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Öko-Kraftwerk heizt Schleife ein

Als die Investoren am Mittwoch das 500-Millionen-Großprojekt präsentierten, ging es hoch her – und unter die Gürtellinie. Einige Gerüchte sind aber aus der Welt.

Von Constanze Knappe
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Nach der Bürgerversammlung zur Vorstellung des von einer Investorengruppe geplanten Großprojekts war Geschäftsführer Daniel Müller von der Enercity Erneuerbare Energien GmbH aus Leer (2. v.li.) ein gefragter Gesprächspartner. Er hatte viele Fragen d
Nach der Bürgerversammlung zur Vorstellung des von einer Investorengruppe geplanten Großprojekts war Geschäftsführer Daniel Müller von der Enercity Erneuerbare Energien GmbH aus Leer (2. v.li.) ein gefragter Gesprächspartner. Er hatte viele Fragen d © Constanze Knappe

Für das in Schleife geplante Ökologische Kraftwerk (ÖKW) werden mitnichten 870 Hektar Wald gerodet. Die Zahl gibt lediglich den Flächenbedarf für das gesamte Vorhaben an. Das ist eine der Kernaussagen einer Bürgerversammlung am Mittwoch im Saal des Sorbischen Kulturzentrums (SKC). Somit wurde mit einem Gerücht aufgeräumt, welches in den vergangenen Wochen erheblich für Verunsicherung unter den Einwohnern von Schleife, Rohne und Mulkwitz gesorgt hatte. Die Vertreter einer Investorengruppe präsentierten ihr Vorhaben erstmals öffentlich und stellten sich den Fragen der Bürger. Es geht um eine Investition von 500 Millionen Euro. Das Projekt besteht aus fünf Komponenten: 33 Windenergieanlagen, Biomasseheizwerk, ökologische Lebensmittelproduktion, biologische Fischzucht sowie die Herstellung und Nutzung von Wärmespeichern.

Genauer ÖKW-Standort ist noch nicht klar

Vier der Windkraftanlagen sollen auf der Hochkippe Mulkwitz-West stehen. Und damit auf einer Fläche, die im Regionalplan als Vorranggebiet für Windkraft ausgewiesen ist. Daniel Müller, Geschäftsführer der Enercity Erneuerbare Energien GmbH, kam aus Leer nach Schleife, um „im Gespräch mit den Bürgern die Planungen zu schärfen“. Mit der für den geplanten Windpark erwarteten Leistungen könnte der Strombedarf von 155.000 Haushalten pro Jahr gedeckt werden. Für die Windräder sollen 22 Hektar Wald gerodet werden, dazu weitere 14 Hektar, für die Baustelleneinrichtung, die wieder aufgeforstet werden. „Auf einem Hektar mit Windenergieanlagen wird das 600-fache der Menge an CO2 eingespart, die der Wald auf gleicher Fläche bündeln würde“, begründete Müller die Bedeutung für den Klimaschutz. Bei all dem bleiben gemäß einem neuen Gesetz 0,2 Cent je Kilowattstunde bei der Gemeinde. „Macht bei 33 Windkraftanlagen fast eine Million Euro aus“, rechnete er vor.

„Es ist nicht der Sinn, den Wald für das Kraftwerk abzuholzen“, stellte Tobias Mayinger, Vorstandsvorsitzender der Prolignis AG Ingolstadt, klar. Das ÖKW arbeite mit Biomasse: Zwar zur Hälfte mit Holz, das sei aber Schlagabraum des Holzeinschlags, der zum Beispiel für die Möbelproduktion nicht genutzt werden kann. Zum anderen wird Straßenbegleitgrün verbrannt, welches aus Sicherheitsgründen regelmäßig an Autobahnen entfernt werden muss. Der Wirkungsgrad des ÖKW werde bei 90 Prozent liegen. „Man hört und riecht die Anlage nicht. Sie garantiert eine ganzjährige sichere Energieversorgung“, erklärte er.

Energiekreislauf als großes Plus

Ziel sei die Bereitstellung von Strom, Heißwasser, Fernwärme, Prozessdampf für die Industrie und Kälte. In einem Kreislaufsystem soll die Energie aus dem ÖKW für die biologische Lebensmittelproduktion genutzt werden – zur Züchtung von Edelpilzen und Fischen, für Insekten- und Algenzucht als deren Nahrungsquelle, zum Gemüseanbau unter Glas. Das CO2 aus dem ÖKW werde abgesaugt und zur Pilzzucht genutzt. Abgerundet wird der sogenannte „Organic Garden“ durch eine Markt- und Eventhalle zur Direktvermarktung.

Man sei noch dabei zu prüfen, wo genau das ÖKW hin soll. „Es gibt noch keine Entscheidung“, betonte Mayinger ausdrücklich. Wichtig sei eine vernünftige Zuwegung sowie die Ver- und Entsorgung, dafür würden sich Gewerbeflächen anbieten. „Schon aus Brandschutzgründen darf das ÖKW nicht im Wald errichtet werden“.

Für die BME Dr. Golbs und Partner GmbH wäre das Biomasseheizwerk ein Standortvorteil. Das Unternehmen aus Bautzen möchte bei Schleife Wärmespeicher herstellen und braucht dafür kostengünstig Energie. „Die Verbindung zu den anderen Komponenten macht für uns richtig Sinn. Wir gehen bestimmt nicht in den Wald. Wir brauchen in kurzer Zeit eine bestimmte Infrastruktur“, erklärte er. Daher sei er mit zwei Schleifer Unternehmen im Gespräch, deren Flächen infrage kämen.

Schleife soll autarkes Dorf werden

„Mit dem Projekt schaffen wir die Unabhängigkeit der Energieversorgung vom Gesamtmarkt“, sprach Dr. Golbs für alle Partner der Investorengemeinschaft. Mit der Hochschule Zittau wolle man ein Modell „Autarkes Dorf“ Schleife entwickeln. Das würde nicht nur die Gemeinde im Hinblick auf die Kosten für ihre kommunalen Objekte entlasten, die Bürger hätten ganz direkt etwas davon. In Form des Strompreises. Den Endpreis könne er noch nicht sagen, aber er werde unter 20 Cent je Kilowattstunde liegen (aktuell bei 47!).

Das Konzept für das Großprojekt soll in den nächsten 12 bis 14 Monaten stehen. Eine Absichtserklärung der Investoren liegt der Gemeinde Schleife bereits vor. „Diese Vereinbarung ist ein Zugeständnis und keineswegs selbstverständlich“, betonte Bernd Kidler von der MR Planfabrik GmbH aus Bremen. Es sei ein Beleg dafür, dass es allen Beteiligten ernst ist. Weil man es für den Windpark nur mit einem und noch dazu privaten Eigentümer, der Forst Rohne GmbH & Co KG, zu tun hat, bedarf es nur des einen und nicht weiterer Genehmigungsverfahren, was die Sache erleichtert. Bis 2029 soll alles in Betrieb sein, wobei die spätere Erweiterung etwa im Bereich Wasserstoffproduktion durchaus denkbar ist.

Die Vorträge vermittelten eine Vielzahl an Fakten zur Einordnung des Ganzen. Dennoch drehte sich die Diskussion hauptsächlich um die Inanspruchnahme der Waldfläche und den vorgeschriebenen Ausgleich. Schon im Vorfeld der Veranstaltung hatten Daniel Jakubik von der Bürgerinitiative Mulkwitz und Christian Hoffmann von der Nabu-Ortsgruppe Weißwasser gegenüber TAGEBLATT erklärt, dass sie das Vorhaben rundherum ablehnen.

Das wurde auch am Mittwoch in den Äußerungen der beiden Naturschützer deutlich. Hoffmann bekannte zumindest, dass er einige neue Informationen gewonnen habe, die er so noch nicht wusste. Andere ließen erst gar keinen Zweifel daran, dass sie nicht gewillt sind, sich überhaupt mit den Plänen zu befassen. Deren Aussagen gipfelten in dem Vergleich jener Männer im Podium mit denen, die gewissenlos den Regenwald abholzen und damit den Lebensbereich der dortigen Ureinwohner vernichten. Über derlei verbalen Angriff platzte Dr. Golbs förmlich der Kragen und auch Daniel Müller war sichtlich bemüht, die Fassung zu bewahren. Bei den tumultartigen Zwischenrufen hatte Bürgermeister Jörg Funda (CDU) in der Versammlungsführung so seine Mühe.

Hausaufgaben für die Investoren

Für den Schleifer Marc Handrik unerträglich. Dass sich anscheinend „niemand Gedanken über die 300 Arbeitsplätze macht“, davon 150 in der Industrie, ärgerte ihn sehr. Das sei zwar im Strukturwandel nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber immerhin ein Anfang, gab er zu bedenken. Es sei sensationell, dass sich die Investoren für Schleife entschieden hätten. Auch andere brachten ihre Bedenken sachlich – und als nützliche Hinweise – vor. So sieht zum Beispiel Lydia Mettke aus Mulkwitz in dem abgesenkten Grundwasserpiegel wegen des Tagebaus ein Problem.

Die Gemeinderäte Max Lewa (WV SV Lok Schleife) und Marco Jainsch (CDU) hoffen indes sehr, dass mit Unterstützung dieser Investoren die seit Jahren von den Gemeinden im Nordkreis angestrebte, von der Landesdirektion aber gestrichene direkte Verbindung 178n zur Autobahn doch noch eine Chance hat.

Nach der Versammlung wandten sich einige Bürger an die Firmenchefs, dass sie sich von den verbalen Ausbrüchen einiger nicht entmutigen lassen und dranbleiben sollen. Die Investoren nahmen jede Menge Hausaufgaben mit – etwa zu Wasserversorgung, Brandschutz und den Lkw-Verkehr.

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