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Unser Wunschkind und der Krieg in der Ukraine

Sven und Doreen aus dem sächsischen Neukirchen wünschen sich seit zehn Jahren ein Kind. Ihre letzte Hoffnung ist eine Leihmutter in der Ukraine. Doch als die „Bauchmama“ hochschwanger auf die Geburt wartet, beginnt dort der Krieg.

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Endlich Eltern: Doreen und Sven glücklich mit Tochter Lena im Erzgebirge. Sie haben ihr Wunschkind aus der Ukraine nach Hause geholt.
Endlich Eltern: Doreen und Sven glücklich mit Tochter Lena im Erzgebirge. Sie haben ihr Wunschkind aus der Ukraine nach Hause geholt. © Bettina Wobst für 37 Grad/ZDF

Von Bettina Wobst

Es ist Frühjahr, der Löwenzahn blüht, ein Pärchen läuft Hand in Hand durch den Park des Wasserschlosses Klaffenbach. Sie schauen auf das Wasser, eng aneinander gekuschelt. Von außen betrachtet sind sie glücklich, die schlanke Doreen, 36 Jahre alt, lange blonde Haare, Pharmazeutin. Und der 38-jährige Sven. Er führt eine Spedition, ein Mann, der für alles eine Lösung findet.

Doch es gibt ein Loch, eine Leere in ihrem Leben, die auch er nicht beheben kann. Während Freunde und Bekannte in den letzten Jahren Familien gegründet haben, sind sie kinderlos geblieben. „Es war immer klar, dass wir Kinder haben wollen. Und natürlich haben wir uns immer wieder gefragt, was stimmt bei uns nicht? Diese Sehnsucht nach einem Kind, die wird immer größer“, erzählt Doreen still, während Sven ihr über den Rücken streicht.

Beide führen ein ruhiges Leben in dem Dorf Neukirchen. An den Wänden ihrer Wohnung hängen Fotos von Reisen nach Amerika oder Asien. Doch das war mehr und mehr Ablenkung, erzählt Sven. Alles hier ist sauber und aufgeräumt. „Meine Frau liebt es, wenn Ordnung herrscht.“

Aber nichts sei für sie mehr „in Ordnung“ seit dem 24. Februar. Auf der Couch schauen sie Nachrichten: Explosionen, Feuer, fliehende Menschen. Seit sechs Wochen ist Krieg in der Ukraine. Aber Sven und Doreen können es immer noch nicht fassen, denn dort, im Krieg, wird bald ihr Kind geboren, ein Mädchen, das von einer ukrainischen Leihmutter ausgetragen wird.

Als die Sendung vorbei ist, beginnt Sven eine Sprachnachricht in sein Handy zu tippen. Eine Nachricht an Anna, ihre Leihmutter. Fast täglich schreiben sie sich mit der Frau, die sie noch nie persönlich getroffen haben, die aber in ihrem Bauch ihr Kind heranwachsen spürt. „Liebe Anna, wie geht es dir? Es sind nur noch wenige Wochen bis zur Geburt. Was machst du?“ Minuten später kommt die Antwort. „Alles ruhig. Mir geht es gut. Ich spüre dein Kind.“

Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten

Viel wissen sie nicht voneinander. Nur, dass Anna 30 Jahre alt ist und selbst zwei Kinder hat. „Das muss so schwer für sie sein, gerade jetzt im Krieg“, sagt Doreen. „Sie wartet gerade in einem Geburtshaus. Es ist relativ sicher dort und die Frauen werden gut versorgt, aber sie ist von ihren eigenen Kindern getrennt.“ Es sind nur kurze Sätze per Whatsapp, bruchstückhaft mit einer Übersetzungsapp übertragen, aber für Sven und Doreen sind es die wichtigsten Nachrichten des Tages. Anna geht es gut und damit ihrer Tochter auch.

Leihmutterschaft ist in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. In der Ukraine dagegen darf ein Embryo auf einen anderen Körper übertragen werden. Kinderlose Paare aus der ganzen Welt suchen Hilfe bei ukrainischen Fruchtbarkeitskliniken, auch weil die Verträge relativ günstig sind. 45.000 Euro kostet hier das „Standardpaket“ für ein Wunschkind. In den USA, wo auch kommerzielle Leihmutterschaft erlaubt ist, müssen Paare das Doppelte bis Dreifache zahlen.

Sven und Doreen haben ihr Wunschkind Lena aus der Klinik geholt. Sie müssen nun 4 Wochen in der Ukraine warten, bis alle Unterlagen für die Behörden zusammen getragen sind.
Sven und Doreen haben ihr Wunschkind Lena aus der Klinik geholt. Sie müssen nun 4 Wochen in der Ukraine warten, bis alle Unterlagen für die Behörden zusammen getragen sind. © Bettina Wobst für 37 Grad/ZDF

Erst seit Kriegsausbruch machen die Fruchtbarkeitsfirmen Kontakte zwischen Wunscheltern und Leihmüttern möglich. Früher war das nicht erwünscht. Die Stadt Kropyvnytskyi, in der Anna auf die Geburt wartet, wurde noch nicht von Raketen angegriffen. Sven und Doreen haben ihr angeboten, nach Deutschland zu kommen. Doch Anna will lieber in der Nähe ihrer Eltern und Kinder bleiben.

Außerdem hat ihr auch die Agentur von der Reise nach Deutschland abgeraten. Juristisch könnte die Geburt in Deutschland zu Schwierigkeiten führen, denn hier gilt die Frau als Mutter, die das Kind zur Welt bringt. Anna wäre für das Kind verantwortlich. Dagegen zählt in der Ukraine die Genetik. Dort gelten Sven und Doreen als Eltern des Babys, weil das Mädchen aus Svens Samen und Doreens Eizelle entstammt. Und Anna es nur austrägt.

„Ich hätte früher auch nie gedacht, dass wir mal eine Leihmutter in der Ukraine suchen müssen“, sagt Doreen fast trotzig. „Aber das war unsere letzte Hoffnung. Die meisten Menschen, die Leihmutterschaft kritisieren, haben selbst Kinder und können sich schwer in unsere Lage hineinversetzen.“

Schon als Jugendliche habe sie für Bekannte Babys gesittet, von einer eigenen Familie geträumt, am liebsten gleich mehrere Kinder gewollt. Als sie Sven mit 16 kennenlernt, weiß sie sofort, er ist der Mann fürs Leben. Mit Anfang 20 heiraten sie und ziehen in eine Wohnung, in der auch Platz für ein Kinderzimmer ist.

Doch Doreen wird nicht schwanger. Sie suchen Hilfe bei Ärzten, müssen sich die Frage gefallen lassen „wer denn nun schuld sei“. Eine wirkliche Antwort erhalten sie nicht. Was folgt, sind Hormontherapien, Spritzen, künstliche Befruchtungen, Termine bei Heilpraktikern, Osteopathen, Handauflegern.

15.000 Euro für eine erfolgreiche Leihmutterschaft

Nach der sechsten künstlichen Befruchtung raten die Ärzte, dass sie sich lieber einen „Plan B“ überlegen sollen. Sven und Doreen sind sich einig, eine Adoption oder ein Pflegekind kommen für sie nicht infrage. Bei Bekannten gab es große Probleme, davor schrecken sie zurück. Aber sie haben von der Leihmutterschaft in der Ukraine gehört. Es gibt Foren im Internet und offensive Werbung ukrainischer Agenturen. Viele, meist alleinerziehende Frauen sind dort bereit, als Leihmütter arbeiten. Der durchschnittliche Monatsverdienst im Land beträgt 350 Euro. Für eine erfolgreiche Leihmutterschaft erhält eine Frau 15.000 Euro.

Im Jahr 2018 fliegen Doreen und Sven das erste Mal nach Kiew und sprechen mit Ärzten von Biotexcom, der größten Fruchtbarkeitsklinik der Ukraine. Die Firma verspricht, dass sie nach Vertragsabschluss auf jeden Fall irgendwann mit einem Kind nach Hause fliegen werden. Sven und Doreen entscheiden sich schnell.

In Kiew werden Doreen Eizellen entnommen. Sie liegt in einem kühlen Raum, steril gefliest, niemand spricht mit ihr und sie versteht kein Wort, als Ärzte sie untersuchen. Die Prozedur ist schmerzhaft. Danach werden die stärksten Eizellen in einem Labor mit Samen von Sven vereinigt.

Aber ihre große Hoffnung endet mit einer herben Enttäuschung. Innerhalb von zwei Jahren werden drei Leihmütter schwanger. Die Kinder sterben jedoch kurz vor der Geburt, ein Mädchen wird als Frühchen in der Corona-Zeit geboren. Sie dürfen durch die Pandemie nicht zu ihr nach Kiew fliegen und sie auch nicht nach Deutschland holen. Nach zwei Wochen stirbt das Mädchen an einer Sepsis.

Doreen wartet auf Baby Lena in einem Hotel nahe der ukrainischen Geburtsklinik.
Doreen wartet auf Baby Lena in einem Hotel nahe der ukrainischen Geburtsklinik. © Bettina Wobst für 37 Grad/ZDF

„Viele haben uns gefragt, warum hört ihr nicht endlich auf?“, sagt Doreen leise. „Aber ich verdränge viel, und ich gebe nie auf. Und Sven hat zu mir gestanden. Andere Männer hätten sich schon lange getrennt.“ Und ihr Mann sagt: „Ich habe sie schon gefragt, ob wir uns da nicht in was verrennen. Aber Doreen hat mir gesagt, sie brauche das Licht am Ende des Tunnels.“

Im Spätsommer 2021 schöpfen sie wieder Hoffnung. Leihmutter Anna ist schwanger. Das Kind ist ein Mädchen und entwickelt sich gesund. Aber in der 27. Schwangerschaftswoche beginnt der russische Angriff. Doreen erleidet einen Nervenzusammenbruch, kann tagelang nur weinen. Sven fährt nachts Auto, um zur Ruhe zu kommen. Nach dem ersten Schock nehmen sie sich in den Arm. Sie haben schon so viel zusammen durchgestanden. Das schaffen sie auch. Sie versprechen sich: „Wir holen Lena nach Hause, auch wenn neben uns die Raketen einschlagen.“

Sirenen heulen bei Ankunft im Hotel

Es ist Mitte Mai. Sven und Doreen stehen in ihrem Garten und halten Svens Handy in der Hand, ganz vorsichtig und überglücklich. Anna hat ihnen geschrieben, dass sie heute ihr Mädchen geboren hat. Ein Video zeigt ein gesundes Baby mit großen Augen, das strampelt und schwarze Haare hat. 3.100 Gramm soll es schwer sein und 51 Zentimeter groß. Doreen ist den Tränen nah. „Ich kann es nicht glauben. Zehn Jahre haben wir alles versucht und auf sie gewartet und jetzt soll sie wirklich da sein.“ Noch am selben Tag fahren sie los. Sie haben sich auf die Reise vorbereitet, so gut es ging, haben einen alten VW gekauft, an Bord sind mehrere Benzinkanister, Wasser, Babynahrung, Strampler. Nun trauen sie sich endlich auch, den Namen ihres Wunschkindes auszusprechen. Das Mädchen soll Lena heißen.

Rund 2.000 Kilometer sind es vom Erzgebirge über die polnisch-ukrainische Grenze bis nach Kropyvnytskyi in die Zentralukraine. Durch das Autofenster glitzert die Sonne, über ihnen scheint ein strahlend blauer Himmel. Aber von dort oben droht der Tod. Sie durchfahren idyllische Dörfer, vorbei an Menschen, die auf ihren Feldern arbeiten. Immer wieder werden sie an Checkpoints kontrolliert. Mit Gewehren bewaffnete Männer stehen am Straßenrand. Wenn sie an Zugstrecken vorbeifahren, halten sie die Luft an und fragen sich, ob in vorbeirollenden Güterzügen vielleicht Waffen transportiert werden.

Kein Abschied für immer: Doreen und Sven mit ihrer Leihmutter Anna (Mitte), die selbst nicht erkannt werden will.
Kein Abschied für immer: Doreen und Sven mit ihrer Leihmutter Anna (Mitte), die selbst nicht erkannt werden will. © Bettina Wobst für 37 Grad/ZDF

Zwei Tage später, bei der Ankunft im Hotel, heulen Sirenen. Sven und Doreen haben eine App heruntergeladen, die farbig zeigt, wo überall in der Ukraine Fliegeralarm herrscht. An diesem Tag sind drei Viertel des Landes blutrot gekennzeichnet. „Das ist für uns so ein beängstigendes Gefühl. 100 Kilometer von hier sind auch schon Raketen eingeschlagen. Und unsere Kleine liegt hier. Kliniken sind ja auch Ziel für russische Raketen“, sagt Sven.

Das deutsche Paar will nun nur noch so schnell wie möglich zu Lena. Sie hoffen, mit dem Baby im selben Zimmer schlafen zu können. Aber ein Anruf bei der Agentur ist ernüchternd. In den Kliniken herrscht Kriegsrecht. Sie erhalten nur eine Erlaubnis für einen kurzen Besuch.

Eine Krankenschwester führt sie in das Zimmer, in dem noch sieben andere Babys liegen. Lena ist ganz still, sie hat gerade geschlafen. 15 Minuten haben sie füreinander. Eine Krankenschwester will Tipps geben, wie sie das Kind halten sollen. Sie trauen sich nicht, ihr zu sagen, dass sie lieber allein mit Lena sein wollen. Dass sie auf diesen Augenblick so lange gewartet haben.

Leihmutter Anna will Lena noch einmal sehen

Erst nach zwei Tagen dürfen sie Lena wirklich abholen. Der Chefarzt der Klinik bringt Lena persönlich zu ihnen. Sie liegt schlafend in einem kleinen blauen Babytragebett. Trotz des Krieges würden immer noch viele Paare aus der ganzen Welt seine Klinik und Leihmütter beauftragen, erzählt der Chefarzt. „Wenn Paare wirklich Kinder haben wollen, dann wird der Krieg sie daran nicht hindern.“ Aber er fügt hinzu: „Es gibt keinen wirklich sicheren Ort mehr in der Ukraine. Wir versuchen alles, damit die Eltern so schnell wie möglich bei ihren Kindern sein können.“

Sven und Doreen haben nun endlich Lena bei sich – und eine Verabredung. Leihmutter Anna hatte per Textnachricht gefragt, ob sie das Kind noch einmal sehen dürfte. Für Doreen und Sven ist das selbstverständlich. „Sie war nie nur eine Geschäftspartnerin für uns. Sie wird immer die Mutter unseres Kindes sein. Und wir wollen ihr zeigen, wie dankbar wir ihr sind.“ In einem Aufenthaltsraum der Klinik treffen sie sich. Sven und Doreen haben Geschenke mitgebracht, für Annas Kinder.

Die schüchterne, zierliche Frau ist gerührt. Lange schaut sie in das Babybett zu Lena und erzählt: „Die Leihmutterschaft im Krieg war schwer für mich. Ich hatte Angst um meine eigenen Kinder, weil ich sie zurückgelassen habe, und ich hatte Angst um dieses Kind. Vielleicht ist es meine Aufgabe im Leben, diesem Paar ein Kind zu schenken.“ Von dem Geld wolle sie eine Wohnung kaufen für sich und ihre Kinder. Noch einmal als Leihmutter arbeiten wolle sie nicht. „Das war das einzige Mal.“

Am Ende schießen sie ein Foto, umarmen sich lange. Die Wunscheltern aus dem Erzgebirge und ihre Leihmutter aus der Ukraine. Sie sind eine Schicksalsgemeinschaft. Anna möchte gerne sehen, wie Lena größer wird. Und Sven und Doreen wollen Lena von Anna erzählen. Die Tochter soll wissen, dass sie eine Bauchmama in der Ukraine hat.