Krieges, dass Kasachstan sich gegen seinen bisherigen Verbündeten Russland stellt. Den russischen Eliten dürfte die Aufmüpfigkeit des ehemaligen Sowjetstaats ein Dorn im Auge sein.

Auch, weil ein russlandtreues Kasachstan essenziell ist für Wladimir Putins imperiale Vision: Darin dominiert Russland den Raum zwischen Schwarzem Meer und Pazifik. Doch Kasachstan spielt nicht mit, zumindest nicht beherzt. Vielmehr könnte vor Russlands Haustür ein neuer geopolitischer Konflikt entstehen. Und ein Verbündeter würde zum Rivalen.

Ferne zu Russland, Nähe zu China?

Ganz so hart bestrafen wollte Moskau Kasachstan für den Flirt mit Europa offenbar aber doch nicht: So zog Putins Regime die Blockade des Pipeline-Terminals, betrieben vom Kaspischen Pipelinekonsortium, nach nur sechs Tagen zurück. Ein Gericht im russischen Krasnodar hat am Montag den Öl-Stopp zurückgenommen und durch eine Geldstrafe ersetzt. Das Öl soll wieder fließen, der Rubel ebenso: 200.000 Rubel – was knapp 3.400 Euro entspricht – soll Kasachstan aber zur Strafe bezahlen.

„Ein plötzlicher Stopp der Pipeline könnte zu unwiderruflichen Schäden führen“, hatte das Pipelinekonsortium mitgeteilt. Vielmehr als technische Schäden drohten aber ökonomische: Rund 80 Prozent von Kasachstans Ölexporten laufen über die betreffende „Noworossiysk“-Pipeline, die im kasachischen Tengiz startet und im russischen Noworrossiysk endet.

Und auch die restlichen Exporte verlaufen größtenteils über Russland – nur fünf Prozent der Ölexporte Kasachstans über China. Insgesamt läuft etwa ein Prozent des weltweit gehandelten Öls durch die Leitung. Dies macht Kasachstan extrem abhängig von Russland – ein Zustand, den Präsident Quassim-Schormat Tokajew offenbar nicht hinnehmen will: Nach dem ersten russischen Gerichtsurteil ordnete er an, dass Kasachstan seine Ölexportrouten diversifizieren solle.

Ein mehr als symbolischer Schritt: Denn Kasachstan versuchte sich in der Vergangenheit stets Optionen für den Handel mit Europa sowie Asien offenzuhalten, ohne jedoch Russlands selbsternannte Vorherrscherrolle in Frage zu stellen. Letzteres ändert sich nun.

Warum rudert Russland zurück?

Russlands Kurswechsel bei der Pipeline-Blockade könnte sowohl juristische als auch politische Gründe haben. So sei der Stopp der Pipeline nicht nur ein Verstoß gegen die Verträge der eurasischen Wirtschaftsunion, sondern auch geopolitisch für Russland heikel, analysiert Russland-Experte Stefan Troebst. Er ist Professor für die Kulturgeschichte Osteuropas an der Universität Leipzig.

„Es war nicht sonderlich überlegt von Russland, sich wegen einer solch kleinen Sache mit Kasachstan anzulegen. Das Land hat eine Grenze zu China und ist in der komfortablen Position, sich für die andere Richtung zu entscheiden.“ An dieser Stelle wird es für Putin bereits problematisch. Denn in Moskau wolle man China neutral halten, sagt Troebst.

Kasachstans Präsident Tokajew geht auf Distanz zu Moskau
Kasachstans Präsident Tokajew geht auf Distanz zu Moskau © Kazakh presidential website/XinHua/dpa

Russland muss abwägen, wie viel es Kasachstan erlauben will. Der Präsident Quassim-Schormat Tokajew hat in jüngster Vergangenheit immer wieder klar gemacht, dass er nicht mit Russlands Krieg gegen die Ukraine und der damit verbundenen Politik der wirtschaftlichen Konfrontation mit dem Westen einverstanden ist.

Tokajews Sticheleien gegen Putin sind pointiert

So hat Tokajew beim St. Petersburger Wirtschaftsforum Ende Juni angekündigt, dass Kasachstan weder die „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk, noch die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien anerkenne. „Das ist eine ehrliche Antwort auf Ihre ehrliche Frage“, sagte er Putin ins Gesicht. Zuvor verbot Kasachstan das Kriegssymbol „Z“, das Zeichen Russlands im Ukraine-Krieg.

Nach der Gerichtsentscheidung zur Pipeline-Blockade distanzierte Tokajew sich weiter von Russland: Kasachischen Medien zufolge veranlasste der Präsident den Ausstieg seines Landes aus einem Vertrag des „Commonwealth of Independent States“ (CIS), der die Einführung einer unabhängigen Währung zusammen mit Russland vorgesehen hatte.

Zum CIS gehören neben der Russischen Föderation und Kasachstan die kaukasischen Staaten Armenien und Aserbaidschan, Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisistan, Moldau und Belarus.

Der Austritt aus dem Vertrag ist ein pointierter Schlag gegen Russlands Geostrategie auf dem eurasischen Kontinent: Denn der Kreml ist bemüht, alternative Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Sie sollen dem Westen Konkurrenz machen können, damit der Abgesang der westlichen Wirtschaftsvormacht nicht nur aus Worthülsen besteht.

Doch dafür benötigt Russland starke Partner, die mitziehen. Und wirtschaftlich ist Kasachstan durchaus bedeutend: Das Land ist einer der größten Erdöllieferanten an die Europäische Union. In Zentralasien ist es ökonomisch das stärkste Land, verfügt neben Öl auch über Mineral- und Metallreserven.

Tokajew und Putin
Tokajew und Putin © M. Klimentyev/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Zudem war Kasachstan einer der wenigen Staaten, der weiterhin sanktionierte Güter an Russland lieferte und Moskau half, die Strafen zu umgehen. Nach der Ölblockade hatte Kasachstan angekündigt, diese sogenannten Drittstaaten-Exporte zu beenden.

Russische Medien warfen bereits die Frage auf, ob Kasachstan Russland „betrogen“ habe. So hatte Russland Anfang des Jahres Kasachstan bei den Unruhen im Land wegen steigender Energiepreise doch mit „Friedenstruppen beigestanden“ – so Russlands Narrativ.

Doch auch das stimmt nicht ganz: Bei besagtem Petersburger Wirtschaftsforum – bei dem Putin übrigens Tokajews Namen falsch aussprach und die kasachische Unabhängigkeit in Frage stellte – beteuerte Kasachstan zugleich seine Loyalität zu Russland.

Tokajew sagte, es sei wichtig für beide Staaten, in der Eurasian Economic Union (EAEU) zusammenzuarbeiten und gemeinsam die schwierige ökonomische Lage, in der sich die Region befinde, zu überwinden. Denn wirtschaftlich abhängig ist Kasachstan von Russland vorerst weiterhin, das weiß Tokajew genau.

„Kasachstan hat sich von einer eurasischen Wirtschaftskooperation Vorteile versprochen. Doch jetzt, wo Russland einen massiven Krieg führt und seine Regionalpolitik auf die Erfordernisse des Krieges ausrichtet, schwinden die Vorteile für Kasachstan“, erklärt Russland-Experte Stefan Troebst.

Und tatsächlich hat die Inbetriebnahme der „Noworossiysk“-Pipeline Kasachstans Ölexportpotenzial deutlich gesteigert. Die Zusammenarbeit im Rahmen des CIS und erweiterter Handel mit Russland hat Ende der Neunzigerjahre zu einem Wirtschaftsaufschwung des Landes geführt.

„Kasachstan hat aber nun gesagt: ‚Wir sind ein souveräner Staat und können unser Öl verkaufen, wem wir wollen‘“, sagt Troebst. Die rote Karte aus Moskau kam prompt, auch, wenn sie anschließend mit einer gelben Karte ausgetauscht wurde. „Das Risiko für einen bilateralen Konflikt zwischen Russland und Kasachstan steigt gerade ganz massiv.“