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„Wir Riesaer waren voll Euphorie“

Beim Handels- und Gewerbeverein HGV erinnert man sich an die wilde Gründungszeit – und blickt nach vorn.

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Die alten und neuen Macher des 1991 gegründeten Handels-, Gewerbe- und Verkehrsvereins (HGV) Riesa trafen sich jetzt im Museum mit der SZ. Hintere Reihe v.l.: Kurt Hähnichen, Andree Schittko, Reiner Striegler; vorn v.l.: Maritta Prätzel, Edgar Schröter, U
Die alten und neuen Macher des 1991 gegründeten Handels-, Gewerbe- und Verkehrsvereins (HGV) Riesa trafen sich jetzt im Museum mit der SZ. Hintere Reihe v.l.: Kurt Hähnichen, Andree Schittko, Reiner Striegler; vorn v.l.: Maritta Prätzel, Edgar Schröter, U ©  Sebastian Schultz

Riesa. Mit 32 Mitgliedern gehört der Handels-, Gewerbe- und Verkehrsverein (HGV) zu den kleineren Vereinen. Aber Mitglied sind kaum Privatleute, sondern vor allem Vereine, Unternehmen, Organisationen – sodass sich dort vom Sport bis zum Einzelhandel alle möglichen Interessen wiederfinden. Einmal im Monat trifft sich das Präsidium im Hotel Mercure. Nach einer Umstrukturierung 2005 sind so nun 150 Sitzungsprotokolle zusammengekommen. Grund für die SZ, sich mit den alten und neuen Machern über die wilden 90er und neue Herausforderungen zu unterhalten.

Was wollte der damals neugegründete HGV 1991 für Riesa erreichen?

Edgar Schröter: Das war damals für uns die Stunde null, wo es für uns richtig losging. Wir Riesaer waren voll Euphorie! Wir haben Arbeitsgruppen gebildet, kreuz und quer aus allen Bereichen: Gastronomen, Händler, die ganzen Banken – alle waren dabei! 85 Mitglieder zählten wir damals.

Was für Themen haben den Leuten auf den Fingernägeln gebrannt?

Udo Merzdorf: Neben Marketing-Themen ging es hauptsächlich darum, wie man sich bei den Stadtfesten einbringt. Beim großen Stadtfest zur 875-Jahr-Feier gab es 1994 einen Festumzug. Da hatten wir bei Kaffee Starke ein Café eingerichtet, mit Bar. Und davor hatten sich Mitglieder mit ihren Produkten präsentiert: Forberge mit einer Riesenwurst, Eis-Müller aus Strehla mit einer Riesen-Eistorte.

Schröter: Bäcker Beutler hatte eine Riesentorte, Fleischer Sittig eine Riesen-Wurst auf so einer Kabeltrommel. Wir haben von Anfang an mit dem Riesen gearbeitet!

Feste waren wohl ein Riesenthema ...

Merzdorf: Damals fand in Riesa noch die Mittelsachsenschau statt. Da hatten wir ein eigenes Zelt mit großer Bühne.

Schröter: Zu Hochzeiten war bei der Mittelsachsenschau von 100 000 Besuchern die Rede. Wir haben dabei als HGV von Anfang an gut mit der Stadt zusammengearbeitet. Erster Vorsitzende war ja Wolfram Köhler, ich löste ihn 1992 ab. Köhler hat uns sehr gut unterstützt. ABM-Kräfte machten für uns die Büroarbeit. Jahrelang konnten wir uns eine Geschäftsführerin leisten!

Durch die vielen Mitglieder?

Schröter: Ja. Zum Schluss wurden das dann weniger: Am Anfang war der HGV was Neues. Dann kam der Bundesverband mittelständische Wirtschaft, dann gab es die Mittelstandsvereinigung der CDU, verschiedene andere Kreise, wohin Mitglieder wechselten. Und schade war, dass es in Riesa auf der Hauptstraße noch einen Gewerbeverein gab. Die Automeile aber haben wir als HGV organisiert. Wir haben den ersten Unternehmerball im Stern gemacht. Und wir haben ein Spiel einer DDR-Fußballer-Auswahl gegen die Alten Herren von Stahl Riesa organisiert.

Merzdorf: Das Fußballspiel wurde sogar von einem Fallschirmspringer eröffnet!

Schröter: Ja, der brachte den Ball runter. Und die Autohäuser hatten einen Korso auf der Aschenbahn gemacht. Das war ein Fest für die ganze Familie!

Könnte man das als Verein heute noch so stemmen?

Merzdorf: Das ist fraglich. Das war eine Aufbruchsstimmung damals. Wenn gefragt wurde, wer macht mit, haben viele die Hände gehoben.

Kurt Hähnichen: Mit Köhler wurde dem HGV auch eine Mitsprache eingeräumt in viele Prozesse, die in der Stadt liefen.

Merzdorf: Ja, wenn irgendetwas innerstädtisch gebaut wurde und es betraf die Händler, gab es stapelweise Dokumente mit Grundrissplänen. Etwa beim Bau der Elbgalerie waren wir einbezogen.

Es klingt so, als wäre das heute anders.

Andree Schittko: Damals war eben vieles möglich, was heute durch rechtliche, finanzielle, strukturelle Bedingungen nicht mehr geht.

Hähnichen: Der Erfolg des jetzigen HGVs ist, dass man sich gesammelt hat. Damals geriet das gemeinsame Ziel, etwas nach vorn zu bringen, zeitweise aus den Augen.

Schröter: Da gab es leider Grabenkämpfe. Dabei sollte das gelten, was sinngemäß an der Volksbank steht: Bündelt eure Kräfte, Einigkeit macht stark.

Merzdorf: Der HGV-Spruch „viribus unitis“ sagt ja alles: „Mit vereinten Kräften!“

Schröter: Damals hatte der Riesapark seine eigene Werbegemeinschaft, die Hauptstraße kochte ihr eigenes Süppchen, wir haben versucht, die Kräfte zu bündeln.

Maritta Prätzel: Der HGV war auch deshalb so erfolgreich, weil damals noch nicht alles streng geregelt war. Damals genügten Absprachen auf kurzem Weg, für die man heute 15 Anträge bräuchte.

Zurück in die Gegenwart: Was würde Riesa fehlen, gäbe es den HGV nicht?

Heike Kandel: Na, die Riesa-Information!

Schittko: Als sich der Stadtbahnverein gründete, brauchte es einen Anlaufpunkt. Da haben wir in der Sparkasse einen kleinen Counter hingestellt: eine Vitrine, einen Schreibtisch, Kopierer, Computer. Der Counter wurde immer größer. So entstand die Idee zur Stadt-Information, die wir jetzt an der Hauptstraße 61 haben.

Hähnichen: Die Stadtbahn entstand im Zusammenhang mit der Riesen-Euphorie um den Tag der Sachsen 1999 und die Olympia-Bewerbung. Eigentlich sollte es sogar zwei Bahnen geben: den Reifen-Moritz und den Stahl-Max. Ganz viele Partner haben das Projekt mitgetragen. Wir haben 160 000 D-Mark Sponsorengelder für den Zug eingesammelt.

Später gab es allerdings Querelen ...

Merzdorf: Querelen nicht. Die Anfangseuphorie wich mehr oder weniger der Routine. Ich erinnere mich an stundenlange Diskussionen, wo es nur um die Donnerstags-Öffnungszeiten ging. Da konnte ich mich nicht mehr wiederfinden.

Schittko: Darum haben wir uns im Sachsenhof zusammengesetzt, um mit neuen Leuten und einer neuen Strategie den Traditionsverein neu auszurichten. Mit dem neu gebildeten Präsidium haben wir eine Form gefunden, den HGV weiterzuführen – mit der Einbindung neuer Mitglieder und Vereine. Da ging es dann nicht mehr nur um Öffnungszeiten.

Was sind denn die Themen heute?

Schittko: Themen bleiben Traditionsveranstaltungen wie die Automeile. Wir können mit Stolz sagen, dass wir uns von der ersten bis jetzt zur 24. Automeile über die Region hinaus etabliert haben! Es sind aber auch neue Aufgaben dazu gekommen: das professionelle Betreiben der Stadt-Information, das fast 50 Prozent unserer Arbeit ausmacht. Das ist mit der Unterstützung der Stadt schon fast ein Kleinunternehmen, was man da leitet – mit dem Kartenverkauf für die FVG und andere Partner, für den Nahverkehr, mit der Vermietung der Stadtbahn, der Organisation der Tanzmeile oder der verkaufsoffenen Sonntage.

Prätzel: Auch die Sommerbühne!

Schittko: Ja, ich habe einige Aufgaben nicht aufgezählt: Wir besuchen Messen, präsentieren die Stadt, arbeiten mit dem Elbe-Röder-Dreieck und der Lommatzscher Pflege zusammen. Ziel ist immer, die Attraktionen Riesas bekannter zu machen.

Wie war das vorher?

Reiner Striegler: Vorher gab es einen Verkaufsstand in der Arena. Jetzt hat man alles gebündelt an einem Punkt. Da finden die anderen Facetten mehr Beachtung.

Schittko: Wir hätten mit unserem kleinen Infopunkt in der Sparkasse nie für möglich gehalten, was das für Ausmaße annimmt. Im positiven Sinne!

Hähnichen: In den letzten zwei Jahren hatten wir einen Riesen-Qualitätssprung. Um Frau Kandel haben sich die richtigen Personen gefunden. Die Arbeit im HGV macht wieder richtig Spaß. Wir haben die 150 Sitzungen gut geschafft und vertragen uns auch noch mit den Vorgängern.

Kandel: Wir versuchen, in der Riesa-Information immer wieder etwas Neues zu bieten – wie jetzt mit der Mobilitätszentrale. Man will den Riesaern und ihren Gästen etwas anbieten, was sie in die Stadt lockt.

Gespräch: Christoph Scharf.

Wer sich für die Arbeit des HGV interessiert, kann sich in der Riesa-Info melden.