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Post vom Pazifik: Amerika ist viel heller

Das Licht in den Vereinten Staaten trägt erheblich zu ihrer Faszination bei – und zu ihrem teils obszönen Energieverbrauch. Der Kontrast zu Deutschland könnte gerade jetzt kaum größer sein, findet SZ-Reporterin Franziska Klemenz.

Von Franziska Klemenz
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Franziska Klemenz arbeitet eigentlich für die Sächsische Zeitung in Dresden. Für drei Monate berichtet sie aus Amerika.
Franziska Klemenz arbeitet eigentlich für die Sächsische Zeitung in Dresden. Für drei Monate berichtet sie aus Amerika. © Franziska Klemenz

Lichter strömen über Brückenpfeiler wie Diamantenketten auf Durchreise. Die Konturen der Skyline leuchten, als würde der Himmel eine geschmolzene Sonne über die Stadt gießen.

San Francisco wechselt sein Antlitz wie ein Paradiesvogel, der jede Nacht auf Abenteuertour ausfliegt: vom viel zu reichen Sonnenkind-Hippie zur funkelnden Furie voll Leuchtreklamen in der Dunkelheit. San Francisco, Portland, Washington: Die Städte, die ich in den USA gesehen habe, leuchten so anders als alles, was ich aus Europa kenne. Das Scheinwerferlicht der amerikanischen Giga-Bühne ist bunter, greller, größer – vielleicht auch nötig bei den Akteurinnen, die es beleuchten muss.

Ich schreibe eigentlich für die Sächsische Zeitung; gerade erkunde ich drei Monate die amerikanische Westküste, arbeite bei „The Oregonian“, einer Zeitung von vergleichbarer Größe. Viel Zeit verbringe ich damit, zu staunen.

Der Look der USA ist zu jeder Tageszeit anders. Entspannter, schriller, ästhetisch oft stimmiger, gerade in Wohn- und Barvierteln. Schilder kündigen keine Fußgänger-, sondern waffen- oder rauchfreie Zonen an; nicht VW-Kombis mit TÜV- und “Baby on board”-Aufkleber beherrschen Straßen, sondern hochgeliftete Pickup-Trucks mit gern mehreren Amerika-Flaggen und munitionsförmigen „support our troops“-Stickern („Unterstützt unsere Truppen“).

Amerikanische Städte leuchten bei Nacht heller, als Europas Metropolen.
Amerikanische Städte leuchten bei Nacht heller, als Europas Metropolen. © Franziska Klemenz

Strom ist nicht Rarität, sondern Selbstverständlichkeit

Selbst simpelste Spelunken oder verrottete Dorf-Diner wirken, als hätte ein Requisiteur sie erdacht. Oft einer, der leicht einen sitzen hat. Funkelnde Sitzbänke, filigrane Skulpturen aus Neonlicht-Röhren, dutzende Bilder, Poster und Spruchbänder komponieren Interieurs, die Filmen würdig wären.

Ohne das Licht gäbe es die nächtliche Magie nicht. San Francisco im Dunklen könnte auch Mittweida sein. Das denke ich, als mein Blick von der Oakland Bay Bridge über das schimmernde Wasser zur Skyline schwenkt.

Schon ohne Energiekrise war in den Vereinten Staaten alles viel heller als in Deutschland; oft lächerlich hell. Jede Wellblech-Plastikwand spiegelt dutzende Lichtreflexe wider.

© Franziska Klemenz

Wenn Deutschlands elektrischer Fußabdruck elefantös ist, marschiert mit den USA ein Mammut durch den Lampenladen. Während Deutschland pro Kopf zuletzt 6.454 Kilowattstunden Strom im Jahr für persönlichen Konsum verbrauchte, waren es in den USA 11.757. Lichter bleiben auch nachts an, Strom ist nicht Rarität, sondern Selbstverständlichkeit, die es im Überfluss zu konsumieren gilt.

Diesen Winter, dachte ich in San Francisco, wird Deutschland noch viel dunkler. Russland führt Krieg gegen die Ukraine und straft unsere Solidarität für die Angegriffenen mit Gasentzug ab, die Preiskurve gleicht der Silhouette des Empire State Buildings. Da müssen wir jetzt durch, völlig klar.

Strom sparen? You’re joking?

Wir beleuchten Monumente weniger und kürzer, diskutieren, welche Geräte wirklich nötig sind, versuchen bestenfalls, Lichtlosigkeit zur Pfadfinder-Atmosphäre zu romantisieren. Wem ich das in den USA erzähle, reißt die Augen auf, schüttelt den Kopf und prustet: „You’re joking“ („du scherzt“).

Selbst simpelste Spelunken oder verrottete Dorf-Diner wirken, als hätte ein Requisiteur sie erdacht
Selbst simpelste Spelunken oder verrottete Dorf-Diner wirken, als hätte ein Requisiteur sie erdacht © Franziska Klemenz

Auch ohne russische Herkunft wäre Gas problematisch und Sparen eine eher nageliegende Idee, um das Klima nicht weiter anzuheizen.

Vorfreudig blicken dem Spar-Winter dennoch die wenigsten entgegen. Grau, kalt, nass und dunkel ist nicht exakt der Slogan, der Menschen mitzureißen vermag.

Umso absurder und fantastischer wirken daneben die schillernden USA; wie ein gleißender Ozean voll leuchtender Neon-Quallen, pompöser Juwelen und lampentragender Tiefseefische. Vielleicht war der Designer der Vereinten Staaten wirklich nicht ganz nüchtern, als er sich all das ausgemalt hat. Psychedelische Drogen wären die bislang schlüssigste Antwort auf viele Gedanken, die sich mir hier aufdrängen. Die meisten enden mit der Frage: Wie kann das sein?