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Wie angeschlagen ist Wladimir Putin?

Militärisch hat der Kreml seine Ziele in der Ukraine nicht erreicht, Russland verliert den Kampf um die Bilder und ist isoliert – die bisherige Bilanz ist ernüchternd. Eine Analyse.

Von Claudia von Salzen
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Stockender Vormarsch, Wirtschaftskrise, Isolation: Für Putin läuft der Krieg in der Ukraine nicht wie geplant.
Stockender Vormarsch, Wirtschaftskrise, Isolation: Für Putin läuft der Krieg in der Ukraine nicht wie geplant. © S. Ilyin/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Einen Monat nach dem russischen Überfall auf die Ukraine erklärte der stellvertretende Chef des russischen Generalstabes, Sergej Rudskoj, die „erste Etappe der Operation“ für abgeschlossen, jedenfalls „im Großen und Ganzen“. Zugleich kündigte er an, dass sich die russische Armee nun „auf das Erreichen des Hauptziels“ konzentrieren wolle – „die Befreiung des Donbass“. Von den Zielen, die Wladimir Putin am ersten Kriegstag benannt hatte, war in der Präsentation des russischen Generalstabs keine Rede mehr.

Der russische Präsident hatte den Angriff nicht nur damit begründet, den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk beizustehen, er ließ keinen Zweifel daran, dass sein eigentliches Ziel eine Machtübernahme in der gesamten Ukraine war. In einer geradezu hasserfüllten Rede hatte Putin eine „Entnazifizierung“ und Demilitarisierung der Ukraine zum Ziel erklärt.

Doch von einem Sturz der Regierung in Kiew und der Installation eines kremlfreundlichen Marionettenregimes ist Russland immer weiter entfernt. Auch auf mehreren anderen Gebieten befindet sich Putins Russland derzeit in der Defensive.

Wie ist die militärische Lage?

Ob die Ankündigung des Generalstabs tatsächlich einen Rückzug russischer Truppen aus dem Norden des Landes und eine Verlegung aller verfügbaren Kräfte in den Donbass vorbereiten soll, ist noch unklar. Schließlich war es nicht Putin selbst, der diesen möglichen Strategiewechsel verkündete, und auch nicht der Generalstabschef Waleri Gerassimow, der wie Verteidigungsminister Sergej Schojgu zeitweise überraschend aus der Öffentlichkeit verschwunden war. Allerdings war die russische Armee schon vor der Ankündigung in die Defensive geraten.

Im Umland Kiews ist es den Ukrainern in den vergangenen Tagen zumindest an einigen Orten gelungen, Russlands Truppen zurückzudrängen. Größere Geländegewinne erzielten die ukrainischen Truppen zwar noch nicht. Die ukrainischen Gegenangriffe hinderten Russland aber daran, seine Kräfte zu reorganisieren, so die Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums am Sonntag.

Zugleich sehen die westlichen Beobachter tatsächlich verstärkte Aktivitäten im Donbass: „Die russischen Kräfte scheinen ihre Bemühungen auf den Versuch einer Einkreisung der ukrainischen Truppen zu konzentrieren, die den Separatistenregionen im Osten des Landes direkt gegenüberstehen“, erklärt das Verteidigungsministerium in London weiter. Dabei rückten die russischen Truppen aus der Richtung von Charkiw im Norden und aus Mariupol im Süden vor.

Ein völlig zerstörter russischer T-72-Kampfpanzer steht in der Oblast Kiew.
Ein völlig zerstörter russischer T-72-Kampfpanzer steht in der Oblast Kiew. © Alex Chan Tsz Yuk/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa

Russlands Armee hat in nur einem Kriegsmonat offenbar sehr hohe Verluste zu verzeichnen. Zudem starben in der Ukraine bereits sieben russische Generäle. Westliche Experten gingen davon aus, dass insgesamt etwa 20 Generäle am Ukraine-Krieg beteiligt waren – damit wäre mehr als ein Drittel der Militärführung dieses Einsatzes getötet worden. Zugleich haben russische Militärs mit einer niedrigen Moral der Truppen, fehlenden sicheren Kommunikationsmöglichkeiten und Nachschub-Problemen zu kämpfen.

In wenigen Wochen naht ein sowohl für Putin als auch für die russische Armee wichtiges Datum: Am 9. Mai wird traditionell der Tag des Sieges über Hitler-Deutschland gefeiert, mit einer riesigen Militärparade in Moskau. Damit wächst der Druck auf die russische Führung, bis zu diesem Datum in der Ukraine so weit zu kommen, dass man dies der eigenen Bevölkerung als Sieg verkaufen kann.

Wie schlägt sich Russland im Kampf um die Bilder?

Fast ebenso wie um nicht erreichte militärische Ziele muss sich die russische Führung um das öffentliche Bild dieses Krieges sorgen. Ausgerechnet das Land, das jahrelang in sozialen Medien einen Informationskrieg gegen den Westen führte, erlebt nun, wie die eigene Armee in genau diesen Medien zum Gegenstand weltweiten Spotts wurde. Unzählige Videos von Traktoren, die irgendwo in der Ukraine zurückgelassene russische Panzer und andere Militärfahrzeuge abschleppten, gingen um die Welt. Diese Bilder wurden zum Symbol für eine überforderte Armee, die in einen offensichtlich unzureichend geplanten militärischen Feldzug geschickt worden war.

Zugleich ist es dem Kreml auch nach einem Monat Krieg nicht gelungen, Bilder aus der Ukraine zu präsentieren, die seine Erzählung von den angeblichen russischen Befreiern stützen könnten – im Gegenteil, selbst in der von russischen Truppen besetzten Stadt Cherson gehen Tag für Tag Menschen mit ukrainischen Fahnen auf die Straße.

Auch im direkten Vergleich der Staatschefs kann Russland in dem Informationskrieg nicht punkten. Während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sich täglich an seine Bevölkerung wendet und ebenso jede Gelegenheit nutzt, Parlamente und Öffentlichkeit im Westen zu adressieren, schottet sich Putin zunehmend ab. Selbst seine eigenen Leute ließ er nicht mehr in seine Nähe. Der lange Tisch, an dem seine Gesprächspartner in weiter Entfernung vom Staatschef Platz nehmen müssen, wurde zum Symbol für diese Distanz.

Vor diesem Hintergrund wurde ein Video, das Putin mit Stewardessen-Schülerinnen beim Teetrinken zeigen sollte, mit Befremden aufgenommen. Bei Putins einzigem öffentlichen Auftritt in letzter Zeit, der Feier zum Jahrestag der Krim-Annexion, brach die Übertragung der Rede mittendrin ab. Zudem deutet das zeitweise Verschwinden von Führungsfiguren wie Schojgu und Gerassimow aus der Öffentlichkeit auf Differenzen innerhalb von Putins Mannschaft.

Wie groß ist Putins innenpolitischer Rückhalt – und welche Rolle spielen die Wirtschaftssanktionen?

Wieviel Rückhalt Putin in der Bevölkerung hat, lässt sich derzeit seriös kaum ermitteln. Dass die russische Führung die Repressionen in Russland nach dem Überfall auf die Ukraine noch einmal deutlich verstärkt hat, kann als Indiz dafür gesehen werden, dass der Kreml sich dieses Rückhalts ebenfalls nicht sicher sein kann und ein Kippen der Stimmung von vornherein verhindern will. Nicht einmal das Wort „Krieg“ darf im Zusammenhang mit dem Vorgehen der russischen Armee in der Ukraine noch verwendet werden, die letzten großen kremlkritischen Medien mussten ihre Arbeit einstellen.

Zugleich gibt es Versuche der russischen Führung, die angebliche Existenz einer patriotischen Bewegung zur Unterstützung des Krieges zu zeigen, deren Erkennungsmerkmal der Buchstabe „Z“ ist. Auch hier ist es von außen kaum möglich, Aussagen darüber zu treffen, ob diese Propaganda-Aktion größeren Rückhalt in der Bevölkerung findet.

Menschen in Moskau mit Russland- und "Z"-Fahnen.
Menschen in Moskau mit Russland- und "Z"-Fahnen. © Str/dpa

Je länger der Krieg dauert, desto deutlicher werden die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen auf das Leben der Menschen in Russland. Selbst Putin musste öffentlich zugeben, dass zur Anpassung an diese „neuen Realitäten“ ein tiefgreifender Strukturwandel der russischen Wirtschaft erforderlich sei und dass dies „nicht leicht“ werde. Der russische Präsident stimmte die Bevölkerung seines Landes bereits auf einen „vorübergehenden Anstieg der Inflation und der Arbeitslosigkeit“ ein.

Die Mehrzahl der westlichen Firmen zog sich ganz aus Russland zurück, Flugreisen in den Westen sind für Russen auf direktem Weg nicht mehr möglich, auf ihre Konten können sie im Ausland nicht mehr zugreifen. In den sozialen Medien machen Videos aus russischen Geschäften die Runde, in denen Menschen sich um Zucker streiten. Der Kremlkritiker Michail Chodorkowski rechnete gerade vor, dass in Russland ein Din-A4-Papier mittlerweile vier Mal so viel wert ist wie ein Rubel. Nicht nur kritische Journalisten und Menschenrechtler verlassen in diesen Tagen das Land. Auch bisher unpolitische junge Leute denken jetzt ernsthaft über eine Auswanderung nach.

Wie hat sich Russlands Rolle auf der internationalen Bühne verändert?

Vor dem Überfall auf die Ukraine scheint der Kreml nicht davon ausgegangen zu sein, dass der Westen derart geschlossen reagiert und in relativ kurzer Zeit umfassende Sanktionen beschließt. Putin hat zur Begründung seines Vorgehens auch auf die Nato-Erweiterung verwiesen, die er ablehnt. Doch mit dem Angriff auf die gesamte Ukraine hat er nun offenbar das Gegenteil von dem erreicht, was er ursprünglich beabsichtigt hatte: kein Zurückdrängen und Einhegen, sondern eine Stärkung der Nato.

Noch vor wenigen Jahren hatte selbst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Nato als „hirntot“ bezeichnet, heute demonstriert das transatlantische Bündnis Geschlossenheit. Es bestehen keine Zweifel daran, dass die Nato ihre Präsenz im Osten des Bündnisgebiets nicht nur für kurze Zeit, sondern auch auf Dauer verstärkt.

Weltweit gibt es nur ganz wenige Länder, die sich demonstrativ an die Seite Putins stellen, zu ihnen gehört das syrische Regime von Baschar al Assad, der wegen Russlands militärischer Intervention noch im Amt ist. Selbst Putins engster Weggefährte, der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko, verweigert dem russischen Präsidenten bisher in einem Punkt die Gefolgschaft: Eigene Truppen will er lieber nicht in die Ukraine schicken.