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Wie erkläre ich meinem Kind, was Krieg bedeutet?

Eine Psychotherapeutin aus Dresden rät zu Ehrlichkeit und klarer Sprache. Wichtig sei dabei immer eine Frage.

Von Susanne Plecher
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Ein Kind steht neben ukrainischen Soldaten und imitiert ihre Haltung.
Ein Kind steht neben ukrainischen Soldaten und imitiert ihre Haltung. © Vadim Ghirda/AP/dpa

Zerstörung, Tote, endlose Militärkonvois – die Bilder des Krieges in der Ukraine sind beängstigend. Was bewirken sie bei Kindern und Jugendlichen? Darüber sprach die SZ mit Professorin Susanne Knappe. Die Psychotherapeutin hat zum Thema Angststörungen an der TU Dresden habilitiert und sich auf Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie spezialisiert.

Frau Knappe, wie erkläre ich meinem Kind den Krieg?

Indem ich dem Alter des Kindes angepasst beschreibe, was da passiert. Dass ein Land ein anderes angreift. Wir haben einerseits das Eingreifen der russischen Truppen und andererseits die Ukraine, die sich heftigst dagegen wehrt. Das lässt sich altersgerecht beschreiben. Bei jüngeren Kindern kann man das durchaus auch einmal plastisch umsetzen mit Spielzeug oder Bauklötzen, die sich aufeinander zu bewegen.

Und wenn das Kind im Fernsehen Tote sieht?

Dann sage ich, dass dabei Menschen sterben, weil Waffen eingesetzt werden.

Kann man das nicht abfedern und weicher formulieren?

Nein, ich wüsste nicht, wie. Wenn die konkrete Frage kommt, was Krieg ist, dann sollte ich auch versuchen, sie ehrlich zu beantworten.

Jugendliche sehen Bilder von Raketeneinschlägen und Toten oft ungefiltert in den sozialen Medien. Wie können Eltern sie begleiten?

Wichtig ist, dass wir als Erwachsene wissen, ob sie so etwas sehen. Und dass wir bereit und offen sind, ein Gespräch anzubieten. Jugendliche gehen mit ihrer Welt kritischer um als Kinder, sie können hinterfragen, was das für Bilder sind, von wem sie kommen, was sie zeigen. Eine der wichtigsten Maßgaben sollte sein, sich darüber auszutauschen. Ideal wäre es, dass ich in dem Moment ein Ohr dafür habe, in dem mein Kind mit dem Anliegen kommt.

Wie wichtig ist es, sich die Bilder gemeinsam anzuschauen?

Das muss nicht zwangsläufig sein. Es geht darum, dass Eltern und Kinder sich verständigen, wie sie das finden, was es mit ihnen macht, welches Gefühl dabei hochkommt. Wenn wir beobachten, wie Familien auseinandergerissen werden, Kinder mit den Großeltern fliehen und die Eltern im Krieg zurückbleiben, die ersten Geflüchteten mit Rucksack und einem weinenden Kind auf dem Arm ankommen, das macht etwas mit uns, egal, wie alt wir sind. Das kann uns hilfslos machen, uns entsetzen, bestürzen, ängstigen. Wir können überlegen, wie wir etwa mit der Hilflosigkeit umgehen. Das Entsetzen über die aktuellen Geschehnisse gibt es auch ohne die Bilder.

Aber sie machen die Bedrohung plastischer.

Ja, sie docken sehr viel schneller an einem Gefühl an, das in uns erzeugt wird. Darüber tauschen wir uns am ehesten aus: Das macht mir Angst, das entsetzt mich, da fürchte ich mich, das macht mich traurig. Es geht gar nicht so sehr darum, dass ich im Detail beschreibe, was ich auf Bildern sehe.

Reicht es, darüber zu reden?

Zum einen ist das Benennen, zum anderen aber auch das Betrachten der Ereignisse wichtig. Gefühl ist gut und schön, aber wir tun gut daran, wenn wir uns mit der Sachlage auseinandersetzen. Bei Jugendlichen ist eine klare Sprache angezeigt. Sie sind ja nicht doof und kriegen das mit. Putin besetzt ein Land. Warum tut er das? Was sind seine Beweggründe? Können wir die nachvollziehen, finden wir sie logisch? Er hat Bezüge zum Zweiten Weltkrieg hergestellt. Weiß mein Jugendlicher, was damit gemeint ist? Kann er das einordnen und sich eine Meinung dazu bilden?

Ab welchem Alter kann man darüber mit Kindern sprechen, und was wäre überambitioniert?

Wir dürfen das Thema unseren Kindern nicht aufdrängen. Ich empfehle wachsam zu sein, zu sehen, ob mein Kind etwas aufgeschnappt oder beobachtet hat, eine Frage stellt. Dann sollte man sich die Zeit zum Gespräch nehmen oder gemeinsam Kindernachrichten gucken, Kinderradio hören. Mit Jugendlichen kann man schauen, was in den Medien berichtet wird und fragen, inwieweit in der Schule darüber gesprochen wird. Wichtig ist immer die Frage: Was macht das Thema mit euch? Darüber sollte ein Austausch geführt werden.

Gibt es Kinder, die besonders anfällig für solche Ängste sind?

Wie bei uns Erwachsenen gibt es auch Kinder, die sensitiver für bedrohliche Inhalte sind. Ihr Anteil liegt etwa bei zehn Prozent unter Gleichaltrigen. Das haben wir in ähnlicher Weise in Folge der Pandemie erlebt. Da gab es bei manchen eine verstärkte Sorge, ob man Opa und Oma ansteckt, das Virus irgendwohin trägt. Kinder, die so empfänglich sind, stellen selber einen Bezug zu sich her, aber sie werden darüber nicht zwangsläufig krank werden.

Beziehen die anderen 90 Prozent die Ereignisse nicht auf sich?

Sie stellen diesen Bezug auch her, erleben die Bedrohung aber nicht ganz so stark.

Den Fall durchzuspielen und darüber zu sprechen, was man tun würde, wenn man selber flüchten müsste – wäre das ein Teil der Bewältigung oder würde das eine Angst eher befeuern?

Meine Familie hatte das Thema gestern Abend am Tisch. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir soweit nicht denken wollen, weil wir das nicht abschätzen können. Wir nehmen sehr wohl wahr, dass die Ereignisse auch räumlich nicht allzu weit von uns entfernt sind und wir die Folgen hier auch merken. Aber wir haben zum Beispiel gesagt, dass wir in dem Fall auch den Hund nicht zurücklassen. Das war für unsere Kinder eine wichtige Information. Und dass wir dann sehen müssen, wo es sicher ist und dort gemeinsam hingehen würden. Wir haben ihnen aber auch deutlich gemacht, dass das eine Situation ist, die wir Erwachsenen nicht kennen. Daher würde ich auch nicht vorgeben, dass ich wüsste, was zu tun ist. Was ich meinen Kindern sage, ist, dass ich das mit Sorge sehe, den Zustand als bedrohlich empfinde und den Wunsch verspüre, zu helfen.

Auf Antikriegsdemos sieht man Kinder mit selbst gemalten Bannern. Hilft es der Psyche, selber aktiv zu werden?

Ja, wir sehen auch Kinder, die Friedenstauben für das Klassenzimmer gestalten und ins Fenster kleben oder Bilder malen. Damit können sie ein Signal senden, das aus der Kinderwelt heraus möglich ist: Wir sehen das und drücken alle Daumen, dass es gut geht. Ähnlich war das während der Pandemie. Kinder haben Regenbögen an ihre Fenster gemalt oder Steine bemalt und auf den Weg zur Kita oder zur Schule gelegt. Das alles sind Dinge, die uns in Handlung versetzen, auch wenn uns das Geschehen sehr mächtig erscheint. Angst lässt uns erstarren und uns zurückziehen, sie ist ein ganz basales Urgefühl. Es ist wichtig, in Handlung zu kommen, um einen Ansatz von Bewältigung zu erhalten. Das kann gelingen, wenn wir uns fragen: Wie wollen wir damit umgehen? Wir als Familie haben gestern eine große Kiste gepackt.

Wie haben Sie Ihre Kinder einbezogen?

Wir haben gemeinsam darüber nachgedacht, was Kinder und Familien dort gebrauchen können. Das ist der Teil, den wir beitragen können. Wir haben nach Dingen gesucht, die sie abgeben können und haben uns für Pixi-Bücher entschieden. Sie sind klein und passen in jede Tasche. Sie lenken kurz ab, schaffen einen schönen Moment.

  • Susanne Knappe hat seit März 2021 die Professur für Gesundheitswissenschaften an der Evangelischen Hochschule Dresden inne
  • Der WDR hat kindgerechte Infos zum Ukrainekrieg zusammengestellt