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Ungarin ehrenhalber

Gerlind Peuker organisiert seit Jahren Hilfstransporte für Bedürftige in der ungarischen Partnerstadt Kiskunmajsa. Die zeigte sich jetzt erkenntlich.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Lommatzsch. Gerade hat Gerlind Peuker die Bühne verlassen, als ihr eine Frau, die der Volksgruppe der Sinti und Roma angehört, fast schüchtern am Ärmel zupft, sich bei ihr bedankt. „Das war rührend und ergreifend“, sagt die frühere Lehrerin aus Lommatzsch. Die Frau, die sich bedankte, lebt in Menedekvaros, der „Stadt der Zuflucht“. In dieser ehemaligen Kaserne der Sowjetarmee in der ungarischen Partnerstadt Kiskunmajsa leben benachteiligte Familien. „Die Kinder gehen zur Schule, die Erwachsenen müssen sich um Arbeit bemühen“, sagt Gerlind Peuker. In die „Stadt der Zuflucht“ ging auch ein Teil der Hilfsgüter, die das Partnerschaftskomitee unter Leitung der 66-Jährigen sammelt und seit vielen Jahren nach Ungarn schafft. Für dieses Engagement wurde der Lommatzscherin jetzt eine hohe Ehre zuteil. Sie wurde zur Ehrenbürgerin von Kiskunmajsa ernannt. „Ich bin stolz, dass meine Arbeit derart wertgeschätzt wird“, sagt Gerlind Peuker. Aber ohne die vielen Mitarbeiter und Helfer sei das nicht möglich gewesen, betont sie. Die Auszeichnung, die nicht dotiert ist, habe sie deshalb stellvertretend für alle Mitglieder des Partnerschaftskomitees, alle Helfer und Spender in Empfang genommen. Und dennoch ist Gerlind Peuker nicht nur der Kopf, sondern die treibende Kraft, was die Hilfstransporte angeht. Die kommen vor allem einem Altenheim zugute.

Blick in ein Zimmer des inzwischen sanierten Altenheimes.
Blick in ein Zimmer des inzwischen sanierten Altenheimes. © privat
Dieser ungarische Rentner freut sich über einen Rollator.
Dieser ungarische Rentner freut sich über einen Rollator. © privat

Zustande kam das nach einem Besuch in dem ungarischen Heim, an dem Gerlind Peuker allerdings nicht teilnahm. „Als unsere Leute nach Hause kamen, waren sie schockiert über die Zustände dort, ihnen standen die Tränen in den Augen. Deshalb haben wir damals beschlossen, den alten Menschen dort zu helfen“, sagt die verheiratete Mutter zweier erwachsener Kinder.

Inzwischen wurde das Heim mit Geldern der EU saniert und modernisiert, vieles hat sich verbessert, doch manches ist geblieben. Vier-Bett-Zimmer sind normal, manchmal hausen auch bis zu sieben Personen in einem Raum. „Auch wenn sich einiges geändert hat, so ist das doch kein Vergleich beispielsweise mit unserem Altenheim in Lommatzsch. Das ist nach wie vor ein Unterschied wie Tag und Nacht“, sagt die Vorsitzende des Partnerschaftskomitees. Sie erinnert sich daran, dass in den Fluren des ungarischen Heimes Gitter angebracht waren, damit die Demenzkranken nicht weglaufen können. Es gab in den Betten keine Matratzen und Steppdecken, „die wir noch aus DDR-Zeiten kannten“. Einmal hatten sich die Lommatzscher verfahren, landeten in einem ungarischen Dorf in der Puszta. „Da glaubten wir, die Zeit sei stehengeblieben. Unglaublich, wie die alten Menschen dort leben“, sagt sie nachdenklich.

Dass es ein bisschen mehr Tag wird für die Bewohner des Heimes in Ungarn, dafür engagiert sich die Lommatzscherin nun schon seit vielen Jahren. Gebraucht wird im Grunde alles, vor allem aber Rollstühle, Rollatoren, Bettwäsche, Windeln. Die Spendenbereitschaft nicht nur der Lommatzscher ist riesig. „Manche brachten uns nagelneue Bettwäsche, original verpackt und noch ein Schleifchen drum“, sagt sie. Firmen wie das Sanitätshaus Hetke & Sengwitz aus Riesa haben Rollatoren, Rollstühle und Inkontinenzmaterial geliefert, die Firma Meditech fünf Rollatoren und etwa 100 Paar Gehhilfen. Die Speditionen TDG Lommatzsch und GHP Raußlitz stellten Fahrzeuge zur Verfügung, die Agrargenossenschaft Barmenitz sponserte Diesel, eine Frau aus Weitzschen brachte massenhaft dringend benötigte Windeln.

Aber auch Haushaltsgeräte werden gebraucht. So ist sich Gerlind Peuker nicht zu schade, im Sperrmüll zu suchen, ob es noch funktionierende Geräte gibt. „Ich klingele dann und frage, ob ich die mitnehmen kann“, sagt sie. Da ärgerte es sie natürlich besonders, als vor zwei Jahren in ein Lager des Partnerschaftskomitees eingebrochen wurde. Vor allem neue Bettwäsche und Windeln wurden geklaut, auch 17 Fahrräder. „Wer macht denn so was“, fragt sie und ist heute noch empört.

Die soziale Ader wurde ihr wohl in die Wiege gelegt. Als zweites von sieben Kindern lernte sie schnell, Verantwortung für andere zu übernehmen, zumal ihr Vater durch einen Unfall starb, als sie gerade fünf Jahre alt war. „Unsere Mutter hat immer darauf geachtet, dass wir uns gegenseitig helfen“, sagt sie.

Ihr Helfersyndrom hat sie bis heute behalten. So kümmert sie sich auch um eine ehemalige Nachbarin, die jetzt in einem Pflegeheim wohnt. Dabei braucht manchmal auch sie Hilfe, ist schwerbehindert und nach fünf Operationen gesundheitlich angeschlagen. „Wenigstens kann ich jetzt wieder ohne Stöcke laufen“, sagt sie und lacht.

Wenn sie nach Ungarn fährt, wirft sie sich Schmerztabletten ein, um die lange Fahrt durchzustehen. Sie hilft nicht nur anderen, sie ist auch eine große Organisatorin in der Familie. Wenn sie Gäste bewirten kann, ist sie in ihrem Element. Cousinen- und andere Familientreffen finden auf ihre Initiative hin statt. Und als kürzlich Gäste aus der Partnerstadt zur Einweihung des neuen Feuerwehrgerätehauses in Lommatzsch weilten, lud sie die zum Frühstück in ihre Wohnung ein.

Jedes Mal, wenn sie aus Ungarn zurückkehrt, denkt sie, es war der letzte Hilfstransport. So war es auch diesmal. Doch sie macht schon wieder neue Pläne, verhandelt mit der Lungenklinik in Coswig und dem Krankenhaus in Riesa wegen Nachttischen. Sie kann einfach nicht anders.