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Verkeimte Wurst auch auf sächsischen Tellern

Über den Großhandel bezogen fast 40 Betriebe im Freistaat die verunreinigten Produkte. Alle Landkreise sind betroffen.

Von Daniel Krüger
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Die Einfahrt zum Werksgelände der Firma Wilke im hessischen Twistetal. Das Unternehmen wurde vergangene Woche geschlossen und hat Insolvenz angemeldet.
Die Einfahrt zum Werksgelände der Firma Wilke im hessischen Twistetal. Das Unternehmen wurde vergangene Woche geschlossen und hat Insolvenz angemeldet. © dpa/Uwe Zucchi

Sachsen. Auch in Sachsen haben viele Verbraucher mit hoher Wahrscheinlichkeitmit Listerien verunreinigte Lebensmittel zu sich genommen. In allen Regionen des Freistaats haben 39 Großhändler, sowie zahlreiche Caterer und Restaurants Erzeugnisse des hessischen Fleischgroßhändlers Wilke verarbeitet oder verkauft. 

Das gab das sächsische Verbraucherministerium auf SZ-Anfrage bekannt. Demnach hätten Lebensmittelkontrolleure der Veterinärämter flächendeckend Rückrufkontrollen durchführen müssen.

Alleine im Landkreis Meißen bezogen im hohen zweistelligen Bereich Betriebe Wurst und andere Waren von Wilke. Das sagte Ulrich Müller, Sachgebietsleiter des örtlichen Veterinäramts gegenüber der SZ.

 „Von Restaurants über Bäcker bis zum Zwischenhändler ist alles dabei“, so Müller. Die Behörde gerate wegen der hohen Fallzahlen an ihre Grenzen. „Wir müssen gezielte Stichproben machen“, sagte er. 

Auch in Dresden kommt die Lebensmittelüberwachung mit den Kontrollen kaum hinterher. Laut Verwaltung hatten sämtliche Großmärkte im Stadtgebiet Wilke-Waren im Sortiment, als der Hersteller am Mittwoch vergangene Woche den Rückruf seiner Produkte startete.

Der Geschäftsführer eines Großmarktes im Dresdner Norden erklärte gegenüber der SZ, man habe bis zu fünf Wilke-Artikel im Sortiment geführt. Mittlerweile seien aber alle Bestände vernichtet und die Kunden informiert worden.

Besonders häufig scheint die Salami des Herstellers in Imbissen und Restaurants gelandet zu sein. Der Grund: Wilke war Hauptlieferant für die Pizza- und Peperonisalami-Scheiben der Eigenmarken ARO und Metro-Chef des Großhändlers Metro Cash & Carry.

Wie viele Kunden Metro in Sachsen hat, werde laut Pressesprecherin Jeannette Hütten statistisch zwar nicht erfasst. Bei etwa vier Millionen Einkäufern pro Jahr bundesweit, darunter zum größten Teil Gastronomieprofis, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Pizza mit Wilke-Salami etwa auf Schul- oder Kantinentellern gelandet ist, jedoch ziemlich hoch. 

Entwarnung gab es von Dr. Oetker: Entgegen von Gerüchten bezieht das Unternehmen seit 2014 keine Wilke-Salami mehr als Belag für seine Tiefkühlpizzen.

Die sächsischen Ikea-Filialen haben Kunden und Mitarbeitern hingegen bis Mitte letzter Woche Aufschnitt des Fleischfabrikanten zum Frühstück angeboten.

Laut Konzern-Pressesprecherin Kim Steuerwald kaufte das Unternehmen die Wurst über den Zwischenhändler Service-Bund GmbH ein, der auch im Altkreis Döbeln und in Nordsachsen zwei Standorte betreibt. Mittlerweile sei man auf andere Produkte des Service-Bunds umgestiegen, so Steuerwald.

In Dresden sind neben den Großhändlern auch Restaurants, Imbisse, Kantinen und Caterer betroffen. Namen gab die Stadtverwaltung nicht bekannt. Momentan bemühe man sich, an die Lieferlisten der Großhändler zu gelangen, um zu überprüfen, ob auch Altenheime und Kitas direkt oder indirekt von Wilke beliefert wurden, hieß es.

Generell ist der Fall für die Behörden in allen Bundesländern schwierig. Denn Wilke produzierte auch für Eigenmarken von Supermärkten, belieferte Hersteller mit Fleisch zur Weiterverarbeitung und fungierte selbst als Zwischenhändler.

So musste das Bundesamt für Verbraucherschutz eine Liste mit über 1.000 betroffenen Produkten korrigieren, weil dort unter anderem Weißwürste der bayerischen Firma Zimmermann aufgelistet wurden. Diese wurden aber nur von Wilke weiterverkauft und nicht von dem Unternehmen selbst hergestellt.

Der neueste Fleischskandal wirft zugleich viele Fragen auf. Etliche Anzeichen sprechen dafür, dass die Verbreitung gesundheitsgefährdender Lebensmittel durch Wilke viel früher hätte gestoppt werden können.

Bereits im April dieses Jahres war der örtlichen Lebensmittelaufsicht bekannt gewesen, dass bei Wilke im Werk ein Listerienausbruch stattgefunden hatte. Das bestätigte Stephan Tromp, Geschäftsführer der IFS Management GmbH, die bei dem Hersteller regelmäßig freiwillige Lebensmittelkontrollen durchführte.

Wilke habe dann bei der letzten Prüfung im Juli 2019 Unterlagen vorgelegt, die bezeugten, dass die Bakterien erfolgreich beseitigt wurden. Mittlerweile wurde dem Unternehmen das Zertifikat wieder entzogen.

Obwohl bekannt war, dass Wilke bereits Anfang des Jahres mit Listerien zu kämpfen hatte, wurde das hessische Umweltministerium nach Informationen von Foodwatch erst Mitte August über verkeimte Waren informiert. Wiederum zwei Wochen später erfolgte dann der Rückruf.

„Sollte nach dem 18. September jemand an Wilke-Produkten erkrankt sein, trägt die oberste Lebensmittelbehörde eine Mitverantwortung“, kritisierte der Verbraucherverein Foodwatch.

In Sachsen wurden vom ersten Januar bis Ende letzter Woche insgesamt 36 Fälle von Listeriose gemeldet, darunter fünf Todesfälle. Ein Krankheitsfall zu Beginn dieses Jahres kann laut Verbraucherministerium mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Verzehr von Wilke-Produkten zurückgeführt werden.

Bei den anderen Fällen sei nicht auszuschließen, dass die Erkrankten Wilke-Produkte gegessen haben, so das Verbraucherministerium. 

In Hessen sind bereits 37 Krankheitsfälle mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Verzehr von Listerien-kontaminierten Lebensmitteln der Firma zurückzuführen. 

Hessens Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Grüne) sprach am Freitag von drei  Todesopfern aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt, die mit Listerien des Stamms infiziert wurden, der auch in den Wilke-Produkten gefunden wurde.

Das Robert-Koch-Institut ordnete zudem in seinem am Donnerstag veröffentlichten Wochenbericht insgesamt 37 Erkrankungen seit 2014 demselben Listeriose-Ausbruch durch Lebensmittel eines nicht näher benannten Betriebs aus Hessen zu. 

Listerien sind nicht per se für den Menschen gefährlich. Der Stamm, den das Robert-Koch-Institut jedoch in der Wilke-Wurst identifizierte, kann besonders für immunschwache Menschen, Ältere sowie Schwangere lebensbedrohlich sein.

Auch wer jung und fit ist, könnte Symptome zeigen, die einer Grippe ähneln, muss sich jedoch kaum vor Komplikationen fürchten. Im Laufe der nächsten Woche wird das Verwaltungsgericht Kassel entscheiden, ob weitere Informationen zu den kontaminierten Wilke-Produkten an die Öffentlichkeit herausgegeben werden müssen.

Wilke hat vergangene Woche Insolvenz angemeldet. Die Staatsanwaltschaft Kassel hat gegen den Konzernchef Klaus Rohloff Ermittlungen wegen des Verdachts auf Fahrlässige Tötung aufgenommen. Nach Informationen der Bild-Zeitung soll er sich auf Mallorca aufhalten. 

Das Verbraucherministerium Sachsen sammelt derzeit alle Erkenntnisse der Veterinärämter in den einzelnen Landkreisen.

"Mit Bekanntwerden des Rückrufs wurden die Produkte nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen sofort gesperrt," heißt es aus dem Ministerium.

Im Verkauf seien keine Wilke-Produkte mehr gefunden worden sein. Man arbeite darauf hin, dass keine potenziell belasten Wilke-Lebensmittel mehr zum Verbraucher gelangen. 

Die sächsische Verbraucherbehörde empfiehlt, im eigenen Supermarkt oder Lieblingsrestaurant vor Ort persönlich nachzufragen, ob sie von Wilke beliefert wurden. Das hessische Umweltministerium hat zusätzlich eine Info-Hotline eingerichtet (1 06151 126082).