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Wie regional ist unsere Milch?

Kunden können nur schwer erkennen, ob die Milch wirklich aus Sachsen stammt. Das hat mehrere Gründe.

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Birgit Brendel von der Verbraucherzentrale Sachsen prüft, woher die Milch im Konsum Dresden stammt.
Birgit Brendel von der Verbraucherzentrale Sachsen prüft, woher die Milch im Konsum Dresden stammt. © Matthias Rietschel

Von Martina Hahn

Wo gibt es Milch aus der Region? Das wollte die Verbraucherzentrale Sachsen vorige Woche in einem Markt-Check in Dresden, Chemnitz, Hoyerswerda und Leipzig herausfinden. Die Tester haben 16 Filialen von Rewe, Edeka, Konsum Dresden, Netto, Lidl und Penny besucht, Etiketten geprüft und Herkunft-Codes gecheckt.

"Wir haben die Läden mit zwei Erkenntnissen wieder verlassen", sagt Ernährungsexpertin Birgit Brendel: "Die erste: Wer lokale Milch kaufen möchte, muss ganz schön suchen." Zwar hatten alle Geschäfte mindestens eine Milch im Sortiment, die laut ovalem Identitätszeichen in Sachsen abgefüllt wurde. Doch zweitens: "Wo die Milchkuh im Stall oder auf der Weide stand, erfährt der Konsument meist nicht." Vier Gründe, warum das so ist:

Problem 1: Globaler Milchmarkt

Milch aus der Region gibt es nicht mehr nur im Hofladen oder auf dem Biomarkt. Auch die konventionellen Supermarktketten und Discounter wissen, dass Lebensmittel aus der Heimat gut ankommen und teurer bezahlt werden - und nehmen in der Regel mindestens ein Produkt ins Sortiment auf. Doch Fakt ist auch: In den Tanks einer konventionellen Molkerei - und damit auch in der Milchtüte - landet Milch aus unterschiedlichen Quellen. Entsprechend schwierig ist es, den Herkunftsort der Milch auf der Verpackung zu nennen.

Nach Schätzungen der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) werden bis zu zehn Prozent der in Deutschlands Molkereien verarbeiteten Milch aus dem Ausland importiert. Auf dieser Länderliste "finden sich im Grunde alle unsere Nachbarstaaten", sagt Björn Börgermann vom Milchindustrie-Verband (MIV). Umgekehrt werde rund die Hälfte der in Deutschland erzeugten Milch exportiert, vor allem ins EU-Ausland, aber auch nach China, Südamerika, Libyen, Belgien oder Italien. Sachsens Milchbauern liefern die Milch auch an Betriebe in Bayern, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Umgekehrt verarbeiten Molkereien im Freistaat - das sind Sachsenmilch Leppersdorf, Vogtlandmilch Plauen, Molkerei Hainichen-Freiberg, die Molkerei Niesky/Olbenhau, Heinrichstaler Milchwerke (mit Falkenhain) und Kohrener Land-Molkerei Penig - auch Milch aus Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Tschechien und Polen. Beispiel Sachsenmilch: Die in Leppersdorf verarbeitete Rohmilch stammt zu je 40 Prozent aus Sachsen und den restlichen neuen Bundesländern samt Niedersachsen sowie zu knapp 20 Prozent aus dem benachbarten Ausland. Bundesweit gängig ist bei Molkereien ein Einzugsgebiet von bis zu 300 Kilometern, schätzt Hans Foldenauer, Sprecher des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM). Doch letztlich "ist dem Milchfluss keine Grenze gesetzt."

Problem 2: Vager Heimatbegriff

Der Begriff "Region" ist in Deutschland nicht geschützt. Kein Gesetz legt fest, wie weit der Weg von der Produktionsstätte "regionaler" Lebensmittel bis in den Supermarkt sein darf. Lebensmittelhersteller und Händler können somit Heimat bewerben, wie sie wollen. Hinzu kommt: Jeder Anbieter definiert "aus der Region" unterschiedlich und oft sehr vage, ergab eine Händlerumfrage der SZ. Aldi etwa erklärte lediglich, man achte darauf, "die Transportwege möglichst effizient und damit auch kurz zu halten."

Die meisten Discounter setzen "regional" mit "aus Deutschland" gleich; andere verstehen Ostdeutschland darunter oder, wie Edeka, das Bundesland. Die Verbrauchergemeinschaft Dresden hingegen betrachtet 150 Kilometer als regionales Einzugsgebiet. Rein geografisch liegt ein Milchbauer aus Tschechien oder Polen einer sächsischen Molkerei auch näher als ein Landwirt in Schleswig-Holstein.

Andere Unternehmen wiederum definieren Regionalität über die Wertschöpfung vor Ort. Lidl etwa versteht unter regionalen Produkten "regionale Spezialitäten, unabhängig von der Herkunft der Zutaten und dem Verkaufsort." Solange diese Unterschiede bestehen, "können sich Kunden nicht darauf verlassen, dass regionale Produkte tatsächlich aus der direkten Umgebung kommen", kritisiert Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg.

"Lebensmittel, die mit Region werben, sollten transparent und nachvollziehbar gekennzeichnet werden", sagt ihre Kollegin Brendel. Auf der Verpackung müsse stehen, welchen Teil der Produktion und welchen Rohstoff die regionale Auslobung betrifft - kontrolliert von unabhängigen Dritten. "Nur dann hören die Irreführungen auf, und nur dann können Verbraucher eine bewusste Kaufentscheidung treffen."

Problem 3: Vages Herkunftszeichen

Auf jeder Milch finden Konsumenten das ovale Identitätskennzeichen. Es nennt neben der Abkürzung des EU-Mitgliedstaates (etwa DE für Deutschland) das Bundesland (SN für Sachsen, BY für Bayern - siehe Foto) sowie eine Nummer. Diese Zulassungsnummer dient eher der Rückverfolgung für die Lebensmittelkontrolle als der Verbraucheraufklärung. Sie weist auf die Molkerei hin, in der das Produkt zuletzt verarbeitet und verpackt wurde. Ermittelt werden kann dieser Betrieb über eine Datenbank des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (www.bvl.bund.de/bltu).

Das hilft Kunden aber "kein bisschen weiter", kritisiert Birgit Brendel. Woher die Milch stammt - also wo die Kuh im Stall oder auf der Weide stand und wo sie gemolken wurde -, erfährt er nicht. "Auch wenn ein DE oder SN auf der Tüte steht, kann ich nicht ausschließen, dass die Milch von weit her kommt." Ebenso wenig aussagekräftig sei die abgedruckte Adresse der Molkerei. "Die Milch kann auch an anderen Standorten des Unternehmens abgefüllt worden sein", so Brendel. Mehr noch: "Steht keine explizite regionale Auslobungen auf der Milch, mit der sich Erzeuger ja von der Konkurrenz abheben könnten, gehe ich sogar davon aus, dass die Milch, aus unterschiedlichen Regionen kommt."

Problem 4: Irreführende Namen

Auch Markennamen täuschen mitunter über die Herkunft hinweg. "In einer Tüte von Sachsenmilch kann auch Milch stecken, die quer durch Deutschland oder von noch weiter her angekarrt wurde." Das belegt der Markt-Check. Auf etlichen Tüten der Marke Sachsenmilch war zwar die Adresse der Molkerei in Leppersdorf abgedruckt. Doch abgefüllt wurde die Milch laut ovalem Identitätszeichen "DE-BY" in Bayern - und zwar "mit Milch aus Deutschland und Österreich", wie kleingedruckt auf der Tüte steht. "Das ist zwar transparent und erfüllt die unseres Erachtens zu laschen gesetzlichen Vorgaben", sagt Brendel. Doch die Verbrauchererwartung sei eine andere.