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Flüchtlinge wollen nicht nach Klingenberg

165 werden bald im Gewerbepark leben. Die ersten 20 sollten am Montag aus Freital kommen, weigerten sich aber.

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© K. Oberthür

Von Jane Jannke und Andrea Schawe

Klingenberg/Freital. Der Stolz sprach Tilo Georgi aus dem Gesicht: „Es ist wirklich ein hochmodernes Haus geworden“, lautete das Urteil des Leiters der Ausländerbehörde im Landkreis. Gemeint war das nagelneue Asylbewerberheim im Gewerbegebiet Klingenberg. Nach einem Dreivierteljahr Umbauzeit ist es nun bezugsfertig, am Montag sollten die ersten Bewohner einziehen. Doch freuen musste sich Georgi zunächst allein. Auf die 20 Flüchtlinge aus Pakistan und dem Kosovo, die aus dem vom Landkreis aufgegebenen ehemaligen Freitaler Leonardo-Hotel hierher gebracht werden sollten, wartete er mit dem neuen Heimleiter Talal Khalil vergeblich. Zur gleichen Zeit im 20 Kilometer entfernten Freital. Pünktlich um zehn Uhr kommt der Kleinbus samt Anhänger. Er parkt direkt vor dem Leonardo-Hotel und wartet – ebenfalls vergeblich. „Sie werden nicht kommen“, sagt Assil Haidari, seit drei Monaten Sicherheitsmann im Hotelasyl. Sie wollten nicht in ein Heim, das „mitten im Wald“ liege. „Sie haben ihr Land verlassen und werden hier behandelt wie Eigentum. Das geht nicht. Jeder ist frei.“ Vor dem Haus kommt es derweil fast zum Eklat zwischen Vertretern des Landkreises und der Betreiberfirma Pro Shelter. Das Amt fordert Hausverbote für die Unwilligen – Pro Shelter weigert sich: „Das ist menschenunwürdig“, beklagt Sprecher Rainer Krüger.

Dabei wartet in Klingenberg auf sie ein neues Haus mit moderner Einrichtung, Außenterrasse mit Grillplatz und Grünflächen.
Dabei wartet in Klingenberg auf sie ein neues Haus mit moderner Einrichtung, Außenterrasse mit Grillplatz und Grünflächen. © J. Jannke

Das Tischtuch zwischen Pro Shelter und Landratsamt ist seit Längerem zerrissen. Es geht um Brandschutz, der laut Landratsamt seit über einem Jahr nicht realisiert sei. Pro Shelter bestreitet das. Doch anstatt neue Rettungswege zu bauen wie gefordert, hat die Berliner Firma einfach die Belegung geändert. Die Zimmer, die direkt vom Treppenhaus abgehen, wurden nicht mehr belegt. So sollte sichergestellt werden, dass aus jedem bewohnten Zimmer zwei Rettungswege in der Nähe zur Verfügung stehen –  ohne Außentreppen anbauen zu müssen.

Über die Verweigerung der Flüchtlinge herrschte derweil in Klingenberg Ratlosigkeit. Da steht ein völlig neu und für viel Geld hergerichtetes Gebäude bereit – doch keiner will rein. Man muss schon genau hingucken, um von innen zu erkennen, dass hier noch vor wenigen Monaten ein marodes Betriebsgebäude stand. Das Asyl liegt beinahe schon idyllisch, umgeben von Wald und Natur – und trotzdem nur einen zehnminütigen Fußmarsch vom Ortskern und vom Bahnhof entfern; 20 Minuten sind es bis in die Dresdner City. Direkte Anwohner, mit denen es zu Konflikten oder gar zu tagelangen Belagerungszuständen wie in Freital kommen könnte, gibt es nicht. Auch gewaltsame Proteste blieben aus.

Kein Geld für Unwillige

Innen ist bis auf einige Gemeinschafts- und Büroräume im Erdgeschoss alles fertig. Die Zimmer für drei, seltener für vier oder sechs Personen – geräumig, hell und freundlich. Die Einrichtung ist spartanisch. Internet gibt es für die Asylbewerber keines, dafür zwei große Gemeinschaftsfernsehräume im Parterre sowie eine Teeküche mit TV auf jeder der sechs Etagen. In jedem Stockwerk befinden sich sechs moderne Duschen und WCs. Der riesige Speisesaal im Erdgeschoss macht jeder modernen Jugendherberge Konkurrenz und verfügt über einen direkten Zugang zur Freiterrasse mit Grillplatz und Garten. In der Großküche nebenan stehen 30 nagelneue Herde und zwölf Doppelspühlbecken. Manko aus Sicht der Flüchtlinge: Hier müssen sie selbst kochen, spülen und Wäsche waschen, also keine Hotelversorgung mehr.

„Die Leute wissen einfach nicht, wie gut sie es hier hätten“, mutmaßte Tilo Georgi. Qualitativ sei das Heim in Klingenberg eine ganz andere Nummer als das frühere Landratsamt in Pirna, aus dem schon vor zehn Tagen Flüchtlinge zurück nach Freital getürmt waren. Probleme mit dem Brandschutz wie in Freital gibt es hier nicht: Das Klingenberger Heim wurde mit zentralen Alarmsystemen ausgestattet, ein zweites Fluchttreppenhaus ist im Bau. Man gehe davon aus, dass die aktuell Betroffenen den Weg nach Klingenberg finden werden. Der Umzug sei ein Angebot. „Wir zwingen niemanden, es wahrzunehmen“, so Georgi. Wer nicht umzieht, muss allerdings mit Konsequenzen rechnen: Den Unwilligen werden sämtliche Leistungen gestrichen, und sie müssen sich selbst um ihre Bleibe kümmern..

Ungeachtet dessen wird das Leonardo bis Ende der Woche leer sein. Am Dienstag sollen weitere 40 Syrer nach Klingenberg verlegt werden, am Donnerstag folgen die letzten 20 Personen verschiedener Nationalitäten. Bei allen handelt es sich um männliche Personen. Frauen oder Kinder sind in Klingenberg nicht vorgesehen. Das Landratsamt will zusätzlich in der nächsten Woche vorübergehend 80 Syrer in dem Heim unterbringen, die bereits einen Aufenthaltsstatus, aber noch keine eigene Bleibe gefunden haben. Sie müssen sich über das Jobcenter in der Unterkunft einmieten, die aber auch dann mit maximal 165 Bewohnern nur rund zur Hälfte belegt wäre.