Merken

Wie gut ist unsere Milch, Herr Pintscher?

Amtstierarzt Toby Pintscher über Kontrollergebnisse in Sachsen, entzündete Kuheuter und das Gesundheitsrisiko von Rohmilch. Teil 5 der Serie.

Von Martina Hahn
Teilen
Folgen
© Symbolfoto: Rainer Jensen/dpa

Milch verdirbt schnell. Selbst, wenn sie behandelt und verpackt im Kühlregal liegt, ist sie extrem empfindlich. Wie gut ist unsere Milch? Einer, der die Produktionskette vom Stall bis in den Supermarkt kennt, ist Amtstierarzt Toby Pintscher.

Herr Pintscher, seit 30 Jahren kontrollieren Sie Milch, kennen also auch alle Schmuddeleien. Schmeckt Ihnen Milch überhaupt noch?

Ja, denn Milch ist eines der sichersten und am besten kontrollierten Lebensmittel. Bei Konsummilch - also der erhitzten Milch aus der Molkerei - geht das Risiko für Konsumenten gegen null.

Tatsächlich hat die Lebensmittelüberwachung 2017 nur drei Prozent aller Milchproben beanstandet. Wie ist das möglich - Milch ist doch extrem empfindlich?

Über die Jahrzehnte wurden Technologien entwickelt, um die Gefahren beim Milchverzehr in den Griff zu bekommen.

Welche Gefahren meinen Sie?

Hauptsächlich Bakterien und Viren, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können. Ein Beispiel: Noch Anfang der 50er-Jahre war die Rindertuberkulose weit verbreitet. Viele Kinder haben sich damit infiziert, weil ihre Eltern die Rohmilch nach dem Krieg nicht abgekocht haben, weil der Hunger so groß war oder sie keine Möglichkeit hatten, die Milch zu erhitzen. Heute ist Rindertuberkulose kein Problem mehr. Bei der Tiergesundheit und der Milchhygiene hat sich sehr viel getan.

Schneidet Milch vielleicht auch deswegen so gut ab, weil längst nicht jeder Betrieb kontrolliert wird? 2017 etwa bekamen nur zwei von fünf Milchviehhaltern, drei von fünf Supermärkten und manche Molkerei sogar nur einmal Besuch von einem Tierarzt oder Lebensmittelkontrolleur.

Nein, das ist nicht der Grund. Die Milch erzeugenden und verarbeitenden Betriebe werden von uns ausreichend unter die Lupe genommen, und zwar risikoorientiert. Das bedeutet: Ein Betrieb, bei dem wir einmal Mängel festgestellt haben, wird gezielt und öfter - mitunter monatlich - kontrolliert als ein Betrieb, der nie oder lange nicht mehr auffällig geworden ist. Hinzu kommen die Checks des Landeskontrollverbands sowie die Eigenkontrollen der Milcherzeuger, Molkereien und des Einzelhandels. Molkereien nehmen bei jeder Milchabholung vor Ort die ersten Proben; die Sammelwagen sind mit Technik und Schnelltests ausgestattet. Auch der Einzelhändler prüft täglich seine Milchprodukte im Kühlregal und achtet darauf, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht überschritten wird oder die Tüte nicht leckt. Wer nicht sauber liefert, ist schnell weg vom Markt. Das wissen alle Beteiligten.

Thema Mängel: Viele Hochleistungskühe leiden an entzündeten Eutern. Ist es ungesund, deren Milch zu trinken?

Ja. Deswegen dürfen die Halter die Milch euterkranker Kühe nicht als Lebensmittel verkaufen. Vor jedem Melken werden Euter und die Milch kontrolliert, und wenn nötig mittels eines Schnelltests untersucht.

Wie lange gilt der Verkaufsstopp?

Das hängt von der Stärke der Entzündung und dem Medikament ab. Bei Antibiotika kann die Sperrzeit mal eine, mal drei Wochen betragen, je nach Vorgabe des Arzneimittelherstellers. Daher versuchen die meisten Milchbauern, alternative Mittel einzusetzen. In der Sperrzeit verdienen sie ja kein Geld mit der Milch.

Bleiben wir bei der kranken Kuh: Sie schicken die Milchprobe an die Landesuntersuchungsanstalt, doch bis das Ergebnis vorliegt, vergehen Tage. Da habe ich als Käufer die Milch längst getrunken. Kontrollieren Sie zu spät?

Nein. Denn selbst, wenn in der Milch zu viele Keime waren, ist das für Sie unbedenklich. Die Molkerei hat die Milch inzwischen ja behandelt und erhitzt, die Keime also abgetötet. Auch verdorbene Milch aus dem Supermarkt würden Sie wegschütten, ohne davon zu trinken. Sie riechen und schmecken das ja.

Gilt Ihre Null-Risiko-Aussage auch für Milchtankstellen, aus denen ich selbst Rohmilch abzapfen kann?

Nein. Frischmilch ab Hof boomt, weil Konsumenten die Frische suchen und die Betriebe in Zeiten niedriger Milchpreise ihre Milch so zu einem besseren Preis verkaufen können. Das ist soweit okay. Das Problem ist, dass bei unbehandelter Rohmilch ab Hof die Verantwortung für die Risikominimierung an den Konsumenten abgegeben wird. Und viele meinen nun mal, Rohmilch schmecke ohne Erhitzen besser.

Was sicherlich stimmt.

Das mag sein. Abgekochte Milch hat einen Kochgeschmack. Aber das muss man mit den Risiken abwägen. Für die ganz Kleinen, die ganz Alten, für Menschen mit geschwächtem Immunsystem und Schwangere ist der Verzehr von Rohmilch schlichtweg gefährlich. In der Milch können Erreger wie Salmonellen, E. coli und Listerien enthalten sein. Deswegen mein Appell: vor Verzehr abkochen! Darminfektionen, die von Keimen und Bakterien in der Rohmilch verursacht werden, sind mitunter sehr schmerzhaft. Wer einmal blutigen Durchfall hatte, vergisst das nicht mehr!

Sind Sie schon mal vom Hof geflogen?

Nein. In der Regel arbeiten Kontrolleure und Kontrollierte gut zusammen. Wir sind den Landwirten gegenüber ja transparent und beraten Betriebe und Molkereien auch, wie sie aufgetretene Mängel beheben oder die Hygiene auf dem Hof verbessern können. Natürlich gibt es immer einzelne Milcherzeuger, die das Thema Lebensmittelsicherheit anders sehen. Hinzu kommt, dass unsere Forderungen, nachzubessern, mitunter Geld kosten, weil der Betrieb hierfür in Maschinen oder Personal investieren muss. Und es freut sich auch nicht jeder, zu hören, dass er nicht geeignet ist, Rohmilch im Automaten zu verkaufen.

Sehen Sie nach 30 Jahren Erfahrung auf den ersten Blick, ob einer schmuddelt?

Der erste Eindruck trügt oft nicht. Man weiß schnell, in welche Richtung es geht.

Haben Sie auch schon einmal einen Betrieb dichtgemacht?

Ja, zweimal in den zurückliegenden Jahren. Gegen den Willen der beiden Landwirte. Wir haben ihnen die Milchkühe dennoch weggenommen. Es war unsäglich, wie sie die Tiere vernachlässigt und damit massiv gegen den Tierschutz verstoßen haben.

Stichwort Tierschutz: In Sachsen geben Kühe heute doppelt so viel Milch wie kurz nach der Wende. Dadurch leiden sie öfter an Infektionen, sagt die Verbraucherorganisation Foodwatch. Macht die Intensivhaltung die Tiere krank?

Fakt ist: Es gibt viele Probleme mit der Tiergesundheit. Früher waren die Rinder robuster. Mit 800 Kilogramm sind sie heute fast doppelt so schwer wie vor 100 Jahren. Doch wegen der extrem niedrigen Milchpreise können nur noch Landwirte von der Milcherzeugung leben, die Hochleistungstiere halten. Aber Milchkühe, die mehr als 10 000 Liter Milch im Jahr liefern, haben einen Energiestoffwechsel am Limit. Sie fressen Futter, das sie nur schwer verdauen können. Das alles macht sie anfällig für Krankheiten. Inzwischen sind Hochleistungsrassen auf dem Markt, die nicht jeder Landwirt mehr beherrschen kann. Es ist ein bisschen wie auf der Straße: Einen Porsche kann auch nicht jeder fahren.

Toby Pintscher ist Amtstierarzt sowie Leiter des Lebensmittelüberwachungs- und Veterinäramtes im Landkreis Zwickau.