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Wie gefährlich kann ein Extremwinter werden?

Klirrende Kälte, Schneemassen und die Erinnerung an den Chaos-Winter 1978: Experten sagen, was sich geändert hat.

Von Anja Beutler & Carla Mattern
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Bizarre Gebilde schaffen Eiskristalle, wenn die Temperaturen so sind, wie in der Nacht von Sonntag auf Montag. Das Foto zeigt den Zaun an der Straße zwischen Niesky und See in Höhe des Friedhofes Ödernitz.
Bizarre Gebilde schaffen Eiskristalle, wenn die Temperaturen so sind, wie in der Nacht von Sonntag auf Montag. Das Foto zeigt den Zaun an der Straße zwischen Niesky und See in Höhe des Friedhofes Ödernitz. © André Schulze

In bayrischen Landkreisen ist der Katastrophenfall ausgerufen, Orte in Österreich sind von der Außenwelt abgeschnitten. Die Nachrichten aus den vergangenen Tagen und vor allem die Fotos und Filme dazu haben Extreme gezeigt. Auch extreme Gefahrpotenziale. Die Menschen in den Alpen erleben derzeit einen außergewöhnlichen Winter. Doch auch hierzulande hat es extreme Winter gegeben: Der Jahreswechsel 1978/79 war so ein Fall, als drei Tage auch in der Oberlausitz der Strom ausfiel und drei Wochen Schneechaos herrschte. Kann so etwas heute wieder passieren? Ein Stromausfall in einer deutlich stärker technisierten Welt? Das sagen verschiedene Experten dazu:

Kraftwerke: Besser gerüstet, aber nicht störungsfrei

Dass die Kohle bei mehr als 20 Grad minus gefriert, kann niemand verhindern. Aber, dass das schwarze Gold in Größenordnungen nicht aus den Waggons geholt und ins Kraftwerk gebracht werden kann, diese Gefahr ist heute geringer, erklärt Thoralf Schirmer von der Leag, die Tagebaue in Reichwalde und Jänschwalde, aber auch in Welzow-Süd und Nochten und Kraftwerke, zum Beispiel in Boxberg und Jänschwalde betreibt. „Die Logistik hat sich verändert, wir transportieren die Kohle weniger in Waggons und wenn, dann sind diese beheizbar“, erklärt Schirmer. Auch eine Auftauhalle für die Kohle gibt es, damit man sie in harten Wintern schnell weiterverarbeiten kann. „Technisch können wir einiges, was vor 40 Jahren so nicht möglich war“, sagt der Leag-Sprecher. Auch die Erfahrungen mit solchen Extremsituationen wie 1978/79 haben Bergleute und Belegschaft sensibilisiert. Einen Kohle-Vorrat für ein oder zwei Tage habe man ohnehin, danach brauchen die Kraftwerke aber rasch Nachschub. Dass es definitiv zu keinem Stromausfall kommen könnte, dass möchte Thoralf Schirmer nicht behaupten. Zwar ist der Energiemix in Deutschland inzwischen ein anderer und erneuerbare Energien decken laut Bund bereits 38 Prozent des Bruttostromverbrauchs. „Aber was ist bei einer Dunkelflaute“, sagt der Leag-Sprecher und warnt vor einem immer stärkeren Zurückfahren der klassischen Kraftwerkskapazitäten.

Stromnetze: Bäume sind gefährlich, Kälte weniger

Stromlieferanten im Landkreis sind sich einig: „Ein Schwarzschalten ganzer Regionen wie vor 40 Jahren ist sehr unwahrscheinlich“, formuliert Matthias Hänsch, Geschäftsführer bei der Stadtwerke Zittau GmbH. Dass es bei großer Kälte und viel Schnee aber punktuell zu Problemen kommen kann, stellen weder die Löbauer und Zittauer Stadtwerke noch die Enso als großer Energieversorger infrage. Gefährdet sind vor allem die Freileitungen: Dass Äste unter der Schneelast oder bei Wind brechen können und Stromleitungen beschädigen, kommt immer wieder vor. Der Anteil von Freileitungen ist bei beiden Stadtwerken allerdings gering. Wenn es bei der Enso zu einem Problem kommt, leite man den Strom so um, damit möglichst wenige Kunden von einem Ausfall betroffen sind, erklärt Sprecherin Claudia Kuba und ergänzt: „Generell sehen wir aus unserer Sicht keine solche Gefahren wie vor 40 Jahren.“ Trafos und Umspannwerke, die zum Stromtransport vonnöten sind, seien vor Minusgraden geschützt und arbeiten auch bei großer Kälte weiter.

Auch die Nieskyer Stadtwerke können bestätigen, dass ein flächendeckender Stromausfall wie vor 40 Jahren so gut wie nicht eintreten kann. Dann müssten die Kraftwerke nicht mehr liefern können, sagt Sabine Michler von der Stadtwerke Niesky GmbH. Nur in diesem Fall könne eine so extreme Situation entstehen. Wenn es so arg schneien würde wie in den Alpen vor Kurzem, wenn der Schnee sehr nass und schwer wäre, dann besteht allerdings immer die Gefahr, dass Bäume umknicken und auf Freileitungen stürzen können, so die Stadtwerke Niesky-Mitarbeiterin. „Aber selbst in diesem Fall könnte zwar straßenweise der Strom ausfallen, nicht aber so flächendeckend.“ Seit Jahren arbeiten Nieskyer Stadtwerke-Mitarbeiter außerdem daran, Freileitungen abzubauen. Im Mittelspannungsnetz der Nieskyer Stadtwerke gibt es gar keine Freileitungen mehr. Im Niederspannungsnetz waren es Ende 2017 etwa 20 Prozent, die noch über Freileitungen versorgt werden, so Sabine Michler.

Rettungswesen: Feuerwehren als Leuchttürme

Notfallplan? Natürlich haben Kreisbrandmeister Björn Mierisch und seine Kollegen einen in der Schublade. „Dabei ist es eigentlich egal, ob die Ursache für einen Stromausfall ein Hochwasser, ein Unwetter oder extremes Winterwetter ist“, erklärt er. Sollte tatsächlich einmal großflächig der Strom ausfallen, dann sollen die Feuerwehrdepots zu Leuchttürmen werden, erklärt Mierisch. Derzeit arbeite man daran, die Gerätehäuser im Landkreis mit Notstrom so zu versorgen, dass im Ernstfall dort eine kleine Einsatzzentrale mit Stromversorgung entstehen kann, wo auch die Mama mit Kleinkind das Baby-Fläschchen wärmen kann und Kontakt zur Außenwelt möglich ist. „Generell steht für uns die Rettung der Menschen an erster Stelle, deshalb kümmern wir uns in einem solchen Fall zunächst darum, ob Krankenhäusern und Altenpflegeheimen geholfen werden muss“, erklärt der Kreisbrandmeister. Wenn zusätzliche Kräfte nötig sind, werde auch der Katastrophenschutz alarmiert. Der Kreis kann zudem im Landratsamt eine eigene Einsatzzentrale einrichten, die Hilfe koordiniert, ohne die zentrale Leitstelle in Hoyerswerda zu stark zu belasten. Wichtig für die Retter ist der Faktor Zeit: „Wir haben heute ganz andere Möglichkeiten, von Wetterentwicklungen zu erfahren, miteinander zu kommunizieren, das verschafft uns Vorsprung“, betont Mierisch. Und Hilfe aus anderen Teilen Deutschlands oder den Nachbarländern würde es im Notfall ebenfalls rascher geben als früher.

Straßenverkehr: Private Firmen helfen

Wie sich extremer Winter für einen Tag anfühlt, weiß Kreis-Amtsleiter Dieter Peschel: 2011 beispielsweise kämpfte der Winterdienst mit extremen Verwehungen auf der B 6. Solche Probleme kann es immer wieder geben. Aber man sei besser gewappnet als vor vier Jahrzehnten, betont Peschel: „Wir haben unsere Technik und Vereinbarungen mit Unternehmen, die ihre schweren Fahrzeuge einsetzen, um die Straßen befahrbar zu machen“, sagt der Amtsleiter. Zusätzliche Ausrüstung wie Schiebeschilder stelle der Kreis für solche Fälle zur Verfügung. Ziel ist dann, dass jeder Ort mindestens eine Zufahrt hat. „Sollten ganze Regionen abgeschnitten sein, können wir das Technische Hilfswerk und die Bundeswehr hinzuziehen - und gegebenenfalls auch aus der Luft Hilfe leisten, skizziert Peschel den schlimmsten Fall.

Dass die schwere Technik ohne Strom nicht einfach an einer Tankstelle Diesel nachfüllen kann, ist bekannt: „Es gibt spezielle Tankstellen, allerdings nicht im Landkreis selbst, die dann mit Notstrom arbeiten und wo wir die Technik betanken könnten“, sagt Peschel.

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Wie war Ihr Winter 1978/79, Herr Peschel?

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