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„Und ich weiß, dass Du uns siehst“

Die Dresdner Band Crazy Birds hat jetzt ihren Song für die ermordete Anneli-Marie R. herausgebracht.

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© Claudia Hübschmann

Meißen/Dresden. Tom Vogel lauscht. Hört er in sich hinein? Hört er auf das Lied aus den Lautsprechern? Glockengeläut ertönt. Der Wind pfeift. Es ist das Geläut der Kirche im Klipphausener Ortsteil Sora, unweit von Meißen. Konzentriert nimmt der aus Meißen stammende Musiker jedes Detail in sich auf. Wieder und wieder hat er in den Tagen vor Ostern diesen Song mit dem Glockengeläut als Einstieg gehört. Ein Lied für die im August 2015 entführte und ermordete Schülerin Anneli-Marie R.

Spielen sonst rockige Cover-Versionen: Die Crazy Birds mit Eckhard Lipske, Angela Ullrich, Sascha Aust und Tom Vogel.
Spielen sonst rockige Cover-Versionen: Die Crazy Birds mit Eckhard Lipske, Angela Ullrich, Sascha Aust und Tom Vogel. © PR

Das Geläut weckt Bilder vom letzten Sonnabend im August vergangenen Jahres. Hunderte weißer Luftballons steigen an diesem Tag vom Soraer Friedhof in den sommerblauen, so unschuldig wirkenden Himmel auf. Die Familie, Freunde, Mitschüler, Lehrer und Bekannte nehmen Abschied von der 17-Jährigen. Ein hoch verschuldeter Mietkoch und ein gescheiterter Schrotthändler sollen das Mädchen rund zwei Wochen zuvor grausam ermordet haben. Gewissenlose Gier paarte sich mit unvorstellbarer Dummheit.

Gitarre und Klavier setzen ein. „Was wäre, wenn Du nie losgegangen wärst? So wie an jenem Tag vor Deiner großen Fahrt?“ Eine Frage folgt auf die nächste. Fragen standen am Anfang, als die Nachricht vom Tod der Gymnasiastin die Dresdner Band Crazy Bird erreichte. Fragen, auf die es auch heute kaum befriedigende Antworten gibt. Formulieren lassen sie sich allerdings und mit Tönen unterlegen. Einem Gefühl wird so Ausdruck gegeben. Eine Stimmung lässt sich so mitteilen. „Die Musik ist hilfreich. Wir sind mit meiner Familie sehr, sehr dankbar, dass sich Leute finden, die sagen, wir wollen helfen, wollen bei Euch sein“, sagt Annelis Vater Uwe Riße. Die Familie hat die Aufnahmen zu dem ihrer Tochter gewidmeten Song teilweise live mit verfolgt. Musik sei Annelis Leben gewesen, sagt Uwe Riße. Schon in den ersten Schuljahren entdeckt Anneli das Klavierspiel für sich. Mit acht Jahren begann sie, ihre Musik-Stunden selbst zu organisieren.

Trauer und Wut

Ein Engel entsteht

Der Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder von Anneli-Marie R. könnte bereits im Mai vor dem Landgericht Dresden beginnen. Während der Vernehmungen soll Norbert K. den krebskranken Markus B. schwer belastet haben. Er konnte offenbar tatsächlich nachweisen, beim Mord nicht in der Scheune gewesen zu sein. Deshalb werde Norbert K. lediglich wegen erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge angeklagt, während sich Markus B. wegen Mordes und erpresserischen Menschenraubes verantworten müsse.

Zum Download des Songs könnte zusätzlich eine CD entstehen. Entsprechende Pläne bestätigte die Band gegenüber der Sächsischen Zeitung. Material wäre zum Beispiel eine bereits existierende längere Version des Stücks. Möglich wäre auch, dass der Schauspieler Uwe Steimle an der Produktion mitwirkt.

Zum Geburtstag von Anneli-Marie R. im Juni dürfte eine Skulptur des Engels Anneli fertig werden, die dann das Grab des Mädchens schmücken könnte. Zudem soll eine Stele mit dem Profil der 17-Jährigen an den Leidensweg der Schülerin aus Klipphausen erinnern.

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Sänger und Bassist Tom Vogel hat sich mit der Band in ein kleines Landhaus oberhalb des Örtchens Bockwen auf dem Meißner Hochland zurückgezogen. Es sind die Tage kurz vor Ostern. Ein Frühling verheißender Wind weht über die wie frisch aufgebrochen glänzenden Äcker. Leicht wiegen sich die Gardinen vor den Fenstern im Wind. Schlagzeugerin Angela Ullrich und Gitarrist Eckhard Lipske, den sie Ecki nennen, haben sich zu Tom Vogel gesellt.

Sie lauschen. „Und ich weiß, dass Du uns siehst“, heißt es in dem Lied. Eckis Gitarrensolo folgt. Er zieht den Ton. Stimmt die Mischung? Ist nichts übertrieben? Welche Spitze könnte herausgehoben werden? Es sind die letzten Feinarbeiten am Song, die es jetzt noch zu erledigen gilt. Freunde und Bekannte haben das Stück bereits gehört, haben gelobt und gute Hinweise gegeben.

Der Erlös aus dem 89 Cent teuren Download des Songs bei SZ-Online geht an die von der Familie gegründete Anneli-Marie-Stiftung. Sie soll die Lebensfreude und Kreativität der 17-Jährigen bewahren. Aktuell wird die Arbeit am neuen Schüler- Musical des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Nossen unterstütz. Anneli-Marie hatte die Schule besucht. Zahlreiche Mitwirkende an dem Highschool-Musical waren mit ihr bekannt. Der selbst geschriebene Plot ist ein bekannter, aber doch auf die persönlichen Erfahrungen der Nossener Schüler umgeschriebener. Cliquen, Liebschaften, Geheimnisse – das Team konnte aus dem eigenen Erfahrungsschatz schöpfen. Anneli-Maries Ideen fehlen. „Was wäre wenn, käm’st Du mit einem Mal ums Haus und sähst uns lächelnd an?“

Finanziert wird die Stiftung aus Erträgen des Familienbetriebes, so der Bau- und Immobilienunternehmer Uwe Riße. Geplant ist, eine Stelle zu schaffen, um die Aktivitäten zu koordinieren. Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Meißens Landrat Arndt Steinbach (beide CDU), die bei der Gründung anwesend waren, sagten dem Vorhaben ihre Hilfe zu.

Die Zentrale der Stiftung wird ihren Sitz in einem Gebäude am Meißner Theaterplatz haben. Ihre Ziele sind sehr breit gefasst. So sollen Projekte gefördert werden, mit denen sich Kinder und Jugendliche musikalisch weiterbilden können. Unterstützt werden Schülerhilfen in den Bereichen Fremdsprachen, Mathematik und Deutsch. „Ich finde es ungewöhnlich und gut, was hier die Familie Riße ins Leben gerufen hat. Jeder soll seine Trauer und auch Wut zum Ausdruck bringen. Diese ist ein Weg“, kommentiert ein SZ-Leser im Internet die Stiftungsidee. Auch Tom Vogel und die Crazy Birds möchten ihre, ganz eigene Weg gern mit anderen teilen. (SZ/pa)

Über den Bezahldienst Paypal können Sie den Song als MP3-Datei für 89 Cent erwerben und erhalten ihn als E-Mail zugeschickt. Der Erlös geht an die Anneli-Marie-Stiftung.