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„Wir bleiben hier“

Der Protest der Flüchtlinge gegen die Leonardo-Räumung geht weiter. Das kann für sie ernste Konsequenzen haben.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Andrea Schawe und Jane Jannke

Freital. Pünktlich um zehn Uhr kommt der Kleinbus samt Anhänger. Er parkt direkt vor dem Leonardo-Hotel am Langen Rain und wartet auf 20 Flüchtlinge aus Pakistan und dem Kosovo – vergeblich. „Sie werden nicht kommen“, sagt Assil Haidari. Er arbeitet seit drei Monaten als Sicherheitsmann in der Unterkunft und spricht für die Flüchtlinge „Sie haben ihr Land verlassen und werden hier behandelt wie Eigentum. Das geht nicht. Jeder ist frei.“ Eigentlich wollte das Landratsamt am Montagmorgen Asylbewerber von Freital nach Klingenberg umziehen lassen. Der Landkreis will die Flüchtlingsunterkunft im Freitaler Leonardo-Hotel schließen. Bis Ende dieser Woche sollen alle 330 Bewohner umgezogen sein, ein Großteil wurde seit dem 19. Mai ins Haus A des ehemaligen Landratsamts in Pirna verlegt. Da dieses Quartier voll ist, sollen die 164 noch im Leonardo untergebrachten Asylbewerber nach Klingenberg ziehen. Das Landratsamt begründet den Schritt mit fehlenden Umbauten im Leonardo, die der Betreiber – das Berliner Unternehmen Pro Shelter – trotz Absprachen und Vorschriften nicht fristgemäß umgesetzt habe.

„Wir warten noch bis 10.30 Uhr, wenn bis dahin keiner kommt, sprechen Sie Hausverbote für die Personen aus“, sagt der Verantwortliche des Landratsamts. „Das werde ich nicht machen“, antwortet Rainer Krüger, der für die Geschäftsleitung von Pro Shelter vor Ort ist. Für ein Hausverbot bestehe keinerlei Grund. „Ich setze die Leute nicht auf die Straße. Das ist menschenunwürdig.“

Das Berliner Unternehmen wehrt sich gegen die Vorwürfe aus dem Landratsamt. Der Brandschutz sei längst auf dem Stand, der verlangt wird, so Krüger. „Unser Ingenieur hat das auch dem Landratsamt mitgeteilt. Sie weigern sich nur, es zur Kenntnis zu nehmen.“ Anstatt neue Rettungswege zu bauen, hat Pro Shelter in Zusammenarbeit mit dem Bausachverständigen die Belegung in dem Haus geändert. Die Zimmer, die direkt vom Treppenhaus abgehen, werden zum Beispiel nicht mehr belegt. So soll sichergestellt werden, dass aus jedem bewohnten Zimmer zwei Rettungswege in der Nähe zur Verfügung stehen –  ohne, dass Außentreppen angebaut werden müssen. „Die veränderte Belegung hilft uns um den riesigen Umbau herum“, sagt Rainer Krüger. „Wir verzichten so auf Belegung, aber erhöhen die Sicherheit der Bewohner.“ Jetzt ist Platz für etwa 230 Menschen. Auch andere Mängel seien beseitigt worden: Die Brandmeldeanlage wurde saniert, potenzielle Brandherde – wie Teppiche – aus den Treppenhäusern entfernt, die Notbeleuchtung für Rettungswege hat nun zur Sicherheit einen Akku, damit sie auch bei einem Stromausfall leuchtet. Für zwei Fenster wurde eine Nottreppe als zusätzlicher Fluchtweg gebaut. Die Gründe für die Schließung seien seit Wochen widerlegt, so Krüger. Er hätte sich mehr Ehrlichkeit im Landratsamt gewünscht. „Sie hätten auch einfach sagen können, die Zahlen gehen zurück, wir müssen reden“, sagt er. Jetzt werde Pro Shelter als Buhmann hingestellt.

„Der Brandschutz in diesem Haus ist besser als in der Unterkunft in Pirna“, sagt Krüger. Dort seien teilweise sogar die Fenster im Erdgeschoss vergittert. Viele der Leute, die dahin umziehen mussten, seien ins Leonardo zurückgekommen. Die Zustände in Pirna seien „nicht gut“, sagt auch Assil Haidari. „Es wirkt wie im Knast.“ Zu wenig Duschen und Toiletten, kein warmes Wasser, keinen Strom gebe es dort, erzählt ein Afghane, der drei Wochen in Pirna gewohnt hat. „Hier besser“, sagt er und fügt hinzu, dass Pro Shelter ihm kein Geld dafür gezahlt habe, das zu sagen. Das Unternehmen will das Leonardo weiter als Asylunterkunft betreiben. Am Dienstag soll es ein Gespräch mit Landrat Michael Geisler (CDU) geben, so Krüger.

Über die Verweigerung der Flüchtlinge herrschte derweil in Klingenberg Ratlosigkeit. „Die Leute wissen einfach nicht, wie gut sie es hier hätten“, mutmaßt Tilo Georgi, Leiter der Abteilung Soziale Leistungen im Pirnaer Landratsamt, vor der Unterkunft im Gewerbegebiet. Qualitativ sei das Heim eine ganz andere Nummer als das frühere Landratsamt in Pirna. Die Zimmer für drei, seltener für vier oder sechs Personen sind geräumig, hell und freundlich. Die Einrichtung ist spartanisch. Internet gibt es keines, dafür zwei Gemeinschaftsfernsehräume und eine Teeküche mit TV auf jeder der sechs Etagen. In jedem Stockwerk befinden sich sechs moderne Duschen und WCs, im Erdgeschoss einen riesigen Speisesaal mit Großküche. Klingenberg liege aber mitten im Wald, sagt Assil Haidari. „Die Leute wollen sich integrieren, die brauchen Menschen.“

Am Dienstag sollen 40 Syrer nach Klingenberg gebracht werden, am Donnerstag folgen die letzten 20 Personen. Im Landratsamt gehe man davon aus, dass die Betroffenen im Verlauf der Woche selbst den Weg nach Klingenberg finden. Der Umzug sei als Angebot zu verstehen. „Wir zwingen niemanden, es wahrzunehmen“, so Georgi. Wer nicht umzieht, muss aber mit Konsequenzen rechnen. Den Betreffenden werden sämtliche Leistungen gestrichen. Einigen sei nach Aussagen der Flüchtlinge auch Abschiebung angedroht worden.