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Das sind die vier Anführer der Taliban

Vier Männer führen die mehr als 60.000 Taliban an. Welche Ziele verfolgen sie und wie weit werden sie gehen, um sie zu erreichen?

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Taliban-Kämpfer sitzen in einem Raum des Präsidentenpalastes. Nur wenige Stunden nach der Flucht des afghanischen Präsidenten Ghani haben die Führer der Taliban den Regierungssitz in Kabul gestürmt.
Taliban-Kämpfer sitzen in einem Raum des Präsidentenpalastes. Nur wenige Stunden nach der Flucht des afghanischen Präsidenten Ghani haben die Führer der Taliban den Regierungssitz in Kabul gestürmt. © Zabi Karimi/AP/dpa

Von Frank Jansen

Sie sehen wild aus. Die schwarzen Bärte wuchern, lange Haare quellen aus Turbanen und dem Pakol, der traditionellen Wollkappe. Über den langen, luftigen Hemden baumeln Kalaschnikows und amerikanische Schnellfeuergewehre, die offenkundig von der afghanischen Armee erbeutet wurden. Die Taliban wirken optisch wie ein Haufen militanter Hippies. Uniformen sind keine zu sehen, Anführer und Fußvolk sind äußerlich kaum zu unterscheiden. Dennoch gibt es Strukturen und Disziplin. Anders hätten die Islamisten den Krieg nicht gewinnen können.

Mutmaßlich vier Chefs dirigieren die Taliban, ihre vielen lokalen Kommandeure und die Kämpfer. Sicherheitsexperten sprechen von mehr 60.000 „Mudschahedin“. Als Führungsgremium gilt die „Quetta Schura“. Der Rat ist benannt nach der westpakistanischen Großstadt Quetta und tritt dort als eine Art Exilregierung der Taliban auf.

An der Spitze steht „Emir“ Haibatullah Achundsada. Der Paschtune aus der südlichen Provinz Kandahar, mutmaßlich Anfang 60, führt die Taliban seit 2016. Seinen Vorgänger Mullah Akhtar Mansur hatten die Amerikaner mit einem Drohnenangriff getötet. Achundsada war einst Vertrauter des Gründervaters der Taliban, Mullah Mohammed Omar. Er wird von den Islamisten als legendäre Figur verehrt. 2013 starb Mullah Omar in Pakistan, vermutlich an Tuberkulose. Achundsada führt seinen harten Kurs fort.

Das Gesicht einer Lüge

Es gibt Berichte, wonach Achundsada im März 2001 durchsetzte, dass die riesigen, 1.500 Jahre alten Buddha-Statuen im Tal von Bamiyan gesprengt wurden. Die Zerstörung des Weltkulturerbes löste einen globalen Schock aus. Nach der Invasion der Amerikaner im Oktober 2001 in Afghanistan gab es Pläne, die Statuen wieder aufzubauen. Daraus wurde nichts. Die Hoffnung ist nun bei einem Taliban-Regime, das von Achundsada geführt wird, endgültig passé.

Bezeichnend für die Radikalität von Achundsada ist sein Verhältnis zu Al Qaida. Der Anführer der Terrororganisation, der Ägypter Aiman as Sawahiri, schwor ihm 2016 die Treue und feierte ihn als „Emir der Gläubigen“. Wie schon Mullah Omar hält auch Achundsada am Bündnis mit Al Qaida fest, obwohl die Anschläge vom 11. September 2001 den westlichen Einmarsch provozierten und die Taliban ihren Gottesstaat verloren. Dass die Islamisten im Februar 2020 den Amerikanern im Friedensabkommen von Doha zusagten, im Gegenzug für den Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan keine Terroristen mehr im Land zu dulden, war ein Lippenbekenntnis.

Das Gesicht dieser Lüge ist Mullah Abdul Ghani Baradar. Er unterzeichnete im Februar 2020 in der katarischen Hauptstadt Doha das Abkommen mit den USA. Die CIA hatte ihn 2010 in der pakistanischen Hafenstadt Karatschi aufgespürt, Baradar kam in Haft. Allerdings in Pakistan, nach Guantanamo konnten oder wollten ihn die Amerikaner nicht bringen. Baradar galt als halbwegs moderat und potenzieller Verhandlungspartner. Im Oktober 2018 kam er frei. Die USA hofften, mit Baradar die Taliban in einen harten und einen gemäßigten Teil spalten zu können. Baradar machte mit. Scheinbar. Er sagte auch zu, mit der afghanischen Regierung unter Präsident Aschraf Ghani zu verhandeln. Das Ergebnis ist bekannt.

Die nächste Generation

Die zwei weiteren Chefs der Taliban sind der Sohn von Mullah Omar, Mullah Mohammed Yakoob, und Siradschuddin Haqqani. Yakoob führt die Militärkommission der Taliban. Haqqani scheint aber der wichtigere Mudschahedin-Kommandant zu sein. Westliche Nachrichtendienste sprechen vom „Haqqani-Netzwerk“, es ist für viele verheerende Anschläge in Afghanistan verantwortlich. Einer der schlimmsten war die Explosion eines mit 1.500 Kilogramm Sprengstoff beladenen Tanklastwagens im Mai 2017 im Botschaftsviertel von Kabul. Mehr als 150 Menschen starben, mehrere diplomatische Vertretungen wurden beschädigt, auch die der Bundesrepublik.

Solche Verbrechen haben dazu beigetragen, dass den Taliban bei ihrem Eroberungsfeldzug ein Ruf des Schreckens vorauseilte. Viele Regierungssoldaten ergaben sich lieber, als im Kampf mit den Islamisten den Tod zu riskieren – oder, fast noch schlimmer, Gefangennahme und Folter. Die „Washington Post“ berichtete 2016, einem jungen Afghanen sei als Vergeltung für den Tod eines Taliban-Kommandeurs bei lebendigem Leib die Haut abgezogen worden. Wer sich gegen die Islamisten stellt oder auch nur in den Verdacht gerät, lebt gefährlich.

Frauen unter Druck

Das gilt gerade auch für Frauen. In ländlichen Gebieten reicht es schon, sich nicht mit der Burka zu verhüllen. „Frauen und Mädchen waren auch 2020 in ganz Afghanistan geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt, insbesondere in Gebieten unter Kontrolle der Taliban“, berichtet Amnesty International. Bei vermeintlichen Verstößen gegen islamisches Recht, wie es die Taliban auslegen, drohten Frauen und Mädchen „brutale Strafen“.

Die Taliban haben zudem erst kürzlich wieder ihren tödlichen Hass auf Gegner demonstriert. Am 3. August attackierte in Kabul ein Kommando der „Märtyrer-Bataillone“ das Verteidigungsministerium. Acht Menschen starben. Drei Tage später erschossen Attentäter den Sprecher der Regierung, Dawa Khan Menapal, auf offener Straße. Er sei „bestraft“ worden, verkündeten die Taliban. Die Anschläge sind zwei Gründe mehr für viele Afghanen, verzweifelt die Flucht über den Flughafen Kabul zu versuchen, statt auf ein gemäßigtes Regime der Taliban zu hoffen.

Der Sieg der Islamisten wäre vermutlich kaum möglich gewesen ohne die Unterstützung Pakistans. Der Geheimdienst ISI war Pate bei der Gründung der Taliban 1994. Hinzu kamen reiche Gönner aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Das Geld, sagen deutsche Sicherheitskreise, fließt noch heute.