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Wie in einer Ersatzfamilie

In die KoCo kommen Menschen mit psychischen Problemen und die Sozialarbeiterin leistet mehr als Ärzte und Psychologen.

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© Arvid Müller

Von Peggy Zill

Coswig. Mit über 50 kam bei Martina Kotter plötzlich alles wieder hoch. So lange hatte sie das traumatische Erlebnis in ihrer Kindheit verdrängt, einfach funktioniert, wie sie sagt. Doch plötzlich funktionierte gar nichts mehr. Die Coswigerin konnte weder einkaufen, noch kochen, entwickelte eine Essstörung. Die Arbeit in der Druckerei musste sie aufgeben. Bei einem Aufenthalt in der Tagesklinik findet die heute 59-Jährige eine Freundin, die ihr die KoCo, die psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle, empfiehlt. Und die sie an die Hand und mitnimmt. Das war vor fast neun Jahren und Martina Kotter kommt noch immer fast jeden Tag. „Sie ermöglicht mir wieder einen Alltag.“

Damit meint sie die Sozialarbeiterin Angelika Linnepe, die die Beratungsstelle seit elf Jahren leitet. „Sie fährt mit mir mal Straßenbahn oder geht mit mir einkaufen“, so Kotter. Kleine Dinge, die sie erst wieder lernen musste. „Wie ein Blinder, der sehen lernt“, vergleicht sie es. In der Beratungsstelle gibt es viele Menschen, denen es ähnlich geht. „Es kommen vor allem Leute mit Depressionen“, sagt die Sozialarbeiterin. Das sind Senioren, aber auch junge Leute. Die meisten sind Stammgäste, kommen jeden Tag.

Im Treffpunkt im blauen Haus der WBV an der Radebeuler Straße wird zusammen gekocht und gegessen, gespielt und geredet. Mittwochs sitzen bis zu 22 Leute am Tisch. Der Bedarf ist groß. Es könnten laut Angelika Linnepe noch viel mehr Leute kommen. „Aber viele bleiben lieber Zuhause, trauen sich nicht.“ Dabei ist so ein Besuch in der KoCo ganz unverbindlich, das Angebot kostenlos.

Angelika Linnepe hört zu, hilft beim Ausfüllen der Formulare und vermittelt weiterführende Hilfsangebote. „Die Ärzte machen die Theorie, hier ist die Praxis“, sagt Martina Kotter. Psychologen hätten gar nicht so viel Zeit. Ärzte oder der sozialpsychiatrische Dienst des Gesundheitsamtes vermitteln die Klienten in die KoCo. „Alleine Zuhause hätte ich das alles nicht geschafft“, ist die Coswigerin überzeugt. „Hier hat man immer einen Ansprechpartner, wenn der Schuh drückt. Frau Linnepe nimmt sich viel Zeit und schaut, wie sie helfen kann.“

Die gelernte Krankenschwester hat bis zur Wende in der Mütter- und Schwangerenberatung gearbeitet. Danach ließ sie sich zur Sozialarbeiterin ausbilden, war kurz im Pflegeheim angestellt, bis sie in der Beratungsstelle in Radebeul angefangen hat. Unterdessen ist der Psychosoziale Trägerverein Sachsen der Träger, die Kosten übernimmt der Landkreis.

Früher ist Angelika Linnepe mit ihren Klienten sogar einmal im Jahr in den Urlaub gefahren. An die Ostsee oder in den Spreewald. Das ist nun leider nicht mehr möglich. „Aber wir machen noch zwei Ausflüge im Jahr.“ Wenn man so viel Zeit miteinander verbringt, werden die Themen auch mal privater. Man fühle sich wie in einer Ersatzfamilie, sagt Martina Kotter. Dazu gehört auch, dass Angelika Linnepe ehrlich sagt, wenn sie mal genervt ist. Die Klienten schätzen sie deshalb sehr – und weil sie weit über die Öffnungszeiten hinaus ein offenes Ohr hat. Auch für Anrufe ohne Grund. „Manche erzählen dann einfach nur einen Witz oder weisen mich daraufhin, dass ich in einer halben Stunde Feierabend habe“, sagt die 62-Jährige.

www.ptv-sachsen.de