Zwickau. Wo bis vor wenigen Tagen eine junge Eiche stand, ragt jetzt eine weiße Rose aus dem braunen Rindenmulch empor. Daneben hängt ein weißes Blatt Papier. "Jetzt hackt's wohl? Was hat euch der Baum getan?", ist darauf zu lesen. Diese Empörung teilen offensichtlich viele Zwickauer. Zahlreiche bunte Blumen schmücken den Gedenkort für Enver Simsek, das erste Mordopfer der Neonazi-Terrorzelle NSU. Die Reste des von Unbekannten abgesägten Gedenkbaums im Schwanenteichpark hingegen sind weg.
Am Montagmittag versammelten sich an der Stelle rund 120 Menschen zu einer Schweigeminute. Dazu aufgerufen hatten Schüler eines Gymnasiums in unmittelbarer Nähe des Gedenkortes. "Wir wollen keine Nazi-Stadt sein und wir sind auch keine Nazi-Stadt, doch wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus", sagte Jakob Springfeld, Mitinitiator des spontanen Gedenkens.
In einer kurzen Erklärung verlesen die Schüler einige Eckpunkte aus dem Leben des 38-jährigen Blumenhändlers und schildern seinen Tod durch acht Schüsse der Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am Morgen des 9. September 2000: "Simsek ist an dem Tag nur zufällig in Nürnberg, er vertritt einen Kollegen." Ihm sowie allen anderen Opfern rechtsextremer Gewalt gedenken die Schüler in ihrer Mittagspause.
Die Stadt Zwickau kündigte indes am Montag an, den Gedenkbaum zu ersetzen. Die Eiche war Anfang September gepflanzt worden. Wie bereits im Vorfeld geplant, sollen auch Gedenkbäume für die neun weiteren Opfer der rechtsextremen Terrorzelle NSU gepflanzt werden. Der genaue Termin soll noch bekannt gegeben werden.
"Wir lassen uns nicht unterkriegen. Auch nicht davon, dass die Bäume vielleicht wieder abgesägt werden und wir als Stadt wieder negativ in die Schlagzeilen geraten", sagte Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) der Deutschen Presse-Agentur. Die zahlreichen solidarischen Reaktionen in der Stadt, aber auch aus ganz Deutschland, zeigten, dass die Anständigen in der Mehrheit seien.
Gerade jetzt sei es wichtig, an die Opfer des Rechtsterrorismus zu erinnern und ein deutliches Zeichen gegen Intoleranz und für das demokratische Gemeinwesen zu setzen. "Denn Menschen, die Sägen haben, besorgen sich vielleicht auch Pistolen", mahnte Findeiß. Daher unterstütze die Stadt nach wie vor ein Dokumentations- und Erinnerungszentrum mit Blick auf die Taten des NSU und rechte Netzwerke. "Aber das ist keine alleinige Aufgabe der Stadt, sondern eine Aufgabe, die deutschlandweit steht", sagte die Stadtchefin.
Bei der Stadtverwaltung hätten sich seit Freitag zahlreiche Menschen gemeldet und ihre finanzielle Unterstützung angeboten. Die Stadt hat daher ein Spendenkonto für die Bäume eingerichtet. Ein gebürtiger Zwickauer startete am Freitagabend zudem einen spontanen Spendenaufruf für einen neuen Gedenkbaum über die Plattform "Betterplace". Bis Montagnachmittag gingen bereits rund 2.000 Euro von knapp 100 Spendern ein.
Er sei noch im Urlaub gewesen, als er sein Handy eingeschaltet und im ZDF die unrühmlichen Nachrichten über seine Heimatstadt gesehen habe. "Auch angesichts der Klimakrise können wir jeden Baum gebrauchen. Also dachte ich: Nicht immer nur reden, sondern einfach machen", sagte Initiator Lukas Buschmann (27) der dpa. Wie das Geld verwendet werde, stimme er aktuell mit der Stadt ab.
Die abgesägte Eiche und eine kurz darauf zerstörte Holzbank, die ebenfalls an Enver Simsek erinnerte, hatten am Wochenende deutschlandweit Empörung hervorgerufen. Für kommenden Freitag (18.00 Uhr) wollen engagierte Bürger mit einer Gedenkveranstaltung ein Zeichen für ein buntes Zwickau setzen. (dpa)