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Von der Mitfahrbank zum Einkauf

Wie auf dem Lande Nahverkehr und Nahversorgung möglich sind, lässt der Landkreis am Beispiel von Boxberg untersuchen. Ein Pilotprojekt.

Von Constanze Knappe
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In einer „Zukunftswerkstatt“ diskutierten Bürger der Gemeinde Boxberg jetzt, wie sie sich Nahversorgung und Nahverkehr auf dem Lande vorstellen.
In einer „Zukunftswerkstatt“ diskutierten Bürger der Gemeinde Boxberg jetzt, wie sie sich Nahversorgung und Nahverkehr auf dem Lande vorstellen. © Constanze Knappe

Boxberg wird zum Bankenzentrum. Jedenfalls wenn es nach den Wünschen der Einwohner geht. Gemeint ist damit aber nicht die vermehrte Ansiedlung von Geldinstituten. Vielmehr geht es um eine Lösung für den Nahverkehr im ländlichen Raum. 2016 war die „Mitfahrbank“ eingeführt worden. Seither hat sie sich schon an über 1.000 Stellen in Deutschland bewährt. Auf oder an der Bank wartet jemand, um zu bestimmten Zeiten von einem anderen Bewohner seines Ortsteils mitgenommen zu werden. Gleich vier solcher Bänke könnte es in Boxberg und Umgebung geben. Es ist nur eine von mehreren Ideen einer „Zukunftswerkstatt“, die jetzt im Kultursaal in Kringelsdorf stattfand.

An die 40 Bürger diskutierten mit Projektleiterin Katharina Groß, wie sie sich die Zukunft auf dem Lande vorstellen. In einem Pilotprojekt des Landkreises Görlitz erstellen die Diplom-Geografin und ihr Team von der auf Konzepte für Handel und Regionalentwicklung spezialisierten Beratungs- und Managementgesellschaft CIMA am Beispiel von Boxberg einen Plan, wie es mit Nahversorgung und Nahverkehr im ländlichen Raum weitergehen könnte.Regionalmärkte als erster AnsatzAktuell hat Boxberg 4.281 Einwohner in 18 Ortsteilen. Das sind 13 Prozent weniger Leute als 2011. Bis 2035 wird die Zahl der Einwohner um weitere 17,8 Prozent zurückgehen. Schon heute ist fast ein Drittel der Bürger im Seniorenalter, im Sachsendurchschnitt ist es nur jeder Vierte. Knapp die Hälfte aller Einwohner ist im arbeitsfähigen Alter. Auch das werde nach Aussage von Katharina Groß in den nächsten Jahren abnehmen. Das bedeute nicht nur, dass es weniger verfügbare Arbeitskräfte gibt, sondern ebenso, dass die Kaufkraft sinkt. Während deutschlandweit im Schnitt pro Kopf und Jahr 7.282 Euro für Essen, Waren des täglichen Bedarfs, Kultur, Sport und Freizeit ausgegeben werden, sind es in Boxberg statistisch gesehen 6.242 Euro fürs tägliche Leben, darunter 2.513 Euro jährlich für Lebensmittel. Doch dieses Geld lande nicht wirklich in den Läden vor Ort, da die Menschen ja auch auf dem Arbeitsweg einkaufen, hieß es.

Wer das nicht kann, ist auf Alternativen angewiesen – wie jenen Tag-und-Nacht-Markt in Reichwalde. Die Idee hatte der Verein Perspektive Boxberg vor drei Jahren ins Gespräch gebracht. Inzwischen erteilt Bürgermeister Hendryk Balko (WV Boxberg) dem Vorhaben eine Absage. An den Kosten von einer Million Euro hätte sich die Gemeinde mit 150.000 Euro beteiligen sollen. Aber einen einzelnen Händler so zu fördern, das sei unter wettbewerbsrechtlichen Aspekten kaum zu begründen, erklärt er jetzt. In Thüringen gebe es Förderprogramme extra für Dorfläden, in Sachsen leider nicht, bedauert Hendryk Balko. Hinzu käme, dass viele Ortsteile der Gemeinde unter der für Handelsstrukturen üblichen Grenze von 500 Einwohnern liegen und zudem in der großen Flächengemeinde auch die fußläufige Erreichbarkeit von Geschäften ein Problem ist.

Dennoch spielten Rund-um-die-Uhr-Märkte als eines der alternativen Konzepte für die Nahversorgung auf dem Lande auch bei dem Workshop eine Rolle. Außerdem könnten sich Einwohner aus Zimpel eine genossenschaftlich betriebene Verladestation mit Vollsortiment vorstellen, die die Selbstversorger stärken würde. Mit einem ähnlichen Konzept, der „Hofladenbox“, würden in Franken Erzeuger gebündelt. In den Regionalmärkten, die an jedem dritten Sonnabend in einem anderen Ortsteil der Gemeinde Boxberg stattfinden, sieht Katharina Groß „einen hervorragenden Ansatz, um Akteure zu vernetzen“. Als weitere Beispiele zur Versorgung auf dem Lande benennt sie Hofläden, wie den der Teichwirtschaft Klitten, und Thekenfahrzeuge der Bäcker, was ausbaufähig wäre. Letztere, so die Kritik eines Bürgers, wären aber schon weg, wenn Berufstätige nach Hause kommen. Überdies war von einer digitalen Einkaufs-App die Rede.

Auch kleinere Orte anbinden

Mit wohnortnaher Versorgung könnte Verkehr reduziert werden. Sie schließt neben Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs auch Blumen, Zeitungen, Apotheken und Dienstleistungen wie etwa einen Friseur ein. Aktuell gibt es in der Gemeinde Boxberg vier Bäcker, zwei Fleischer, zwei Lebensmittelgeschäfte, zwei Tankstellenshops sowie einen Discounter, der aber kein Vollsortiment führt. „Es wäre wichtig, die bestehenden Unternehmen zu unterstützen, damit sie ihre Angebote ausbauen, was sie angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht leisten können“, gab ein Bürger zu bedenken. Nach Aussage von Katharina Groß würden derzeit die Gewerbetreibenden nach ihrer Einschätzung und nach Problemen und Wünschen befragt.Bei einer Bürgerumfrage im Ortsteil Klitten hatten sich 85 Prozent für einen Discounter ausgesprochen. Dass es Gespräche mit Discountern gab, daran erinnert Gemeinderat Robin Zieger (WV Uhyster Heimatverein). „In Uhyst gab es keine passende Fläche, in Klitten zuwenig Durchgangsverkehr“, fasst er das Ergebnis zusammen. Zudem wäre es aus seiner Sicht schön, wenn alle Ortsteile an den Nahverkehr angebunden wären und nicht bloß die mit 200 Einwohnern. „Das müsste doch auch für die kleineren Orte möglich sein, ob mit dem ÖPNV oder einem Bürgerbus sei ja mal dahingestellt“, sagte er.

Auf Initiative des Vereins Perspektive Boxberg hatte in einem Test von November 2021 bis März 2022 der Bürgerbus jeweils dienstags die Ortsteile mit dem Hauptort Boxberg verbunden, die Fahrgäste noch dazu kostenfrei befördert. Mobilität könnte aber auch durch gemeinschaftlich organisierte Fahrdienste oder Carsharing gesichert werden. Wobei für Letzteres der Bedarf auf dem Lande nicht so groß sei, weil hier ohnehin fast jeder ein Auto habe, hieß es. Den Teilnehmern des Workshops war der Ausbau des Radwegenetzes wichtig.

Eröffnet wurde die Veranstaltung mit der Ermunterung, bei der Ideenfindung gerne auch zu spinnen. Am Ende bescheinigt die Projektleiterin den Teilnehmern: „Sie kennen ihre Problemlagen und bauen keine Luftschlösser.“ Die Hinweise der Bürger werden in das Konzept einfließen.Für Gemeinde passgenaue TippsFinanziert wird das Projekt mit Fördermitteln der Europäischen Union. Nach dem Start im Dezember soll bis Ende Februar 2023 das Konzept im Entwurf vorliegen und bis Mitte des Jahres mit dem Landkreis abgestimmt werden. „Es handelt sich um ein klassisches Maßnahmekonzept ähnlich einem Dorfentwicklungskonzept. Sonst schauen wir ja meist nur, wie man den Handel entwickeln kann. Die Kombination mit der Erreichbarkeit finde ich klug“, sagt Groß. Das hätten sie und ihr Team noch nicht so oft gehabt. Die spezifischen Faktoren würden das Ganze spannend machen.

Bürgermeister Hendryk Balko ist am Ende des Lobes voll. „So stelle ich mir Bürgerbeteiligung vor. Es hat Spaß gemacht“, resümiert er. Mit dem Konzept bekäme die Gemeinde passgenaue Tipps. Er freut sich schon darauf. „Verwaltung und Gemeinderat werden versuchen, daraus das eine oder andere Projekt umzusetzen. Damit wir alle was davon haben“, so der Gemeindechef.