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Forschen wie Einstein

Das können Kinder schon jetzt in der Station in Weißwasser. Künftig auch in Schülerlaboren des Deutschen Zentrums für Astrophysik. In Boxberg gab‘s einen Vorgeschmack darauf.

Von Constanze Knappe
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Anderer Ort mit gleichem Anliegen: Sebastian Reinicke von der Hochschule Zittau/Görlitz erklärt Kindern, wie ein Scooter mit Wasserstoffantrieb funktioniert. Die Veranstaltung im E-Werk in Weißwasser wurde durch die Kooperation von Station und Hochschule
Anderer Ort mit gleichem Anliegen: Sebastian Reinicke von der Hochschule Zittau/Görlitz erklärt Kindern, wie ein Scooter mit Wasserstoffantrieb funktioniert. Die Veranstaltung im E-Werk in Weißwasser wurde durch die Kooperation von Station und Hochschule © Joachim Rehle

Glauben Sie, dass es andere Wesen im Universum gibt? Eine spannende Frage, die einige Schüler der 5. bis 9. Klassen der Freien Oberschule Boxberg beschäftigt. Eine Antwort darauf erhielten sie jetzt aus berufenem Munde. Prof. Dr. Christian Stegmann ist Direktor Astroteilchenphysik des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (Desy). „In der Wissenschaft glauben wir nicht“, entgegnet er schmunzelnd. Aber ja, er sei überzeugt davon, dass es noch anderes Leben gibt. „In eurer Lebenszeit wird es gelingen, wenn es anderes Leben gibt, dass wir das auch nachweisen können“, fügt er hinzu. In der Milchstraße gebe es 100 Milliarden Sterne, was eine Zahl mit ganz vielen Nullen ist, da wäre es ein ziemlicher Zufall, wenn sich die Natur so ein Universum baut und nur auf der Erde Leben zulässt, meint er. Nebenbei räumt der Wissenschaftler noch mit einem Vorurteil auf. Ein Astronom beobachte keineswegs nur nachts die Sterne und geht morgens ins Bett. „Es gibt Welche, die in den Nachthimmel schauen, aber auch Andere, die tagsüber mit dem Teleskop ihre Beobachtungen machen.“ Astronomie sei eine der ältesten Wissenschaften und sehr vielseitig noch dazu.

Anderthalb Stunden vergehen wie im Fluge. Die 20 Schüler sind beeindruckt und Prof. Stegmann mindestens genauso fasziniert von ihren Fragen. „Jetzt weiß ich wieder, warum das solchen Spaß macht“, stellt er hinterher fest. Die Veranstaltung in der Freien Oberschule Boxberg ist der Auftakt zu einer ganzen Reihe davon. Man sei in der Feinabstimmung eines Fahrplans, um weitere Schulen im Nordkreis in das Projekt zu integrieren. Die Fäden dafür hat Sandro Biewig in der Hand. Der Boxberger Fachlehrer nahm Kontakt zu Forschungsinstituten wie etwa dem Helmholtz-Zentrum in Dresden-Rossendorf auf. Dort gebe es Forschung auf höchstem Niveau und ebenso das Interesse, das Wissen unter Lehrern und Schülern zu verbreiten, begründet er.

Schülern hier Perspektiven bieten

Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft ist Desy ein Zentrum für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung mit Sitz in Hamburg und Zeuthen (Berlin). Wissenschaftler dort sind seit 1959 der Struktur der Materie auf der Spur. Ihr Interesse gilt den Elementarteilchen, sozusagen den Grundbausteinen unserer Welt. Gegliedert in vier Forschungsbereiche entwickelt, baut und betreibt Desy aber auch Großgeräte, insbesondere Teilchenbeschleuniger und Nachweisinstrumente.

Sandro Biewig freut sich darüber, wie schnell er und Stegmann einen Draht zueinander fanden – in der Verantwortung für die Bildung. Der Wissenschaftler bringt aber noch einen anderen Aspekt ins Spiel. Im Zuge des Strukturwandels sollen Forschungseinrichtungen oder Teile davon in der Lausitz angesiedelt werden. Im Rahmen des Wettbewerbs „Wissen.schafft.Perspektiven“ fiel im September 2022 die Entscheidung, ein nationales Großforschungszentrum mit internationaler Strahlkraft in Görlitz zu gründen. Das Deutsche Zentrum für Astrophysik (DZA) ist eine gemeinsame Initiative von Astronomie und Astroteilchenphysik (also Desy) in Deutschland.

Das Forschungszentrum soll 1.000 Arbeits- und Ausbildungsplätze haben, davon 35 Prozent im wissenschaftlichen Bereich und darüber hinaus auch Fachinformatiker, Ingenieure, Mitarbeiter in Werkstätten und Verwaltung beschäftigen. „Man kann gar nicht zeitig genug damit beginnen, bei Schülern Neugier und Interesse zu wecken“, sagt Stegmann. Sie müssten nicht mehr fern der Heimat nach Perspektiven suchen. Mit gutem Schulabschluss hätten sie Chancen auf einen Ausbildungsplatz beim DZA. Deshalb legt man schon während der Aufbauphase des Forschungszentrums großen Wert darauf, vom Kindergarten bis zu den Abiturienten für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern.

Die Bemühungen um einen nachhaltigen Strukturwandel seien längerfristiger Natur, in der Region sei das dennoch „auf viel Verständnis getroffen“, meint Prof. Dr. Christian Stegmann. Seit zehn Jahren leitet er in Zeuthen den zweiten Desy-Standort, seit vier Jahren den Bereich der Astroteilchenphysik. So sei er auch zu dem Projekt der Gründungsvorbereitung gekommen.

Das Großforschungszentrum wird zwei Standorte haben: einen Campus in Görlitz sowie ein Untergrundlabor irgendwo im Bereich zwischen Hoyerswerda, Kamenz und Bautzen. Der Lausitzer Granit biete durch seine Geologie und Seismik tolle Bedingungen zur Herstellung von Instrumenten der Gravitationswellenastronomie oder auch für die Mikroelektronik.

Probebohrung für Untergrundlabor

Vor einem Jahr fand in der Gemeinde Ralbitz-Rosenthal eine Probebohrung in 250 Metern Tiefe statt. Die Bürger von Cunnewitz seien sehr interessiert gewesen, was da in ihrer Nachbarschaft so passiert. „Sie haben uns aber auch die Verantwortung für die sorbische Kultur ins Hausaufgabenheft geschrieben“, sagt Stegmann. Bei einem Treffen dort sei die Nachricht eingeschlagen, dass Görlitz den Zuschlag für das Großforschungszentrum kriegt. „Fünf Minuten später hatte ich die erste Bewerbung in der Hand“, erzählt er. Drei bis vier solcher Bohrungen sollen folgen, wobei noch nicht entschieden ist, wo genau. Die erste Genehmigung sei „ratz-fatz“ gegangen, das erhoffe er sich auch für die anderen Bohrungen. Er weiß natürlich, dass es für den Bau des eigentlichen Untergrundlabors dann eines großen Genehmigungsprozesses bedarf. In sechs bis sieben Jahren soll das Labor in Betrieb gehen. Ministerpräsident Michael Kretschmer klemme sich dahinter, dass es nicht so lange dauert. „Entweder wir kommen zu Potte oder die Anderen sind schneller“, gibt Stegmann zu bedenken und verweist auf den starken internationalen Druck.

Er bezeichnet das DZA „als einen Baum mit weiter Krone, den man international sieht, dafür muss er aber fest im Boden verankert sein.“ Die Wurzeln seien da: Schulen, Sternwarten und vieles mehr, woran man anknüpfen könne. Etwa das Jugendklubhaus Ossi in Hoyerswerda, neben dem ein neues Planetarium gebaut werden soll. Geplant sind ebenso Schülerlabore, wie jenes in Zeuthen, das dort zu einem festen Bestandteil des Unterrichts geworden ist.

Station Weißwasser als DZA-Lernort

„Wir wollen die Astronomie als Zugang zu den Naturwissenschaften ausspielen“, sagt er und spricht auch von Praktikumstagen und Arbeitsgemeinschaften. Ein Gymnasiast aus Kamenz sei bei der Auswertung der Bohrungen in Cunnewitz dabei gewesen. In einem Jahr, so betont Prof. Dr. Christian Stegmann, soll das Konzept für schulische und außerschulische Lernorte für die Landkreise Görlitz und Bautzen stehen.

Wenn es nach ihm geht, soll die Station Junger Techniker und Naturforscher in Weißwasser, kurz Station genannt, unbedingt ein solcher Lernort sein. So, wie sie schon jetzt Kinder und Jugendliche für Naturwissenschaften begeistert, habe sie sich „zu einer Marke entwickelt“. Im Juli 2022 schaute sich der Wissenschaftler selber die Station an. „Wir würden dort gerne einen Raum für die Schülerarbeit des DZA umbauen“, betont er. Das dürfte Musik in den Ohren von Stationsleiter Bernd Frommelt sein. Mit einem derart hochkarätigen Partner im Boot gewinnt das Strukturwandelprojekt zum Neubau der Station Weißwasser noch mehr an Gewicht. Zumal sich auch dort Schüler solche Fragen wie die nach anderem Leben im Universum schon mehrfach gestellt haben.