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Sind neue Autoreifen auf schnelleren Verschleiß ausgelegt?

Dekra-„Reifenpapst“ Christian Koch über verringertes Profil, überbewertete Premium-Pneus und die Frage, ob sich Markentreue beim Reifenkauf lohnt.

Von Andreas Rentsch
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Wie viele Kilometer fahren Sie? Wenn der Reifenhändler des Vertrauens diese Frage stellt, hat seinen Grund.
Wie viele Kilometer fahren Sie? Wenn der Reifenhändler des Vertrauens diese Frage stellt, hat seinen Grund. ©  Robert Michael/dpa

Wie entwickeln sich die Preise für Sommerreifen? Der Branchenverband BRV hat eine gute und eine schlechte Nachricht für Autofahrer. Die schlechte lautet: Reifen verteuern sich weiter. Die gute: Der Preisauftrieb hat sich im Vergleich zu 2022 und 2023 abgeschwächt. Ein Satz Testsiegerreifen für einen Mittelklassewagen oder ein SUV kostet jetzt fast 700 Euro. Sächsische.de hat den obersten Reifengutachter der Prüforganisation Dekra gefragt, was Kunden vor dem Kauf bedenken sollten.

Herr Koch, ein Dresdner Reifenhändler sagte mir kürzlich, die Laufleistungen von Reifen würden immer weiter abnehmen. Vor zehn Jahren hätten beispielsweise Michelin-Reifen 80.000 Kilometer und mehr gehalten, heute seien es eher 30.000 bis 40.000. Stimmt das?

Christian Koch (57) ist Sachverständiger für Unfallanalytik sowie Reifen und Räder. Er arbeitet in der Dekra-Niederlassung Hamburg-Süd.
Christian Koch (57) ist Sachverständiger für Unfallanalytik sowie Reifen und Räder. Er arbeitet in der Dekra-Niederlassung Hamburg-Süd. © Dekra Automobil GmbH

Persönlich sehe ich das nicht so – und erlebe es als Autofahrer auch selbst nicht. Natürlich darf man nicht vergessen, dass die durchschnittliche Motorleistung und das Gewicht der Autos gestiegen sind und damit die Räder beim Beschleunigen mehr beansprucht werden. Richtig ist, dass Michelin sehr haltbare Reifen produziert, das zeigen diverse Testergebnisse.

Ich halte es aber zu kurz gedacht, die Kaufentscheidung nur von der Laufleistung abhängig zu machen. Zudem können Sie nicht alle Reifen einer Marke über einen Kamm scheren. Hersteller können Reifen konstruktiv unterschiedlich auslegen. Dazu muss man wissen, dass zum Beispiel Abrieb und Nassgriff zwei Dinge sind, die sich grundsätzlich physikalisch widersprechen. Ein voll auf Nassgriff optimierter Reifen kann nicht die gleiche Laufleistung haben wie ein Reifen, der auf Haltbarkeit getrimmt wurde. Das ist ein Zielkonflikt.

Was ist denn das wichtigere Kriterium?

Aus Sicht der Verkehrssicherheit: eindeutig Nassgriff. So sehen es die Automobilklubs oder der Deutsche Verkehrssicherheitsrat. Wie Reifen bei Rollwiderstand, Nassbremsverhalten und Abrollgeräusch abschneiden, lässt sich am gesetzlich vorgeschriebenen Reifenlabel ablesen.

Welche Reifen sind bei Nässe traditionell gut?

Bei über hundert Reifenmarken, Hunderten von Reifengrößen und über tausend verschiedenen Profilen kann ich nicht verallgemeinern. Zumal wir noch zwischen Sommerreifen und wintertauglichen Reifen unterscheiden müssen. Dazu kommt das Thema Erstausrüstung.

Da sagt ein Hersteller sinngemäß: Nassgriff, Geräusch und Rollwiderstand sind schon wichtig, ich möchte aber auch noch diese oder jene Handling-Eigenschaften. Ein Sommerreifen für einen Porsche muss gut nassbremsen können; mindestens genauso wichtig ist aber, dass er mehrere Runden auf dem Nürburgring durchhält und dabei Top-Rundenzeiten bringt. Bei einem Kleinwagen ist das anders. Das heißt: Je nach Größe und Profilausführung kann der Reifen ein und derselben Marke stark unterschiedliche Leistungen erzielen.

Was bedeutet das nun aber für mich als Reifenkäufer?

Sie sollten weniger nach einer bestimmten Marke schauen, sondern vielmehr die aktuellen Testberichte lesen.

Der neue ADAC-Sommerreifentest bietet da ein pikantes Detail. Dort bekam ein Premiummodell von Dunlop exakt die gleichen Noten wie ein deutlich preiswerterer Debica. Beide Marken gehören zur Goodyear-Gruppe...

Das stimmt, wenn man nur die drei Noten vergleicht, gibt es keinen Unterschied. Beide Reifen werden übrigens in einem Werk in Slowenien gefertigt. Da liegt der Schluss nahe, dass die Reifen und deren Gummimischung weitgehend identisch sind, sich beide Fabrikate allenfalls ein wenig im Profil unterscheiden.

Ist es aus Ihrer Sicht okay, sich dannfür das deutlich preiswertere Modell zu entscheiden?

Selbstverständlich. Ich nehme auch an, dass das Testergebnis bei Goodyear keine Begeisterung auslöst. Es ist ja eines der Probleme von Reifenkonzernen, die ein großes Portfolio an Marken haben: Sie müssen die Preisunterscheide zwischen ihren Premiummarken und den Zweitmarken rechtfertigen.

Für Kunden stellt sich dann aber noch die Frage, wie man gute Zweit- oder Drittmarken von nicht empfehlenswerter No-Name-Ware unterscheidet.

Da kann ich keine allgemeine Empfehlung geben. Vor 20 Jahren hätte ich vielleicht Zweifel an Reifen koreanischer Hersteller geäußert. Mittlerweile ist eine Marke wie Hankook stark in der Erstausrüstung vertreten – und zwar nicht nur bei Dacia oder Renault, sondern auch bei Oberklassefahrzeugen von BMW, Audi oder Mercedes. Wer dann meint, die Reifen kommen doch aus Südkorea und müssten billig sein, liegt falsch. Hankook hat ein Werk in Ungarn gebaut. Nahezu alle Hersteller besitzen mittlerweile Produktionsstätten in Europa oder bauen daran. Man möchte nahe beim Kunden sein.

Also keine einfachen Tipps für unschlüssige Reifenkäufer?

Wie gesagt: Lesen Sie Testberichte. Bitten Sie den Reifenhändler Ihres Vertrauens um eine Empfehlung. Wenn der zu einer großen Handelskette oder einem Händlernetzwerk gehört, hat er ausreichend Feedback und wird Ihnen sagen, wenn andere Kunden mit bestimmten Reifen unzufrieden waren.

So ein Händler weiß auch, welche Hersteller kulant sind. Was ich nicht empfehle, ist, nach dem Motto „Ich kaufe immer Reifen der Marke XY, da bin ich auf der sicheren Seite“ zu agieren. Orientierung bietet auch das Reifenlabel. Wenn Sie ein Modell finden, das in allen Teildisziplinen gute Noten erzielt, kann das schon mal kein totaler Fehlkauf werden.

Manche Premiumhersteller haben das nutzbare Profil ihrer Reifen verringert – von acht, neun Millimetern auf sechs. Verschleißen Reifen schneller? Müssen sie öfter getauscht werden?

Das ist nicht so. Denn die Hersteller haben nicht nur die Profiltiefe verringert, sondern gleichzeitig andere Maßnahmen ergriffen, die wiederum zu längerer Haltbarkeit führen. Klar ist: Je weniger Profiltiefe, desto weniger Gummi kann abgerieben werden. Kompensieren lässt sich das zum Beispiel durch intelligente Rillen.

Was sind denn intelligente Rillen?

Der Reifen bekommt weniger Negativanteil im Profil. Das heißt, die Rillen werden schmaler und kleiner – was aber nicht zulasten der Aquaplaning-Sicherheit bei abnehmender Gesamtprofiltiefe geht. Zweitens lässt sich durch die Gestaltung der Profilblöcke die Bewegung des Profils reduzieren. Das verringert gleichzeitig den Abrieb. Punkt drei ist die Weiterentwicklung des Materials. Spezialchemikalien sorgen dafür, dass der Gummi heute länger hält als vor 15 Jahren.

Sollte man trotzdem lieber zu Reifen mit mehr Profil greifen, solange solche noch erhältlich sind?

Nein. Profilhöhe oder -tiefe ist nicht der ausschlaggebende Faktor für den Verschleiß. Es kommt auch aufs Fahrzeug und den Fahrstil an. Untersuchungen zu Einflussfaktoren auf den Verschleiß haben ergeben, dass die Top-Reifen um den Faktor fünf besser sind als die schlechtesten. Wenn also das Schlusslicht in einem Test auf 15.000 Kilometer Laufleistung kommt, sind es beim besten Reifen 75.000 Kilometer. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Topografie der Region, in der man fährt. Je bergiger, desto mehr Verschleiß.

Liegt der goldene Weg in der Mitte? Der Ganzjahresreifen (Mitte) kommt in den meisten Disziplinen den Spezialisten für Winter und Sommer (li. und re.) nahe.
Liegt der goldene Weg in der Mitte? Der Ganzjahresreifen (Mitte) kommt in den meisten Disziplinen den Spezialisten für Winter und Sommer (li. und re.) nahe. © Andrea Warnecke/dpa

Hält der Trend zu Ganzjahresreifen an?

Ja. Und sie werden stetig besser, was Performance und Laufleistung angeht. Natürlich profitieren sie von der Weiterentwicklung der Sommer- und Winterreifen. Ansonsten bleibt es aber dabei: Ein Ganzjahresreifen kann niemals die beiden Spezialisten gleichwertig ersetzen. Wer aber in einem Ballungsgebiet lebt, pro Jahr maximal 10.000 Kilometer fährt und bei einem echten Wintereinbruch das Auto stehen lassen kann, für den sind Ganzjahresreifen nach wie vor eine gute Sache.