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Wie viel Supermarkt braucht Kamenz?

Der Stadtrat hat die Planung unterhalb der Lessingschule abgesegnet. Eine Invest-Entscheidung war das nicht. Noch nicht.

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© Matthias Schumann

Von Frank Oehl

Kamenz. Etwas Presse-Schelte kann nicht schaden. Zurzeit schon gar nicht. Und so wurde auch im Ratssaal am Mittwochabend in Richtung Journalistenplätze geschimpft. Weil die SZ aus einer Facebook- und Lesertelefondebatte zitiert hatte. Unter der Überschrift „Aufschrei nach Supermarktplänen“. Der Anlass war eine nachrichtliche Einladung zu einer Stadtratssitzung gewesen, wo es auch um die Stadterneuerung gehen sollte. Immerhin schon in Form eines Bebauungsplanes für die platt gemachte Kleingartenanlage „An der Lessingschule“, die vom Volksmund einst den Ehrentitel Grüne Lunge der Stadt übergestülpt bekam. Dass es sich schon damals um eine wichtige Stadtentwicklungsfläche gehandelt hat, steht heute auf einem ganz anderen Blatt. Zum Beispiel auf den Seiten eines Abwägungsberichtes in Sachen „Revitalisierung des Gründerzeitquartiers“ an Ost-, Hoyerswerdaer und Henselstraße. Die SZ fasst die auch im Stadtrat deutlich gewordene Gesamtproblematik zusammen:

Was ist Gegenstand des B-Planes „Revitalisierung Gründerzeitquartier“?

Mit dem Abriss der Gartenanlage stehen mehr als vier Hektar stadteigener Fläche parat. Geplant sind zwei unterschiedliche Bauflächen. Im oberen Bereich im Westen geht es um den  Ausbau des Schulstandortes Henselstraße. Das Planungsrecht für das „Sondergebiet Bildung“ schafft Platz für die Erweiterung der Lessingschule, damit hier mal das komplette Gotthold-Ephraim-Lessing-Gymnasium einziehen kann. Außerdem soll der Bau einer Zwei- bzw. Dreifeldsporthalle möglich sein. Über die Haberkornstraße, die bis auf die Hoyerswerdaer verlängert wird, sind Parkplätze anzufahren, die insbesondere dem „Sondergebiet Handel“ im Nordosten der B-Plan-Fläche zugutekommen sollen.

Was wird dem „Sondergebiet Handel“ an dieser Stelle zugeordnet?

Das „Sondergebiet Handel“ unterscheidet sich von bisherigen Vorstellungen, die an dieser Stelle noch vor zwei Jahren eine Mischbebauung u.a. mit Wohnungen vorsah. Das Baufeld hat eine Gesamtgröße von etwas mehr als einem Hektar. 3000 Quadratmeter davon sind als „maximale Verkaufsfläche“ ausgewiesen. Ein Vollsortiment-Supermarkt kann 2500 Quadratmeter Fläche haben, dazu kämen noch 500 Quadratmeter ergänzender „kleinflächiger Einzelhandel“. Im Gespräch sind zum Beispiel ein Bäcker mit Café-Betrieb.

Wie begründet das Rathaus einen neuen Supermarkt an dieser Stelle?

OB Roland Dantz hat auch in der Stadtratssitzung vehement für das „Sondergebiet Handel“ geworben. Dagegen könne nur sein, wer glaubt, dass die Stadt immer weiter schrumpfen werde. Schon, wer den Status quo in Sachen Demografie zugrunde lege, müsse eigentlich für den Supermarkt an dieser Stelle sein, gerade weil er das Gebiet an der Hoyerswerdaer Straße aufwerte. Ganz zu schweigen von den Entwicklungsmöglichkeiten, die sich z.B. aus der Investitionsentscheidung von Daimler am Batteriestandort ergeben. Man dürfe sich nicht an Bischofswerda orientieren, sagte Dantz sinngemäß, sondern an der Kreisstadt. „Ich schaue neidvoll auf Bautzen.“

Ist der Supermarkt an dieser Stelle mit dem Einzelhandelskonzept vereinbar?

Da streiten sich die Geister, insbesondere was die Innenstadtentwicklung berührt. Dantz sieht keine Probleme, schon „weil man die Innenstadt nicht auf 16 Hektar historische Altstadt reduzieren“ dürfe. Stadtrat Wolfgang Schubert (Linke) hielt entgegen, „dass ja gerade diese 16 Hektar uns die größten Kopfzerbrechen machen“. Synergieeffekte für die Kernstadt seien kaum zu erwarten, was auch das misslungene Beispiel Aldi zeige. „Der Bereich dort liegt ja sogar noch näher an der Innenstadt.“ Das Einzelhandelskonzept der Stadt von 2013 hatte die Schräglage bei den Handelsflächen zwischen der Altstadt und den Märkten auf der grünen Wiese auf den Punkt gebracht. Eine Verbesserung würde jetzt erreicht werden, wenn es eine Verlagerung von Verkaufsfläche von Außen nach Innen und keine reine Neuansiedlung gäbe. Sowohl die Landesplaner als auch die IHK gehen in ihren kritischen Stellungnahmen aber von Letzterem aus. Und das Kreisentwicklungsamt verweist auf die Einzelhandelsfläche pro Kopf, die bereits jetzt mit 2,76 Quadratmetern sehr hoch sei.

Was ist mit den im Handelskonzept genannten Alternativstandorten?

Für den Supermarkt mit Vollsortiment unterhalb der Lessingschule hat das Rathaus ein Gutachten erstellen lassen. Die Leipziger Cima Beratungs- und Management GmbH hatte keine Mühe gehabt, die möglichen Alternativflächen für innenstadtnahen Handel auszuschließen. Das Quartier II hinterm Rathaus wird derzeit zum Teil mit einem Ärztehaus belebt, und sowohl das Parkdeck-Areal als auch der Platz am Bönisch-Kreisel sind zu klein für großflächigen Handel. Die Cima konzentriert sich also auf die Auswirkungen eines Supermarkt-Neubaus im Gründerzeitquartier.

Zu welchen Ergebnissen kommt der Gutachter zum Supermarkt-Neubau?

Die Cima schätzt das „Sondergebiet Handel“ unterhalb der Lessingschule auftragsgemäß als „städtebaulich verträglich“ ein. Die sechs Lebensmittel-Versorger in der Kerninnenstadt (darunter Teekontor und russische Spezialitäten) müssten im schlimmsten Fall zwei bis drei Prozent Umsatzeinbuße in Kauf nehmen. Eine Auswirkung im Nonfood-Bereich (Spielwaren, Textilien) wurde nicht berechnet. Etwa sieben Millionen Euro Jahresumsatz im Gründerzeitquartier gingen allein zulasten der bisherigen Anbieter auf der grünen Wiese (zweimal Kaufland als SB-Warenhäuser, einmal Edeka als Supermarkt und die fünf Discounter von Netto, Lidl, Norma und Aldi). Der damit verbundene Verdrängungswettbewerb wird im Grunde befürwortet.

Wie war die Resonanz zum Neubau eines Supermarktes im Stadtrat?

Eher verhalten kritisch als euphorisch zustimmend. Der B-Plan wurde vor allem deshalb mit großer Mehrheit abgesegnet, weil das Sondergebiet Bildung daran hängt, bei dem sich alle einig sind. Die zumeist kritischen Bürgerresonanzen zum Supermarkt werden ernst genommen. Auch der OB bekräftigte, nichts gegen eine „Bürgerversammlung“ zum Thema zu haben, die – so Dantz sinngemäß – freilich nicht auf „Facebook“ stattfinden könne. Er bekräftigte, dass allein der Stadtrat entscheiden werde, was gebaut wird. Zunächst würde der Supermarkt ausgeschrieben. Außerdem sei ein B-Plan auch nicht in Stein gemeißelt.