SZ + Döbeln
Merken

Ukrainische Studentinnen zwischen Zuversicht und Ungewissheit

Alina Tserkovna und Leila Ismailova sind vor eineinhalb Jahren als junge Frauen nach Mittweida geflüchtet. Heute arbeiten sie und stehen kurz vor dem Hochschulabschluss. Sie erzählen auch, warum viele Ukrainer nicht fliehen.

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Alina Tserkovna und Leila Ismailova stehen in der Bibliothek der Hochschule Mittweida. Hier haben die beiden Ukrainerinnen häufig gelernt.
Alina Tserkovna und Leila Ismailova stehen in der Bibliothek der Hochschule Mittweida. Hier haben die beiden Ukrainerinnen häufig gelernt. © Hochschule Mittweida

Von Rasmus Wittrin

Schon als Kind wollte Alina Tserkovna nach Deutschland. Ihre Tante war nach Deutschland gezogen, als sie vier Jahre alt war. Seitdem war es Tserkovnas Traum, es ihrer Tante gleich zu tun. In der Schule lernte sie Deutsch, und fürs Studium ging sie extra auf die Universität in Odessa, weil diese ein Doppelabschluss-Programm mit der deutschen Hochschule Mittweida anbietet.

Aus einem Traum wurde ein Albtraum

Im März 2022 kam sie in Deutschland an – doch der Traum war ein Albtraum geworden. Die 21-Jährige hatte zwar geplant, für das neue Semester nach Mittweida zu ziehen. Doch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar musste sie ihre Familie in einem Land im Kriegszustand zurücklassen. Nur ihr jüngerer Bruder begleitete sie auf der Flucht.

Ähnlich ging es Leila Ismailova. Sie floh mit ihrer Cousine nach Mittweida, erzählt sie auf Englisch. Die Ankunft in der mittelsächsischen Stadt haben die beiden Frauen ambivalent erlebt. „Nach dem Krieg, nach den Bomben, haben wir uns hier sehr viel sicherer gefühlt“, sagt Ismailova. Die beiden Frauen kannten sich vor der Ankunft in Mittweida nur flüchtig, weil sie in unterschiedliche Fachsemester gingen.

Doch auf der anderen Seite war ihnen bewusst, dass ihre Familien weiter in Gefahr waren. „Wir wussten wegen der Bomben nicht, ob morgen, wenn ich meine Eltern anzurufen versuche, sie mir antworten würden oder nicht“, erinnert sich Alina Tserkovna.

Mehr Studenten seit Kriegsbeginn

Die Ankunft in Mittweida wurde ihnen durch viele Helfer erleichtert – seien es Nachbarn, andere Studenten oder Universitäts-Mitarbeiter. Besonders das International Office der Universität habe ihnen bei Fragen geduldig weitergeholfen.

Emelie Jusek arbeitet beim International Office und ist für die Betreuung der ukrainischen Studentinnen und Studenten zuständig. Die Stelle wurde wegen der stark steigenden Zahl ukrainischer Studenten neu geschaffen – aktuell studieren über 100 Ukrainer, hauptsächlich Frauen, an der Hochschule.

  • Sie haben Hinweise, Kritik oder Lob? Dann schreiben Sie uns per E-Mail an [email protected]

Jusek ist beeindruckt davon, dass sich viele ukrainische Studenten große Mühe geben, ihr Studium trotz der Situation in ihrer Heimat schnell abzuschließen. „Alle haben Familie, Bekannte, Freunde noch in der Ukraine. Viele sind auch am Überlegen, ob es nicht doch möglich ist, irgendwie wieder zurückzukommen – zumindest zeitweise in den Semesterferien, um für ihre Familie da zu sein. Und trotzdem haben die dann so ein hohes Pensum im Studium“, sagt Emelie Jusek.

Einige würden sogar mehr Kurse belegen, als der Studienplan vorsieht, und das Studium schneller abschließen können.

Arbeit bei der Volksbank Mittweida

Alina Tserkovna will dieses Jahr ihren Bachelor beenden und mit einem Master-Studiengang beginnen. Neben ihrem Studium hatte sie sich kurz nach ihrer Flucht um eine Stelle als Werkstudentin bei der Volksbank Mittweida beworben. Seit Mai 2022, zwei Monate nach ihrer Ankunft in Mittweida, arbeitet sie dort 20 Stunden pro Woche unter anderem in der IT-Abteilung. Deshalb habe sie auch kein Geld vom Jobcenter bekommen, sondern sich das Studium selbst finanziert.

Neben Studium und Arbeit kümmert sie sich auch um ihren 15-jährigen Bruder, der in die Schule geht. Er war zwischenzeitlich in die Ukraine zurückgekehrt. Seit Juni wohnt er aber wieder zusammen mit Tserkovna in Mittweida. Die 21-jährige ist in Deutschland seine gesetzliche Vertreterin. Diese Verantwortung sei zwar neu für sie, aber keine große Last: „Wir verstehen uns gut, unterstützen uns gegenseitig. Er hilft mir auch im Haushalt ganz gern.“

Ismailova wohnt seit Anfang 2023 in Dresden. Dort machte sie ein Praktikum in der Marketing-Abteilung eines Software-Unternehmens. In dieser Firma arbeitet sie aktuell auch, während sie ihre Masterarbeit schreibt. Ihr Studium will die 22-Jährige noch dieses Jahr abschließen.

In Dresden gefällt es ihr sehr gut. Die Stadt sei größer, mit mehr Angeboten, und erinnere sie an Odessa. „In Dresden gibt es ein Gebäude, die Semperoper, und unsere Oper in Odessa wurde der Semperoper nachgebaut“, erzählt sie.

Familie will in der Ukraine bleiben

Im Juni war Tserkovna das erste Mal seit über einem Jahr wieder in der Ukraine. Sie musste an der Universität in Odessa eine Abschlussarbeit präsentieren. Aus der Millionenmetropole, in der die 21-Jährige fünf Semester lang studiert hatte, war ein unsicherer Ort geworden. „Das war keine schöne Erfahrung, weil ich wirklich Angst hatte“, sagt Tserkovna. Selbst während ihres kurzen Aufenthalts sei die Stadt von Russland bombardiert worden.Die Eltern von Tserkovna und Ismailova leben noch in der Ukraine. Männer dürfen das Land nicht verlassen.

„Meine Mama wollte meinen Vater, meine Oma und meine anderen Verwandten nicht einfach alleine lassen“, erzählt Tserkovna. „Und sie haben dort ihr ganzes Leben gewohnt. Jetzt einfach umziehen, weil die Russen so etwas machen...“Die Ungewissheit über die Sicherheit ihrer Familien macht den beiden jungen Frauen zu schaffen. Besonders die ersten Monate seien hart gewesen, sagt Ismailova. „Wir wussten nicht, ob unsere Eltern überleben werden, was Russlands Plan mit der Ukraine ist, welche Orte sie angreifen werden.“

Eigene Zukunft ist unsicher

Wie es für sie selbst nach dem Studienabschluss weitergehen soll, wissen die Ukrainerinnen nicht. „Als der Krieg begonnen hat, wollte ich zurück nach Hause. Aber jetzt zögere ich“, gibt Leila Ismailova zu. In der Ukraine sei es nicht so einfach, Arbeit zu finden. Langfristige Pläne mache sie aber nicht.

Tserkovna will eigentlich zurückkehren, wenn der Krieg vorbei ist. Sie überlegt aber auch, etwas länger in Deutschland zu bleiben – je nachdem, wie es mit ihrem Bruder weitergeht. „Ich bin seine gesetzliche Vertreterin und muss ihn unterstützen, deswegen ist es noch nicht ganz klar“, sagt Tserkovna. Bis zu ihrem Master-Abschluss werde sie ohnehin in Deutschland bleiben, und das dauere wahrscheinlich noch zwei Jahre.