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Vergessen auf der Großenhainer

Eine Gebäudeecke ist der Stadt als Asylheim angeboten worden. Dabei wohnen in dem Haus noch Mieter. Die sind ratlos.

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© Sven Ellger

Von Lars Kühl

Die Verzweiflung im Gesicht von Tobias Wolf ist zu sehen. Kurzzeitig scheint er die Kontrolle zu verlieren, bevor sich der junge Mann aber wieder fängt. Dabei wählt er seine Worte mit Bedacht und will auf gar keinen Fall den Eindruck erwecken, dass er etwas gegen Flüchtlinge hat. „Hass, Wut und Enttäuschung“ sind dennoch Attribute aus seinem Mund. Nur eben in Bezug auf seinen Vermieter und nicht auf seine möglichen neuen Nachbarn. Denn das Haus, in dem Wolf mit seiner Familie wohnt, soll so schnell wie möglich eine Unterkunft für Asylbewerber werden. Der Stadtrat berät dazu am Donnerstag. Doch der Reihe nach.

Tobias Wolf lebt mit seiner Frau seit sieben Jahren in Pieschen auf der Großenhainer Straße 63, inzwischen mit zwei kleinen Töchtern. Erdgeschoss, unsaniert, Ofenheizung. Die Sozialwohnung gehörte einst der Gagfah. Das Eckhaus am Bahndamm neben der Riesaer Straße wurde von ihr aber abgestoßen, erzählt Wolf. Er macht gerade sein zweites Studium, seine Frau ist mit ihrem fertig und kümmert sich um die Kleinen. Dass die Wohnung wenig Komfort zu bieten hat und völlig aus der Zeit gefallen ist, haben sie akzeptiert. Die Miete übernimmt das Jobcenter, die junge Familie kann sich nichts Besseres leisten.

Mit dem Verkauf der Immobilie vor knapp zwei Jahren begannen die Probleme. Im März dieses Jahres kam die erste Modernisierungsankündigung. Verbunden mit einer geplanten Mieterhöhung auf zehn Euro für den Quadratmeter – etwa doppelt so hoch wie bisher. „Das haben wir nicht akzeptiert und deshalb widersprochen“, sagt Wolf. Damals war das Haus noch gut bewohnt. Doch die Ersten zogen bereits aus.

Schließlich wurden Gerüste aufgestellt und Planen angebracht. Die Sanierungsarbeiten fingen an. Wolfs wollten immer noch bleiben, obwohl ihnen ihr Vermieter nicht entgegengekommen war. Im August hatten sie Schimmel im Bad, weil in den Stockwerken über ihnen ein Wasserschaden auftrat. „Unserem Vermieter war das egal.“ Die Ärgernisse häuften sich, erzählt Wolf. Unter anderem bemerkte die Familie, dass ihr Keller samt Inhalt, wie die Kohle für den Winter, einfach verschwunden war. „Es entstand der Eindruck, dass der Vermieter uns raus haben will.“

Nach der Keller-Aktion klagten Wolfs gegen ihren Vermieter, bekamen nach eigener Aussage auch Recht. Ihnen wurde sogar für die Modernisierungszeit ihrer eigenen Wohnung eine Ausweichbleibe im Gebäude angeboten. Doch dann passierte das, womit Tobias Wolf niemals gerechnet hätte. Sein Vermieter bot die Häuser auf der Großenhainer Straße 61 und 63 der Stadt als Asylunterkunft an. In den 17 Wohnungen könnten 65 Flüchtlinge Platz finden. „Er hat aber verschwiegen, dass wir noch in der Wohnung leben.“ Der Vorwurf, dass der Vermieter das Angebot nur aus Geldgier macht, steht im Raum. Denn die Stadt will die zehn Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlen. Bei einer Vertragslaufzeit von zehn Jahren wären das knapp 2,6 Millionen Euro für das Gesamtobjekt, dazu eine einmalige Förderung zwischen 3 000 und 5 000 Euro – in Abhängigkeit von der Wohnungsgröße. Die horrenden Summen begründet die Stadt mit dem großen Mangel an Wohnraum in Dresden.

Für Peter Barthels, den Vorsitzenden des hiesigen Mietervereins, sind die zehn Euro viel zu hoch. Der Mietspiegel weise als ortsüblich für das Gebiet eine deutlich niedrigere Kaltmiete aus. „Doch die Stadt hat eine Notlage, das wird von den Vermietern ausgenutzt.“ Den Fall der jungen Familie findet er sehr bedauerlich. „Rein rechtlich haben sie aber keine Chance und müssen raus.“ Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) sagte zu, dass die Stadt mit Wolf sprechen und die Familie bei der Wohnungssuche unterstützen werde.

Tobias Wolf wurde gefragt, ob er sich vorstellen könne, in seiner Wohnung zu bleiben. Erst begriffen er und seine Frau dies als Chance, zu zeigen, dass so ein Modell im Zusammenleben mit Flüchtlingen auch funktionieren könnte. Inzwischen haben sie sich dagegen entschieden. Stattdessen haben sie einen anderen Vorschlag: Der Vermieter soll ihnen von seinem Gewinn eine Ausgleichswohnung bezahlen, zumindest den Preis, der über der alten Miete liegt. Die Stadt könnte als Bürge auftreten. Ob der Vermieter darauf eingeht, wollte die SZ von ihm wissen. Zu einem vereinbarten Gespräch kam es nicht. Es meldete sich immer nur die Mailbox.