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Ukrainer in Sachsen: "Was soll ich tun? Ich habe Angst"

Viktorija Martsenko wollte nach zwei Jahren in Dresden mit ihren Kindern zu Ostern nach Kiew zurückkehren. Zu ihrem Mann, um den sie sich sorgt. Doch jetzt zögert sie.

Von Olaf Kittel
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Sächsische.de begleitet Viktorija Martsenko seit zwei Jahren regelmäßig, wie hier im vergangenen Sommer.
Sächsische.de begleitet Viktorija Martsenko seit zwei Jahren regelmäßig, wie hier im vergangenen Sommer. © Matthias Rietschel

Dresden. Sie ist wortkarg in diesen Tagen, bedrückt, schwermütig. Viktorija Martsenko, mit ihren Kindern Jan (9) und Diana (5) seit fast zwei Jahren auf der Flucht in Dresden, steht vor einer schweren Entscheidung, die sie bald treffen muss und die sie so gern delegieren würde. Wenn denn das möglich wäre.

Noch zu Weihnachten war die 41-Jährige guter Dinge, dass sie wieder daheim sein könnten bei ihrem Mann und Papa, dem neuen Eigenheim am Stadtrand der ukrainischen Hauptstadt, bei ihren Eltern und der Schwiegermutter, die ebenfalls ein Jahr lang hier in Dresden gelebt hatten. Jan bei seinen Klassenkameraden, Diana könnte endlich im Kindergarten wieder jedes Kind verstehen. Ostern hatten sie sich als Rückkehrtermin vorgenommen, zum Fest der Hoffnung wollten sie wieder vereint sein.

Aber seither ist viel geschehen, ihr Optimismus hat sich ins Gegenteil verkehrt. „Die ukrainischen Streitkräfte sind in die Defensive geraten, es fehlt an Munition, gerade wurde die Stadt Awdijiwka von den Russen erobert.“ Große Sorge bereitet Frau Martsenko, dass das US-Repräsentantenhaus noch immer nicht die Hilfen für ihr Heimatland freigegeben hat, sie verfolgt in Washington jede Regung.

Die Angst, dass ihr Mann an die Front muss

Besonders bewegt hat sie der russische Raketenangriff erst vor wenigen Tagen auf ein Hochhaus in Kiew, bei dem viele Menschen starben, die Fernsehbilder waren weltweit zu sehen. „Dieses Hochhaus ist nur einen Kilometer von unserm Haus entfernt, nur 300 Meter S vom Kindergarten meiner Tochter.“ Ihr Mann Roman sprach am Telefon von einem enormen Donnerschlag. Er, der sehnsüchtig die Rückkehr der Familie erwartet, meinte, dass er nicht wisse, wie die Kinder das aushalten sollen.

Angst hat Viktorija Martsenko auch, dass ihr Mann, ein Rechtsanwalt, noch an die Front muss. Angst davor, dass die Familie die lange Trennung nicht übersteht, wie so viele Familien, in denen die Männer in der Ukraine und die Frauen mit den Kindern im Ausland untergekommen sind. Die Zahl der Scheidungen ist enorm gestiegen.

Der zweite Geburtstag ohne Papa

Diese Sorgen belasten auch die Kinder. Jan, ein fröhlicher Junge ohne große Anpassungsprobleme, hatte im Februar Geburtstag, die Mama organisierte für ihn und seine Freunde eine schöne Feier, sie waren zusammen im Trampolinpark. „Aber als Jan abends im Bett lag, weinte er bitterlich. Ihm wurde bewusst, dass es der zweite Geburtstag ohne den Papa war.“

Und Tochter Diana, die es viel schwerer hat, sich in der Fremde einzugewöhnen als ihr Bruder, die ein ausgesprochenes Papa-Kind ist, sie will plötzlich nicht mehr zurück nach Kiew. Sie erkennt offensichtlich die Gefahr und sie spürt vor allem die Unsicherheit der Mama. Aber dann ruft sie heimlich immer wieder „Papa, Papa, Papa!“

Schon zu Weihnachten hatte Viktorija Martsenko mit ihrem Vater in Kiew ausgemacht, dass er im März mit dem Fernbus nach Dresden kommt, seine Tochter ein paar Wochen unterstützt und sie dann alle zusammen kurz vor Ostern mit dem Auto in die Heimat fahren.

Jetzt ist alles wieder offen. Sie muss allein eine schwere Entscheidung treffen. Für die Familie oder für die Sicherheit der Kinder.