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Wie hoch ist das Risiko bei Implantaten?

Nachfolgebehandlungen können für Patienten teuer werden. Nicht immer sind sie an Entzündungen selbst schuld.

Von Katrin Saft
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Zahntechniker Michael Menzel aus Görlitz erklärt sein patentiertes individuelles Implantatsystem. Rot der künftige prothetische Zahn, der am Computer dreidimensional geplant wird. Die gelbe Achse zeigt genau, in welcher Position später das Implantat mitte
Zahntechniker Michael Menzel aus Görlitz erklärt sein patentiertes individuelles Implantatsystem. Rot der künftige prothetische Zahn, der am Computer dreidimensional geplant wird. Die gelbe Achse zeigt genau, in welcher Position später das Implantat mitte © Ronald Bonß

Meist haben sie Tausende Euro für eine oder mehrere künstliche Zahnwurzeln ausgegeben. Denn gesetzliche Krankenkassen zahlen nur einen Bruchteil für den Aufbau. Doch was ist, wenn es hinterher Komplikationen gibt, die bis zum Implantat-Verlust führen können? Und die zu all dem Behandlungsschmerz auch noch privat zu finanzieren sind.

Wie hoch das Risiko ist, dazu gibt es mehrere Studien. Doch sie kommen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Professor Dirk Ziebolz, der an der Uni Leipzig zum Zahnerhalt forscht, sprach Anfang November in einem Artikel in der SZ von 80 Prozent aller Patienten, bei denen sich im Laufe der Jahre die Implantatregion entzündet. Bei 20 bis 30 Prozent sei nach vier bis fünf Jahren auch der Knochen betroffen. „Unsere Patienten sind durch solche Zahlen verunsichert“, sagt Dr. Michael Fröhlich, der in seiner Gemeinschaftspraxis in Dresden jedes Jahr Hunderte Implantate setzt. Er verweist auf eine Studie von Implantologe Dr. Wolfram Knöfler aus Leipzig, für die 20 Jahre lang über 10 000 Implantate untersucht wurden. „In mehr als 90 Prozent der Fälle war die Implantation erfolgreich“, sagt Fröhlich. „Das heißt, das Implantat war immer noch fest im Knochen verankert.“ Eine schwedische Studie komme sogar auf nur zwei Prozent Implantatverlust nach zehn Jahren.

Immer Keime in der Mundhöhle

Das Risiko eindeutig zu beziffern sei nur schwer möglich, sagt Professor Andrea Mombelli von der Zahnmedizinischen Klinik der Uni Genf. Denn die Studien würden von unterschiedlichen Bedingungen ausgehen: verschiedene gesundheitliche Voraussetzungen der Patienten, verschiedene Behandlungsmethoden und Nachsorgekonzepte. Ja nicht einmal bei der Definition der Komplikationen sei man sich einig.

Mehrere deutsche Fachgesellschaften haben deshalb 2016 versucht, in Leitlinien den bisherigen Stand der Wissenschaft zusammenzufassen. Danach wird in Früh- und Spätkomplikationen unterschieden. „Bei etwa zwei Prozent kommt es bereits in der Phase der Implantateinheilung zu Störungen“, sagt Implantologe Fröhlich. „Denn selbst bei steriler OP ist die Mundhöhle nie keimfrei.“ Aber auch mangelnde Erfahrung es Operateurs könne zu frühem Implantatverlust führen.

Ist die Operation gelungen, besteht ein Risiko, dass irgendwann die Schraube oder das Implantat selbst bricht. Es lässt sich dann oft nur chirurgisch wieder entfernen. Viel häufiger und noch nicht ausreichend wissenschaftlich erforscht sind allerdings Entzündungsreaktionen. „Sie werden vor allem durch Mikroorganismen ausgelöst“, sagt Fröhlich, „wobei vermehrt Problem- und multiresistente Keime beteiligt sind.“ Die Zahnärzte unterscheiden in die sogenannte Mukositis, bei der sich das Weichgewebe um das Implantat herum entzündet. Das Zahnfleisch ist gerötet und geschwollen und blutet meist, wenn man es berührt.

Die Mukositis wiederum kann sich zu einer Periimplantitis entwickeln, bei der auch das Knochengewebe erfasst wird. Es entstehen tiefe Zahnfleisch-Knochentaschen, Blut oder Eiter treten aus, der Knochen baut sich ab, so dass das Implantat letztlich locker werden kann. Das Tückische daran: Patienten verspüren meist keinen Schmerz. Und die Übergänge von der Mukositis zur schwerwiegenden Periimplantitis sind fließend. „Viele werden nicht mal stutzig, wenn es beim Zähneputzen blutet, da das ja auch beim Zahnfleisch natürlicher Zähne vorkommen kann“, sagt Implantologe Fröhlich.

Als sicher gilt, dass schlechte Mundhygiene die Entzündungen begünstigt. Und auch Rauchen, eine Parodontitis an natürlichen Zähnen sowie bestimmte Erkrankungen wie Diabetes erhöhen das Risiko. Worüber Zahnärzte allerdings selten offen reden: Nicht immer muss es am Patienten liegen. Auch fehlpositionierte Implantate, nicht präzise gefertigte Aufbauten mit feinen Spalten oder Zementreste können laut Leitlinie die Infektionen befördern.

Zwar gehört vor jeder Implantation ein Aufklärungsgespräch dazu. Doch der Laie kann oft nur vertrauen. Denn der Markt der implantierenden Ärzte, der Implantat-Hersteller, der Methoden und Materialien sind für ihn kaum durchschaubar. Die meisten Implantate bestehen heute aus Titan. Doch einige Zahnärzte schwören inzwischen auf Zirkonoxid, was andere wiederum als bruchanfällig ablehnen.

Auch die Technik hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Die Implantologie wird digital. Die ersten Zahnärzte in Sachsen vertrauen nicht mehr nur einem 2D-Röntgenbild, sondern diagnostizieren und planen bereits dreidimensional. „Mittels digitaler Volumentomographie nehmen wir den Kiefer auf, scannen das Gebiss, legen am Computer die genaue Position des Implantats fest und kreieren anhand der vorhandenen Zähne einen passenden Aufbau“, sagt Zahnarzt Dr. Conrad Kühnöl aus Dresden. „Das dauert nicht länger als 15 Minuten.“ Für die OP brauche er keinen Skalpell mehr, sondern nur noch den Einmalbohrer. Eine zuvor im Labor maßgefertigte Schiene sichere, dass der Bohrer exakt die richtige Stelle treffe und nicht zu tief komme.

Patentlösung aus Görlitz

Zahntechniker Michael Menzel aus Görlitz hat sich eine Idee patentieren lassen, die das Risiko nach der Implantation minimieren soll. Das von ihm entwickelte Implantat namens Indi wird individuell für jeden Patienten angefertigt. „Damit lässt sich eine größtmögliche Knochenkontaktfläche und Stabilität erreichen“, sagt er. Knochenersatzmaterial sei überflüssig. Das Implantat besteht aus nur einem statt der sonst üblichen zwei Bauteile. „Insofern gibt es keinen Spalt und keine Gefahr, dass sich dort Entzündungen bilden“, sagt er. Jetzt sucht er Zahnärzte, die mit dem System arbeiten wollen.

Implantologe Fröhlich empfiehlt seinen Patienten, durch eine peinlich genaue Zahnreinigung Entzündungen vorzubeugen – am besten nach jedem Essen. Auch durch eine regelmäßige Professionelle Zahnreinigung würde der Bakterienspiegel minimiert. Laut Leitlinie kann sie auch bei bestehender Mukositis helfen.

Wesentlich schwerer zu behandeln ist die Infektion, wenn sie schon den Knochen erfasst hat. Denn die Bakterien, die sich dann an der rauen Oberfläche des Implantats ansammeln, sind von außen kaum erreichbar. Wirkt ein lokales Antibiotikum nicht, muss meist aufgeschnitten und gereinigt werden. Dabei gibt es mechanische und chemische Methoden. Doch welche erfolgversprechender ist, lässt sich laut Leitlinie derzeit noch nicht sagen. Professor Andrea Mombelli aus Genf kommt nach Auswertung von 23 Studien zu dem Schluss, dass nach fünf bis zehn Jahren etwa zehn Prozent der Implantate von einer Periimplantitis betroffen sind. Das bedeute aber nicht in jedem Fall den Implantatverlust.

Zahnarzt Kühnöl rät Patienten, sich von all den Statistiken nicht verrückt machen zu lassen. „Die Frage ist doch die der Alternativen“, sagt er. „Für eine Brücke müssen Nachbarzähne beschliffen werden. Das ist mit einem hohen Risiko verbunden, dass diese zuvor gesunden Zähne absterben.“ Herausnehmbarer Zahnersatz wiederum führe zum vorzeitigen Verlust der endständigen Zähne. Kühnöl: „Am besten ist es deshalb, beim Implantat auf die ersten Anzeichen einer Entzündung zu achten und die Zahnprophylaxe sehr ernst zu nehmen.“